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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 4
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Lux, Joseph August: Wie man ein Wohnhaus baut
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0134
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98

Wie man ein Wohnhaus baut

zumindest rudimentär vorhanden; wir finden sie
im modernen Familienhause als „Halle" wieder.
Der Salon ist abgeschafft. Die Halle ist der Zentral-
raum des Hauses, in dem sich das tägliche Leben
der Familie und das Gesellschaftsleben überhaupt
abspielt. Eine Gesellschaft fühlt sich am behag-
lichsten, wenn sie in einem einzigen grösseren
Raum vereinigt ist, das Anschliessen und Abtreten
vollzieht sich ungezwungener und unbemerkter, als
wenn man durch eine Tür in ein anderes Zimmer
treten muss, oder wenn die Gruppen in kleinere
Nebenräume verteilt und eine von der anderen aus-
geschlossen scheint. V

V Ein grösserer Raum als Zentralraum des Hauses
bietet aber auch künstlerisch den Vorteil, dass er
die Anordnungen der Möbel erleichtert und origi-
nelle Ausgestaltungsmöglichkeiten zulässt. Hier
setzt die Raumkunst ein, Hausbau und Mobiliar
bilden eine konstruktive Einheit, im Gegensatz zu
den nach Art grossstädtischer Miethäuser gebauten
Villen, die als leere Gehäuse nach Gutdünken mit
Möbeln angefüllt wurden. Raum und Möbel mussten
sich miteinander abfinden, so gut es ging. Der enge
Zusammenschluss von Architekten und Kunstge-
werbe, oder mit anderen Worten von Hausbau und
Hauseinrichtung wie sie heute noch im niederdeut-
schen Bauernhaus gefunden werden kann, ist einer
der grössten Fortschritte der Moderne.

V Die grossen Fensterblicke der Halle gehen in
die freundliche Landschaft hinaus, anmutige Ecken
und unterbrochene Wandflächen ergeben Nischen
und Kojen, die auch den grossen Raum intim er-
scheinen lassen. Verschiedene Sitzgelegenheit in
den Corners, am Kamin, in der Bücherecke geben
alle Bequemlichkeit. Eine offene Stiege steigt in der
Halle empor und führt zu den oberen Räumen, die
den persönlichen Bedürfnissen der Familie dienen.
Diese anderen Räume gruppieren sich in zweck-
voller malerischer Anordnung um den Zentralraum
und bestimmen durch die Lage ihrer Fenster, die
unbekümmert um die Reissbrettsymmetrie dort an-
gebracht werden, wo man sie just braucht, das
Gesicht des Hauses, die Fassade. Nun hat sie
schon wieder einen vermenschlichten Ausdruck
bekommen. Das Haus trägt nicht mehr die seelen-
lose Maske der herkömmlichen Fassadenarchitektur,
es drückt vielmehr wieder eine organische Idee aus.

V Von der Halle, die als Gesellschaftsraum nicht
weiter bewohnt wird, gelangt man in das Speise-
zimmer. Das Zimmer der Hausfrau kann auch
neben der Halle liegen, denn die Hausfrau will
den Wirtschaftsräumen nahe sein, die sich im
Untergeschoss des Hauses befinden: Küche, Keller,
Speisekammer und andere Vorratsräume, Heizraum,

Waschküche, die Zimmer für das Dienstpersonal
befinden sich im Untergeschoss. Ein eigener Ein-
gang, die Haustreppe vermittelt den dienstlichen
Verkehr abseits von dem reservierten Haupteingang,
der durch ein kleines Entree in die Halle führt. V

V Im Obergeschoss, einerseits durch die Hallen-
treppe, andererseits durch die Diensttreppe erreich-
bar, befinden sich die Schlafräume der Herren-
leute mit Baderäumen, ein Arbeitszimmer, ein
oder mehrere Gastzimmer und gegebenenfalls die
Kinderräume als Schlaf-, Wohn- und Spielzimmer.
Die übliche Enfilade von Zimmern einer Grossstadt-
wohnung, die für die Mehrzahl der schlechten
Villenbauten massgebend wurde, fehlt hier; kein
einziger Raum ist der blossen Repräsentation wegen
da, den Pulsschlag des Lebens fühlt man in allen
Teilen des Hauses. Alle modernen technischen Ein-
richtungen, für den heutigen Komfort unerlässlich,
sind dem Organismus eingegliedert. Die Heizungs-
anlagen, die Wasserleitungen, das Beleuchtungs-
wesen, die gewöhnlich als feindselige Elemente für
die architektonische Harmonie empfunden werden,
weiss der moderne Architekt zu gefälligen Helfern
seiner künstlerischen Absichten zu machen. Hy-
giene, Komfort und Schönheit sind gemeinsame Be-
griffe. Mit Luft, Licht und hellen kräftigen Farben
werden die schönsten Interieurstimmungen bestritten.

V Die örtlichen klimatischen Verhältnisse sprechen
ein Wort mit bei der Anlage der Laube am Haus,
der Veranden und Terrassen. Hier muss nicht allein
nach den Bedürfnissen der Menschen, sondern auch
nach den Bilden des Wetters gefragt werden. Sie
sollen der Familie und der Gesellschaft einen be-
haglichen Aufenthalt geben, offen oder geschlossen
und vom Zimmer aus alle Annehmlichkeiten des
Freien und des Gartens geniessen lassen. Sie
werden daher nach verschiedenen Seiten hin an-
gelegt sein, um je nach dem Tages- oder Jahres-
stand der Sonne draussen sitzen zu können. Dass
sie im Verein mit dem Dach das Haus und die
Wohnräume gegen das Eindringen von Hitze und
Kälte schützen können, war schon der älteren, länd-
lichen Architektur bekannt, die eine Laube nach
drei Seiten um das Haus legte. Dass auf die Lage
und Grösse der Veranden und Terrassen bei einem
wohnlichen Hause ein Augenmerk gelegt werden
muss, mag man an den meisten verkümmerten und
daher wenig nutzbaren Veranden der fast durchwegs
schlechten Cottages ersehen oder an den Balkons,
die wie das Fremdwort besagt, aus der Palast-
architektur eingedrungen, nur eine blosse Deko-
ration von geringem oder keinem Gebrauchswert
darstellt. Auch dem Erker kommt eine praktische
Bedeutung zu. Im Halbkreis oder Halboval dem
 
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