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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Duncker, Dora: Totgelacht: Novelette
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Unsere Bilder, [15]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0465

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2\6

MODERNE KUNST.

Hause heraus- und heute wieder hineingegangen sei: „Gelt Mutter, da hast Du
uns nun, den Hansl und mich.“

Die Rektorin nickte und lächelte ein wenig beklommen. Johannes stand
abgewandt da. Bei Tisch war Lilli von einer nicht zu bändigenden Heiterkeit.
Alles gab ihr Stoff zum Lachen. Die altmodische Einrichtung der Zimmer, die
Zubereitung der Speisen, die Art des Servierens. Man wusste nicht recht,
erheiterte sie nur, was dem Gatten und der Mutter durch Erinnerungen geheiligt
war, oder machte sie sich darüber lustig.

Die Rektorin versuchte es gutmütig ihre Schwiegertochter in ein verständiges
Gespräch zu ziehen. Als es ihr nicht gelang, folgte sie dem Beispiel ihres Sohnes,
der ruhig und scheinbar teilnahmslos am Tische sass. Nur als Lilli auf eine
Bemerkung der alten Minna in lautes Lachen ausbrach, tadelte er sie laut. Sie
zog ein Mäulchen und meinte, dass der ostpreussische Dialekt des Mädchens
unwiderstehlich komisch sei.

Mit dem Achtuhrzug fuhren sie zurück.

Johannes lehnte, trüben, schweren Gedanken nachhängend in seiner Ecke.
Er konnte sich nicht länger belügen. Er musste sich eingestehen, dass die be-
strickende Heiterkeit seiner Frau, die jeden im ersten Ansturm eroberte, nichts
war als eine reizende Hülle über einer Leere. Hatte er sich wieder und wieder
gegen diese furchtbare Erkenntnis gebäumt und gesträubt, seit heute gab es keine
Selbsttäuschung mehr. Die Art wie sie sein Heim betreten und betrachtet, die,
jeden Gefühles bare Weise, mit der sie seiner geliebten alten Mutter begegnet
war, hatten ihr das Urteil gesprochen. Was nun, was nun? Sie war sein Weib
und er hatte aus Liebe um sie geworben!

Er sah nach ihr hin. Sie sass ihm schräg gegenüber, ziemlich in der Mitte
der Bank. Sie lächelte und plauderte in ihrem weichen Dialekt, der hier im
Norden schon genügte, alles wie im Fluge gefangen zu nehmen. Auch heut
hingen die Zunächstsitzenden förmlich an ihren Lippen. Dann brach alles in
lautes Lachen aus.

Er beugte sich weiter herüber, um etwas von dem zu erlauschen was sie

sprach. Worte wie: Urväter Hausrat, abgestandener Kram, zum Schreien
komische Allüren, trafen undeutlich sein Ohr.

Den Zusammenhang konnte er nicht fassen. Zu heftig rasselten Maschine
und Räder, zu laut erschallte das Gelächter zwischen durch.

Nervös rückte er auf seinem Sitz immer weiter vor, bis er sein Gegenüber
fast mit den Knieen berührte. Lilli sah garnicht nach ihm hin, so ganz nahm
der Erfolg, den ihre Erzählung hatte, sie in Anspruch.

„Und nun erst die Tracht der alten Frau! Bei uns würde man gar nicht
verstehen wo man heut noch zu so etwas kommt. Bei uns ist jede Dame chic
und fesch, auch die älteste. — Und dazu die viele, viele Rührung! — Gehn’s
das ist nichts für mich. —“

Johannes war aufgesprungen und hatte seine Frau am Handgelenk gepackt.
Eisern wie in einem Schraubstock hielt er sie. Er war seiner Sinne kaum mehr
mächtig. „Schweig!“ raunte er ihr zu.

Dann sank er wie betäubt auf seinen Platz zurück. Die Zunächstsitzenden
sahen sich verwundert an. Dann bewiesen sie Takt genug, die beiden sich selbst
zu überlassen.

Lilli hatte einen Augenblick Miene gemacht zu rebellieren. Aber sein Blick,
der mit vernichtender Verachtung auf ihr ruhte, zwang sie zum Schweigen.

Ein verzerrtes künstliches Lächeln hatte sich um ihren Mund gelegt.

