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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Lohmeyer, Julius: Alpenglühen, [4]: Roman
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Unsere Bilder, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0112
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52

MODERNE KUNST.

zwingen. Ediths Bild leuchtete in dem vergleichenden Gedanken an Wanda
noch verklärter vor ihm auf. Alle seine Hoffnungen, sein Glück, seine Zu-
kunft standen ja auf dem Spiele! Die gute Wanda konnte er jedenfalls be-
ruhigen, täuschen, hinhalten, er konnte schliesslich auch auf ihre nie versagende
Liebe zu ihm bauen. Hatte sie dieser leidenschaftlichen Zuneigung zu ihm doch
bisher jedes Opfer gebracht, das er von ihr gefordert. Seine ersten Liebes-
werbungen hatten sie in Schuld und Verrat gegen ihren Mann verstrickt, den sie
trotz aller seiner Launenhaftigkeit und gelegentlichen Brutalität doch hoch-
hielt, und der dann binnen Jahresfrist in ahnungslosem Vertrauen in ihren Armen
starb. Zwei Jahre lang hatte sie nun, von Ruthard hin gehalten, sich vertrösten,
in sklavischer Unterwürfigkeit sich von ihm misshandeln lassen, und sollte nun
vor einer unbekannten Nebenbuhlerin bei Seite geschoben werden. Aber es
musste ja sein! Es war wahr, Wanda hatte nach ihres Mannes Tode in der
Hoffnung auf eine Verbindung mit Ruthard alle Brücken, auch die zu ihrer
nächsten Verwandtschaft, abgebrochen. Sie lebte nur noch ihm, nur noch ihrer
Hoffnung auf ihn und seine Verheissungen. Sie stand ganz allein. Darauf
baute er jetzt. Sie musste ihm ja schliesslich jedes Opfer bringen und würde sich
durch Zärtlichkeiten, Vorspiegelungen, Versprechungen — es geschah ja nur aus
Mitleid für sie, wie er meinte — jedenfalls bei Seite schieben lassen. Schliesslich
würde sie der Gewalt nachgeben. Er musste Zeit gewinnen. Und war er erst
einmal mit Edith verbunden, so musste sie sich eben in das Unabänderliche fügen.
Er war entschlossen. Kühl, fest ging er zu ihr hinüber.

Wanda hörte seinen nahenden Schritt. Ihre stolze, üppige Gestalt flog
fi eudedurchzittert vom Sofa empor. Ein verlorener Blick streifte den Spiegel.
Sie fühlte sich im Vollbesitz all ihrer leuchtenden dunklen Schönheit, die ihn ja
stets bezwungen hatte.

Ruthard stand vor No. 47. Er bemerkte jetzt, dass das Zimmer dem Flur-
fenster gegenüber lag. Das war die Lage von Ediths Zimmer in der Etage
unter ihnen. Er stand also über ihrem Gemach, wenn er das Wandas betrat.
Sie konnte aufhorchend in der nächsten Minute seinen Tritt vernehmen. Er sah
sie beide plötzlich wie von einem Blitzschein beleuchtet vor sich auftauchen: wie
leuchtende Gegenwart und verblassende Vergangenheit. Nimmer durfte Ediths
Lichtgestalt dem schönen Zigeunerweibe Auge in Auge begegnen!

Leise, ohne angeklopl't zu haben, öffnete er. Er trat in die Thür. Wanda
flog ihm mit lachenden Augen hell aufjauchzend entgegen. Er stand finster noch
in der Umrahmung der Thür. „Rico !“ jubelte sie auf und umschlang, während
sie ihn in das Zimmer zog, stürmisch seinen Hals.

Er wehrte sie gemessen ab. „Wanda, warum gehorchtest du nicht?“

„O Gott, was ist Dir, Rico, bist Du krank? Rico, sieh mich doch an!“

Sie hing sich angstvoll und beschwörend an ihn. „Nur ein Wort!“

„Warum gehorchtest Du nicht?“ fragte er mit unterdrückter Heftigkeit.

„Ich konnte nicht anders, Rico. Ich musste zu Dir.“

„Du wirst nicht hier bleiben können,“ gebot er streng.

