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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Lohmeyer, Julius: Alpenglühen, [4]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0111

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MODERNE KUNST.

5*

An Ediths Mitkommen war
ja nicht zu denken. Es war
klar, er musste allein reisen und
mit Otto die geplanten Partien
allein unternehmen. Sehr hart für
den Jungen! Dann erst konnten sie
gemeinschaftlich Edith abholen.

„Fatal! Recht fatal! Der ganze
Plan umgestossen!“ murrte er.

Ruthard dagegen übersah mit trium-
phierender Genugthuung die für ihn
glückliche Situation. Der Rat musste ihm
das Feld überlassen. Nun war alles gut!

Der Professor bedauerte jedoch höf-
lich das unterbrochene Zusammensein,
und der Rat beurlaubte sich bis zur
Abendtafel.

Ruthard eilte, von einer Wolke be-
glückender Hoffnungen umgeben, nach
seinem Zimmer hinauf.

Wenige Minuten, nachdem Ruthard
in sein schon im Dämmerlicht ruhendes
Gemach getreten war, steckte Fritz vor-
sichtig den Kopf durch die Thür, wies
nach einer auf dem Tische liegenden
Visitenkarte und teilte Ruthard mit, dass
die Dame auf 47, die gegen vier Uhr hier
eingetroffen, auf den Herrn Professor
warte. Ruthard wandte sich erschrocken
um und antwortete nicht. Er biss sich
auf die Lippen. Die Thür schloss sich
hinter ihm. Er stürzte auf den Tisch zu,
griff nach der Karte und las: „Frau
Wanda von Merewsky.“ Mit dem Aus-
druck tiefen Verdrusses, mit dem Kopf-
schütteln unmutiger Empörung warf er
die Karte auf die Decke.

„Der reine Wahnsinn!“ knirschte er.
„Mir das anzuthun!“ Dann schritt er, die
Hände in den Taschen, einige Minuten
wie fassungslos im Zimmer auf und ab.
Jetzt blieb er stehen und bohrte in schar-
fem Nachsinnen die Blicke vor sich in
den Boden. „Fort muss sie, das ist klar;
und noch heute! Eine Albernheit ohne
gleichen! Ich hatte ihr doch befohlen!“
Plötzlich tastete er nach der Stirn. Wo
war doch das letzte Billet geblieben, das
er gestern beim Morgenkaffee, als der
Oberkellner ihnen die Post brachte, Ediths
wegen, ungelesen bei Seite gesteckt hatte?
Ah, in der Brieftasche musste es sein!
Richtig, da fand es sich. Er riss das
rosa Couvert auf und las die etwas un-
geübten, leidenschaftlich grossen Schrift-
züge: „Brunnen. Lieber Rico! Deine
soeben empfangene Depesche beunruhigt
mich. Du verbietest mir den Dir ange-
kündigten Besuch. Was soll das heissen?
Ich komme morgen früh. Ich muss Klar-
heit haben. Mich foltert Eifersucht. Wie
freutest Du Dich, als ich Dich im vorigen
Jahre nach Innsbruck hinunter bestellte.
Ich komme also morgen. Deine Wanda.
Postskriptum. Ich habe Pichlowitz und
das Vorwerk verkauft.“

Was nun? Er kochte vor Verdruss.
Wie sollte er die heissblütige Freundin
abweisen, beruhigen? Endlich wurde
er ruhiger. Er war entschlossen. Mit
Ueberredung oder Gewalt. — Sie musste
A. Seifert: Morgenrot. ““ “"'‘FS?Ld>kSnB"‘ph,*ch“ fort! Er musste sie zur Wiederabreise

würde, Ihren eingelebten Zu-
kunftsbau zu zerstören, und
so notwendig der Keim des Un-
genügens in ihr eigenes und Ihr
erträumtes Altersglück getragen
werden müsste.“ Ruthard sah den
Rat, in der Besorgnis, sich viel-
leicht verraten zu haben, scheu an.
Der Alte schaute allerdings sehr er-
staunt zu Ruthard hinüber, bald aber er-
widerte er ruhig: „Das erscheint mir denn
doch ausgeschlossen. Nun, Sie werden
ja die beiden im Verkehr mit einander
sehen, und Ihre freundlich geäusserte Be-
sorgnis wird sich dann wohl zerstreuen.
Die beiden erscheinen in der That, sich
ergänzend, für einander geschaffen.“

„So, so!“ Ruthard erhob sich. „Es
ist immer noch recht heiss geblieben,
Herr Rat, obwohl sich die Sonne neigt.
Ich denke, wir müssen doch heute auf
den letzten Teil unseres Aufstieges ver-
zichten,“ sagte er bestimmt.

Der Alte fühlte sich seit Minuten wie
von einem kalten Hauch berührt. An
eine Neigung des Professors zu dem
Kinde zu denken, kam ihm bei dem welt-
verbitterten Wesen des blasierten Gross-
städters gar nicht in den Sinn, und als
ihm der Gedanke doch einmal flüchtig
aufstieg, verwarf er ihn lächelnd als einen
völlig undenkbaren.

Er stimmte also dem Abstiege zu
und beide Männer schienen von jetzt an
ihren eigenen Gedanken nachhängen zu
wollen. Ruthard schwieg, und auch der
Rat war immer wortkarger geworden.

Der Professor sah plötzlich seine
Hoffnungen ängstlich bedroht. Fast er-
schien er sich als ein Räuber, der in
das Glück des Alten einzubrechen ent-
schlossen war. Aber seine fortstürmen-
den Gedanken hatten bald alle diese Be-
denken überholt. Er musste sich, koste
es, was es wolle, Ediths versichern, alles
übrige fand sich dann. Und er fühlte
das Mädchen seit gestern in seinem Bann.
Er sah sie von dem Ruhm, dem Glanz,
der ganzen Welt, die er ihr entgegen-
brachte und enthüllte, völlig hingenom-
men und berauscht, in eine Sphäre ihrer
innersten Sehnsucht erhoben, in der sie
als eine Königin an seiner Seite herrschen
konnte. Der Gedanke, in einer Bauern-
klitsche als halbe Magd ihr Leben abzu-
schliessen, musste ihr seit gestern selbst
zur Undenkbarkeit geworden sein. End-
lich wiegte ihn die aufsteigende Erinne-
rung an jene süssvertrauten Dankesblicke
auf dem gestrigen Hinwege, und die
wonnige Minute, in der er das herrliche
Geschöpf an seiner Brust aufgefangen,
in seinen Armen getragen hatte, — aufs
neue in Träume berauschender Hoffnung.

Der Portier trat sofort nach ihrer
Heimkehr an die Herren heran und über-
gab dem Rat eine Depesche. Sie kam
aus Luzern von Otto, der früher als er
hoffte, dort angelangt war. Er bat, morgen
Abend mit ihm in Brunnen zusammen-
zutreffen. Einen Augenblick nur leuchtete
Freude auf dem Gesichte des Alten auf,
dann schüttelte er überlegend den Kopf.
 
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