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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 26.1927

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Nr. VIII
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Eisler, Max: Das neue Amsterdam
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https://doi.org/10.11588/diglit.48543#0356
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282


Maßstab 1 :500
Bureau des Stadtarchitekten von Amsterdam
Neues Rathaus in Amsterdam. — Lageplan, Grundriß des Kellers und Erdgeschosses

eines dogmatisch erstarrten Rationalismus, sondern es ist zu-
gleich feurige Hingabe und klares Bekennen. Aus der Zusammen-
kunft dieser beiden Energien ergibt sich das neue Formenleben.
Daß diese freieren ideellen Kräfte für sein Werden beson-
dere Bedeutung haben, kann, wenn man will, auch aus dem
eigenartigen Erziehungsgang der Architekten erklärt werden.
Bei uns herrscht der diplomierte Künstler, und sein Diplom
gilt den Beteiligten so viel, daß die Absolventen der Akade-
mien und technischen Hochschulen seit Jahr und Tag einen
erbitterten Kampf um den Rechtschutz ihres Architektentitels
führen. In Holland, wo nur Delft eine Technik besitzt, ist der
Diplomarchitekt die höchst seltene Ausnahme; die weitaus
überwiegende Mehrheit hat, was sie kann, auf eigene Faust
erlernt. Vom lebendigen Interesse angetrieben, im werktätigen
Wettbewerb mit den Männern vom Fach herangewachsen, übt
sie auch späterhin ihre Kunst als einen freien Beruf. Er hat
nur Vorteile davon.
Die Argumente, die man dagegen ins Treffen führen könnte,
werden durch die Tatsache der Amsterdamer Architektur bis
auf den Grund entkräftet. Nirgends gibt es weniger Dilettan-
tismus. Und nirgends weniger von dem so gefährlichen Indi-
vidualismus. Männer der verschiedensten Schulung kommen
in ihren Werken überein. Auf dieser wesentlichen Überein-
kunft beruht ja schon vom formalen Standpunkt der stärkste
Eindruck der Anlagen von Amsterdam West und Süd. Die
Gestalt der Bauten mag verschieden sein; ihre Haltung ist
gleich. Es herrscht der geschlossene, bei flachem Dach rumpf-
artige Körper; selbst die Glieder bleiben körperhaft. Nament-
lich dort, wo ein einzelnes Gebäude frei gegen den Himmel
steht, merkt man den kompakten Zuschnitt, die kräftige ruhe-
volle Wirkung der Silhouette. Die Verwaltungshäuser und
Schulen unseres Heftes zeigen es fast in jedem Beispiel. Und
dasselbe gilt dann auch für ganze Straßen, wo in langer Auf-
rollung Haus an Haus, nicht mit törichtem Eigendünkel, sondern

in guter Nachbarschaft beisammen stehen. In den besten Fällen,
namentlich bei de Klerk, wird die .immer standfeste Materie
rhythmisch entlastet. Da ist die Öffnung der Mauerfelder
durch Einlässe und Fenster, das kubische Gewichtsspiel und
der originelle Umriß in einen feinen, festen Zusammenhalt
gebracht, die Balance stabil und rein geworden. Man schwelgt
im bodenständigen Ziegel. Aber nun ist es kein Schwärmen
mehr bis zu den Grenzen des Statthaften, sondern ein orga-
nisch beherrschtes Verfahren. Spärlich und nur an tektonischen
Bindestellen mit Haustein versetzt, erscheint jetzt der Baustoff
in allen Farben des Brandproduktes, rot bis grau, feurig oder
schwelend, immer aber als offenkundiges Mittel der Mauerung.
Und immer bedacht auf das Zusammengehen mit den wech-
selnden Atmosphären des Erdstriches. Ihre klaren, sonnigen
Stunden rufen seinen kraftvollen Glanz, ihre feucht verhan-
genen seine matten, schöneren Töne hervor und vollenden die
Erscheinung der Architektur.
Bei einer solchen Lage der Dinge fällt es schon schwer,
nun auch hier die Frage nach der Form zu stellen. Vieles,
ja das meiste, wirkt auf den ersten Blick wie eine Wieder-
kehr des romanischen Stiles. Man kann sich anfangs der Er-
innerung an Bauwerke, etwa von der Art der Herstenburg bei
Toblach, kaum erwehren. Aber das ist nur eine Folge unserer
schiefen Erziehung, die jeden neuen Eindruck .unwillkürlich
sofort mit einem alten vergleicht und beiläufige Ähnlichkeiten
höher einzuschätzen bereit ist als den verdeckten und doch
wesentlichen Unterschied. Denn wenigstens in unserem Fall
ist die genannte Berührung gleichgültig. Die Baukunst von
Amsterdam ist in der fundamentalen Bedeutung des Wortes
modern — nach ihrem Stil und nach ihrem Charakter.
Und darum doch nicht traditionslos. Im Gegenteil. Man wird
ihr deshalb vielleicht besser von einer anderen Seite bei-
kommen können. Gemeint ist der topographische Standpunkt,
der hier einen sozialen Horizont festlegt.
 
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