Johannes sass ganz still, weit zurückgelehnt in seiner Ecke. Die eiskalten
Hände krampfhaft ineinander geschlungen, und dachte nur das eine, und wieder
das eine: Nicht nur leer, sondern roh, herzensroh!

Auf den Heimweg vom Bahnhof sprach er kein Wort. Die Nacht verbrachte
er eingeschlossen in seinem Arbeitszimmer.

Am nächsten Morgen stand sein Entschluss fest, sie musten sich trennen.
Er empfand kein Bedauern bei dem Gedanken, sie aufgeben zu müssen. Er
hatte nur den einen Wunsch, sie nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu hören.
Nichts in ihm sprach mehr für sie. Es führte kein Weg zu ihr zurück. Seine
heisse, ihr ganz ergebene Liebe war gestorben. Sie hatte sie totgelacht.

nsßre

)ur Zeit der altrömischen Kaiser war bekanntlich die Freude an den Tier-
kämpfen aufs höchste angestachelt worden. Man begnügte sich nicht mehr
damit, die Bestien unter einander sich zerfleischen zu lassen, man Hess auch
nicht nur bewaffnete Sklaven gegen wilde Tiere kämpfen, man warf wehrlose
Gefangene den hungernden Tigern vor und ergötzte sich, wie unser Bild: „Zu
den Tigern!“ von F. Melvitte du Mont darstellt, an der wilden Gier der
bösartigen Katzen und der wahnsinnigen Angst des armen Opfers, das mit
Fusstritten in sein Verderben gestossen wurde. Der letzte Augenblick des Aermsten
ist gekommen, denn der Ring, an den er sich klammert, wird ihm nur kurze
Zeit helfen und die Bestie, die sein Gewand erfasst hat, wird ihn im nächsten
Moment zu sich herabziehen.

* *

^piner zarten Empfindung giebt H. Volkmers anmutiges Bild „Duett“
eine künstlerische Veranschaulichung. Auf Flügeln des Gesanges schwingen
sich die Seelen der beiden Mädchen in die Ferne, dem Liebsten zu, der ihrer
harrt, und im zarten Windeshauch die Stimme der Geliebten zu hören meint.

* *

h. L. 1\ ratke „Die letzten Momente des Marschalls Duroc“. Am
Abend des bedeutungsvollen Tages der Schlacht bei Wurzen (1813), während
des Einrückens in das Dorf Mackersdorf befand sich der Marschall Duroc 'an der
Seite Napoleons, als er durch eine Kugel tödtlich verletzt wurde. Der Kaiser
trat bald darauf an das Schmerzenslager des sterbenden Marschalls und hörte
seine letzten Worte: „Mein ganzes Leben war Ihnen geweiht;.ich bedaure nur,
dass ich Ihnen nun nicht mehr nützlich sein kann.“ Zwölf Stunden nach seiner
schrecklichen Verwundung hauchte er sein Leben aus. Unser Bild zeigt Na-
poleon I., gefolgt von den Marschällen seines Heeres, wie er dem totkranken
Helden zum letzten Male die Hand drückt.

* *

^ermann of Sillen: „Abend bei Kopenhagen“. Das Bild veran-
schaulicht in echt künstlerischer Weise die wunderbaren Farbeneffekte, die ent-
stehen, wenn der Sonnenball seine letzten Strahlen über die Meeresfläche sendet.
Der Beschauer wird geneigt sein, das Motiv zu dem Bilde an der Adria zu
suchen; er meint vielleicht in der Kirche ganz rechts die Kuppel von Maria de
Salute in Venedig zu sehen, aber er täuscht sich. Die in Farbenglut getauchte
Stadt ist Kopenhagen. Das satte Gelb und Braunrot bildet einen prächtigen
Farbenakkord, dessen Reiz durch die Spiegelung im Wasser erhöht wird. In
schwarzer Silhouette wie Gespenster huschen die Schiffe durch die farbigen
Wellen, die zu leben scheinen. Denkt man sich nun noch von dem fernen
Turm herüber eine dumpfe Glocke tönen, so verschlingen sich Farbengluten und
Metallschläge zu einem stimmungsvollen, wahrhaft künstlerischen Eindruck, dessen
koloristische Seite auch in unserer Reproduktion bestens zur Geltung kommt.