„Um Gottes willen; was ist denn mit Dir?“ klagte sie. „So sieh mich doch
nur freundlich an. Was willst Du von mir?“ fuhr sie plötzlich erschrocken zurück.
„Ich sage Dir, Du verlassest noch in dieser Stunde wieder das Hotel.“

ie menschlichen Leidenschaften. Marmorrelief von J. Lantbeaux. Die
heutigen belgischen Künstler haben von ihren grossen Vorfahren entschieden
die Wucht der Farbe und Ausführung geerbt. Die moderne vlämische Plastik
besonders weist offenbar auf die Wege hin, die einstens Rubens und Jordaens
gewandert, auf jene Vollsaftigkeit, die noch heute das charakteristische Merkmal
des niederdeutschen Stammes ist. Jener spätmittelalterlichen Fürsten im Reiche
der schönen Künste würdigster Jünger nun ist ohne Frage J. Lambeaux, der
heute 46 Sommer zählende, aus Antwerpen stammende Meister, der Schöpfer
des Brabo-Brunnens vor dem dortigen Stadthause. Lambeaux hat von jeher
durch die unbändige Kraft seiner Entwürfe und Werke geglänzt, durch das
Leidenschaftliche und die Farbe, die aus allen seinen Gruppen und Büsten
spricht. Alles das konzentriert und durchgeistigt aber hat er in seiner letzten
grossen Arbeit, in dem Kolossalrelief „Die menschlichen Leidenschaften“, welches
die belgische Regierung in einem eigens für diesen Zweck erbauten Tempel im
Cinquantennaire-Park zu Brüssel aufstellen liess. J. Lambeaux wollte in diesem
riesigen Steingebilde verewigen, was uns Menschen bewegt, heiligt und erniedrigt;
er wollte in ihm die Summe unserer Tugenden und Laster ziehen, mit einem
Worte, das Ergebnis unserer Leidenschaften. Die reine Liebe der Mutter und
die keusche Liebe des Jünglings und der Maid stellte der Meister der brutalen
Liebe, die Orgien der Freude denen des Krieges gegenüber. Er liess Gott und
den Teufel, Adam und Eva, Kain und Abel auftreten und personifizierte in
ihnen unsere seligen und unseligen Regungen. Er stellte den christlichen Mär-
tyrer als ein Erzeugnis der religiösen Leidenschaft dar und liess den grinsenden
Tod seinen Mantel ausbreiten, denn ihm fallen wir schliesslich alle heim, mögen
uns gute oder böse Leidenschaften bewegen. Hass, Neid, Habgier fehlen in
diesem Relief nicht, vor dem man allerdings im ersten Augenblick etwas wirr
und bestürzt steht, sobald aber das Auge beginnt, die gewaltige Felswand in
Gruppen zu gliedern, fühlt sich unser Herz tief bewegt von dieser Bergpredigt,

„Rico, mein schöner Rico, was habe ich Dir denn gethan? Rico, liebst Du mich
nicht mehr? So rede doch. Alles thue ich für Dich, nur stosse mich nicht von Dir!“
„Wenn Du mich liebtest, hättest Du meiner Bitle gefolgt.“

„Ich kann Dich ja nicht verlassen, so nicht! So verstehe es doch, mein
Liebster!“ flehte sie und umschlang ihn in erneuter heftiger Zärtlichkeit. Ihre
Brust wogte ungestüm an der seinigen. „Ich lasse Dich nicht!“

Er suchte sich in ruhig bestimmter Weise von ihr los zu machen. Edith,
unter ihnen musste ja ihre kämpfenden Schritte vernehmen.

„Du bist mir untreu!“ schrie sie plötzlich, ihn angstvoll forschend anstar-
rend, indem sie krampfhaft seine Arme erfasste.

Er schüttelte abwehrend und erbleichend den Kopf: „Sei vernünftig!“

„Wo ist das Weib, das Dich mir stahl?“ fuhr sie mit loderndem Blick auf ihn zu.
Er schloss ihr bestürzt mit der Hand den Mund. „Wanda, so beruhige Dich
doch, ich bitte Dich darum.“

„Du bittest mich, Rico? Nicht wahr, Du bist nur krank? Sage mir das. So
recht lieb sieh mich an. Du bist ja mein Stern, mein alles, das weisst Du!“
Er machte sich jetzt mit ruhiger Energie von ihr frei. „Komm, Wanda,“
sagte er freundlicher, „hierher, zu mir,“ und zog sie dabei nach dem Lehnstuhl
am Sofa. „Sei vernünftig, Kind, und höre mich an.“

Sie warf sich, ihr schweres rauschendes Seidengewand emporziehend, vor
ihm nieder, sich an ihn pressend, verzweifelt die Hände in seinem Schooss in-
einander ringend, und sah in gespanntester Erregung in sein Antlitz empor.
„Sage mir alles,“ lechzte sie, „Rico, — alles!“

„Nun ja, ich bin in der That ein anderer geworden.“ Er stockte.

