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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Jesch, L.: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen: Weihnachts-Humoreske
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0211

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Weihnachts-Humoreske von L. Jesch.

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machen. Zudem erinnerte sie ihn gar sehr an seine dahingeschiedenen Eheliebsten.
Sie kochte den Kaffee genau so dünn — belegte die Stullen genau so dick —
und machte die Knödel, genau so zart.

Ja Mutter Zwutschke war siegreich in den Magen des Herrn Rentmeisters
eingezogen und unter den Stammgästen war ein Flüstern, dass sie seit einiger
Zeit auch mit dem Herzen des Herrn Rentmeisters experimentierte.

Das waren aber nur leere Vermutungen. In Wahrheit hatte der Herr Rent-
meister andere Pläne. Er addierte sein Lebensexempel und war zu dem Facit
gekommen, dass zu seinen „zweiundfünfzig“ nur eine „achtzehn“ passte.

Und diese „achtzehn“ stand seit drei Wochen in greifbarer Gestalt vor ihm.
Sie hiess Toni und war Mutter Zwutschkes Nichte. Schwarzhaarig, schwarzäugig;
das reine Teufelsmädel!

Und der Herr Rentmeister zog wieder ein Facit. — „Les extrömes se touchent.“

Ja es war klar — das schwarze Tonerl liebäugelte mit dem „sanften Willi“,
so wurde der Herr Rentmeister genannt, denn er selbst war noch viel sanfter
als seine sanften früheren Lebensgefährtinnen.

„Das Tonerl wollt halt durchaus zu mir,“ sagte Mutter Zwutschke, den
Herrn Rentmeister in ihre Familienverhältnisse einweihend, „und weil sie so ein
blitzsauberes, hübsches Mädel ist, denk ich, sie wär so gerade recht für mein
Geschäft. Meinen Sie nicht auch, Herr Rentmeister?“

Gewiss! Der Herr Rentmeister meinte auch, dass das Tonerl ein blitzsauberes,
hübsches Mädel war. Aber er meinte noch etwas anderes. Er meinte auch
plötzlich, dass der alte Knittel, der seit zwanzig Jahren sein Hofschneidermeister
war, gar nicht mehr chic arbeite; er fand Lackstiefel praktisch — und rote
Kravatten vorteilhaft. Und sein Bart wurde schwarz — vor Aerger über den
immer grössere Dimensionen annehmenden Vatermörder.

Eugen Müller, Königlicher Solotänzer und Tanzlehrer.
W. Kersien phot.

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plötzlich die Thür aufgerissen. Der Herr Rentmeister traute seinen Augen kaum.
Er hatte im Drange der Freude seine väterlichen Gefühle vergessen; und nun
stand der lange, blonde Junge wie ein Mahnbrief da vor ihm.

„Ja, wo kommst Du denn so plötzlich hergeschneit?“ fragte der Herr
Rentmeister mit sauersüsser Miene.

Und der lange Blonde, der ihn nebenbei gesagt lebhaft an die Silberhochzeit
erinnerte, die er gerade jetzt mit der sanften Amalie gefeiert hätte, lachte laut
auf. „Na wo soll ich denn herkommen? Direkt aus Berlin! Wie in jedem
Jahre auf Weihnachtsurlaub! Aber — sag mal, Alterchen, ich komme Dir wohl
nicht so recht gelegen?“

Jetzt fand der Herr Rentmeister die einen Augenblick verloren gegangene
Fassung wieder. Er umarmte seinen Jungen und applicierte ihm ein paar innige
Vaterküsse.

„Ach Unsinn! Im Gegenteil ... es ist mir sehr lieb, dass Du da bist, denn
ich muss Dir eine wichtige Mitteilung machen. Ich will nämlich . . . ich möchte
nämlich . . . ich habe nämlich die Absicht .....*

Und da dem Herrn Rentmeister in diesem wichtigen Moment wieder die
Sprache fehlte, drehte er kurz entschlossen den Phonographen auf.

„Na warte — der wird Dir bald sagen, was ich will.“

„Schrrrrrrr . . . meine liebe Frau Zwutschke! Sie haben oft gesagt, es ist
nicht gut, wenn der Mensch allein ist! Sie haben recht, meine liebe Frau
Zwutschke! Ich will Ihre Worte beherzigen! Sie wissen, meine liebe Frau
Zwutschke, dass ich mich in Ihrem Hause immer wohl fühlte — Sie standen mir
immer als treue Beraterin zur Seite — Sie werden hoffentlich auch verstehen
können, dass es mich drängt, das Freundschaftsband, das uns seit sechs Jahren
verbindet, zu einem innigeren zu schlingen. Ja, meine liebe Frau Zwutschke,

er Herr Rentmeister liebte trotz seiner zweiundfünfzig Jahre noch immer
Wein, Weib und Gesang; und er ging seit einiger Zeit mit der Absicht
um, das mittelste dieser drei schönen Dinge in seinem Hausstand in dritter
Auflage erscheinen zu lassen.

Des Herrn Rentmeisters „Erste“ war eine sanfte Blondine mit dem sanften
Namen Amalie gewesen. Wie sie dann nach zehnjähriger Ehe entschlafen war,
wählte der Herr Rentmeister aus Pietät für sie, die „Zweite“ in genau dem-
selben weissblonden Genre. — Aber die sanfte Emilie folgte der sanften Amalie
und so stand der Herr Rentmeister wieder allein.

Nun hatte es eine Zeit lang den Anschein, als ob der Herr Rentmeister
seinen ferneren Lebenspfad einsam fürbass wandeln wollte. Wie aber das
Liebespfand der sanften Amalie allmählich zu einem langen, blonden Jungen heran-
gewachsen war, der in Berlin studierte, begann es dem Herrn Rentmeister in
seinem vereinsamten Heim immer unbehaglicher zu werden und er wurde der
treueste Frühstücks-, Mittags- und Abendtischgast in der
„Schildkröte“. Die Mutter Zwutschke verstand aber
auch aus dem ff, es ihm so angenehm als möglich zu

[Nachdruck verboten.]

Die Stammgäste lächelten und meinten, es sähe gerade so aus, als ob beim
Herrn Rentmeister „der Rummel zum drittenmale losgehen sollte“.

Aber dem Herrn Rentmeister fehlte der Mut, thatkräftig vorzugehen. Ein
paarmal hatte er schon Anlauf genommen; doch Tonerls schwarze Augen ver-
wirrten ihn so, dass er ins Stottern geriet und über „die Freundschaft, die ihn
mit Mutter Zwutschke verbände,“ nicht hinauskam. Schliesslich hatte das Tonerl
laut aufgelacht. „Aber liebes Rentmeisterchen, so reden Sie doch mit der Tante.“

Mit der Tante reden! Gewiss, das war das Einfachste! Aber das ist leichter
gesagt als gethan, wenn man die unangenehme Eigenschaft besitzt, so leicht ins
Stottern zu geraten. Und diese nicht fortzuleugnende Thatsache war der Punkt,
um den die Gedanken des Herrn Rentmeisters sich seit einigen Tagen drehten.

Plötzlich kam er auf eine gloriose Idee. Er wollte einen Phonographen
kaufen. Wenn weder Tonerls noch Mutter Zwutschkes Augen auf ihm. ruhten,
dann ging es ja mit dem Reden ganz famos! Zudem stand das Weihnachtsfest

vor der Thür — und Mutter Zwutschke wünschte
sich schon lange einen Phonographen.

Am andern Tage stand dann auch der Herr
Rentmeister vor dem kostspieligen Postillon d’amour;
doch wie er mitten im besten Redefluss war, wurde

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