* *

"Hl?. Kuhnert: „Kämpfende Baisaantilopen“. Durch die Moment-

GRr\b ” 1 1

Photographie hat die künstlerische Darstellung lebender Tiere und ihrer Be-

il d e r.

wegungen eine neue wichtige Förderung erfahren; so dass ein Tiermaler heutigen
Tages bei weitem sicherer arbeiten und seine Bilder viel lebensvoller gestalten kann.

Die Antilopen sind eine der artenreichsten Gattungen der Hohlhörner, für
die sich eine treffende und kurze Charakteristik sehr schwer geben lässt. Haupt-
sächlich in ihrem Vorkommen auf Afrika beschränkt, obgleich auch Asien und
Europa einige Arten aufweisen, vertreten die Tiere hier die Hirsche, die dem
grossen afrikanischen Erdteile fehlen. In den weiten, unabsehbaren Grassteppen
Inner- und Ostafrikas, finden sich die Antilopen in zahlreichen, vielköpfigen
Herden, eine Freude für jeden Waidmann, ein Schmerzenskind in der Viel-
seitigkeit ihrer Formen, dem Zoologen; denn die Gehörne vieler Arten sind ein-
ander so ähnlich, dass sie leicht verwechselt werden können, sie gleichen ein-
ander fast bei Tieren, deren Körpergestalt und Färbung schroff voneinander ab-
weicht. Spiessböcke (Oryx), genannt so nach ihren langen, dünnen „nur wenig
gekrümmten Hörnern, und zwar Baisaantilopen, führt W. Kuhnert in seinem
Bilde vor. Diese Antilope lebt im Somaliland und geht von hier aus bis nach
Oberägypten. Baisa, die im britischen und nördlichen Deutsch-Ostafrika leben,
werden zu einer besonderen Art gezählt, wegen eines langen, dunklen Ohr-
büschels. Nicht unerwähnt sei hier noch, dass diese Antilopen in der Litteratur
des klassischen Altertums als Oryx eine bedeutende Rolle spielen. Dr. E. B.

* *
äOJ? *

jjjt^ax Liebermanns „Flachsscheuer in Laren“ gehört zu den wert-
vollsten neueren Bildern der Berliner Nationalgalerie. Der Künstler lässt in
einen holzverkleideten Arbeitsraum blicken, der links vier und hinten ein Fenster
aufweist. Links sieht man junge Arbeiter und Arbeiterinnen die Holzräder
drehen und damit die Spulen in Bewegung setzen, auf welche Flachsfäden auf-
gedreht werden. Mit Flachsbündeln unter dem Arm sieht man in der Mitte des
Raumes die Spinnerinnen, welche die Fäden zurecht machen. Das Bild ist nach
mehreren Beziehungen hin bewunderungswert. In höchster Vollendung stellt es
das Volk bei der Arbeit dar, nicht diese und jene Spinnerin, auch nicht diese
oder jene bestimmte Arbeitsvorrichtung, sondern gewissermaassen die fleissige
Arbeit an sich. Die Spulen sausen; die Räder surren; die Fäden gleiten;
alle Hände rühren sich. Die Ankommenden bringen neuen Arbeitsstoff; die
Beschäftigten blicken in höchster Aufmerksamkeit auf ihre Arbeit; Alles ist
voller Fleiss; man sieht keine Arbeitshemmung; niemand ruht. Mit höchster
Meisterschaft sind die Gestalten in den vorhandenen Raum gestellt; die Tiefe
des Raumes kommt dem Beschauer unmittelbar zur Anschauung; man muss sich
die grösste Mühe geben, sich vorzustellen, dass auch dieses Gemälde, wie jedes
andere, doch nur eine bemalte Fläche ist, welche die Ausdehnung nach der Tiefe
nur durch die virtuose Behandlung der perspektivischen Hilfsmittel dem Auge
des Beschauers vorlügt: Mit höchster Feinheit ist ferner das hereinströmende
Tageslicht gemalt; die Gestalten stehen im Lichte, sie sind nicht, wie bei Bildern
anderer Meister sehr oft, nur äusserlich bestrahlt. — Wer heutigen Tages das
Bild betrachtet, kann kaum mehr verstehen, wie es noch vor kurzer Zeit Leute
gab, die diesem Bilde den künstlerischen Wert abzusprechen geneigt waren.
 
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