„Du liebst eine andere!“ schrie sie, mit verzweifelten Mienen eine Antwort
von ihm erflehend.

„Ich weiss es selbst nicht,“ antwortete er wie verstört und finster vor sich
hin brütend. — „Ist sie schön?“ stiess sie angstvoll, bebend hervor.

„Ich bitte Dich, Wanda, frage mich nicht weiter. Du kannst es nicht ver-
stehen. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Es geht vielleicht vorüber. Glaube
es mir, das Wesen, von dem ich spreche, weiss nichts von meiner Neigung.“
„Sie weiss nichts? Und Du sprichst die Wahrheit, Rico?“

„Ja,“ antwortete er mit offener kalter Bestimmtheit.

„Aber wird sie Dich wieder lieben? Sage es mir. Ist sie schöner als ich?“
„Kind, ich kann, ich weiss Dir nichts weiter zu sagen, nur dass wir uns —
vorläufig — trennen müssen“.

Wanda brach aufschluchzend und schwer niederfallend auf seinem Schooss
zusammen. Das Gewoge ihrer schwarzen Locken fiel wirr über ihre weissen
Schultern. Er fühlte das schluchzende Zucken ihres ganzen Körpers an dem
seinigen und sah angstvoll und verzweifelt nach der unverschlossenen Thür hin-
über. Mitleid und mehr noch Besorgnis regten sich in ihm. Das war das schöne
Geschöpf, das jahrelang sklavisch jedem seiner Blicke gefolgt war. Er stützte
schwermütig und wie ermattet den Kopf in die Hand, aber er hatte nicht mehr
den Mut, die Verzweifelnde zu belügen. Endlich streichelte er leichthin ihre
Lockenfülle, und fast mitleidig kam es von seinen Lippen: „Mein armes Kind.“
Sie stiess seine Hand heftig bei Seite. [Fortsetzung folgt.]

J^ildeR ^3^

von diesem steinernen Gedicht, das uns in erhabener künstlerischer Vollendung
und mit einer unvergleichlichen Wucht und Kühnheit sagt, wie wir sind und
wie wir nicht sind. A. R.

*p. von Wodzinsk.is „Guitarrespielerin“ giebt einer leidenschaft-
lichen Gefühlsglut künstlerischen Ausdruck. Wie die Augen der Spielerin glänzen!
Wie ihr üppiger Mund leise stammelnd sein Lied singt! Wie die Finger fast
zuckend in die Saiten greifen! Wir können uns den Gesang der Spielerin nicht
anders denken als ein sehnsuchtdurchflammtes, heisses Liebeslied, dessen ver-
haltene Glut Sinn und Gemüt durchdringt.

Jfl. Seiferts Bild: „Morgenrot“ ist hauptsächlich dadurch interessant,
weil es in der Darstellung des seit Jahrhunderten bildnerisch verherrlichten
Sujets modernen Geschmack mit hergebrachter Tradition und zwar in echt
künstlerischer Weise verknüpft. Auf antiken Bildwerken erscheint Eos meist
als jugendliche vollbekleidete Frau mit Flügeln; später kam sie auch in gelbem
Gewände auf einem Wagen mit geflügelten Rossen vor oder mit zwei Krügen,
aus denen sie der Natur Tau spendet. A. Seiferts „Morgenrot“ scheint, getragen
von den Schleiern des Morgennebels, lichtspendend, erfrischend und erheiternd
über Thal und Höhen zu schweben.

:t; :j:

*peder Kunstfreund wird sein Auge gern auf dem „ländlichen Feste“
von Meister L. Knaus ruhen lassen. Wer sich die Zeit nimmt, die vielen
kleinen Gestalten und Gruppen der Reihe nach aufmerksam zu betrachten, der
wird immer wieder aufs neue erfreut werden durch den Humor, der sich oft
in den kleinsten Zügen ausdrückt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der
Künstler mit sicherem Geschmack und vollendeter Kompositionstechnik all die
vielen Details sehr wirkungsvoll zu einem Gesamteindruck verflochten hat.
 
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