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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0432
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Werner Hager. Guarini

Inventionskreis von Schöpfungen wie, um nur Beispiele zu nennen, Vasaris Badiakirche zu Arezzo mit
ihrem vieldeutigen Schachtelraum, der die Orientierung nirgends zur Ruhe kommen läßt, oder Giulio
Romanos Dom von Mantua mit seinen rhythmisch komplizierten Seitenschiffen. Auch Palladios Palast-
bau mit seinen Enfiladen kontrastierend proportionierter Gemächer wird nicht unbeachtet geblieben sein.
Im Hindurchgang durch diese komplexe Phase gewinnt der ludus geometricus von Leonardos Entwürfen
oder Bramantes erstem Petersplan jene differenzierte Beweglichkeit und unauflösliche Kontinuität der
Teile, die zu Guarinis überlegenem Formenspiel hinführt. Nur ist hier der Raum nicht mehr als problema-
tisch, vielmehr als positiv existent verstanden. Wissenschaft hat der Spekulation Halt gegeben, es ist das
Jahrhundert Pascals.
Anfangs haben Guarinis Bauten, die Annunziata-Fassade in Messina oder Ste. Anne in Paris, noch ein
kräftiges Volumen; wie sie sind auch die Turiner Bauten nicht ganz ohne Bezug auf Lage und Umgebung
gedacht. Dann aber nimmt die Erfindung einen immer abstrakteren, spekulativen Charakter an. Die
gegenständlichen Planformen, wie das lateinische und griechische Kreuz, gehen immer stärker in vor-
gefaßten geometrischen Theoremen, in der Ineinanderfügung von Kreisen und Ovalen oder der Aneinan-
derreihung von Vielecken auf. In dem Entwurf zu S. Filippo Neri in Casale {Abb. 300)32 wird das „Feld“
sichtbar, aus dem die konkrete Form durch Ausgrenzung hervorgeht. Dieses Ordnungssystem besteht
aus einem infinitesimalen Netz von Kreisen verschiedener Größe. Die Vorhalle wird im Grundriß von vier
Konkavsegmenten solcher Kreise bestimmt. Der lehrsatzartige, didaktische Charakter dieser Projekte
machte sie übertragbar und regte denkende Künstler an. Unnachahmlich blieb die schöpferische
Phantasie, mit der der Meister selbst aus diesen formalen Kombinationen seine Räume emporgebildet
hat.
32 AO, Taf. 25.
 
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