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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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f

[

Johannes Gehrts
Emilia Galotti.

leben, das Prak
tische, das Mate-
rielle steht oben-
an, und wir müs-

das Ausserge-
wöhnliche hin-
weist, und die-
ser Uebergang

iß rheinischen fFesfspiele.

Von Alfred Holzhook.

[Nachdruck verboten.]

„Mit einem Dreiklang grüsst in diesem Jahre der
„Rheinische Goethe-Verein“ seine Freunde. Hatten die
Aufführungen 1899 und 1900 vornehmlich den Zweck

und Sinn einer
Huldigung vor
den unvergäng-
lichen Idealen
der Bildungs-
epoche, die
durch dieNamen
Goethes und
Schillers ge-
weiht, jedem
Streit der
Meinungen und
Parteien über
ihren geistigen
und künstle-
rischen Wert
enthoben ist, so
führt die heutige
Fei er, rückwärts
und vorwärts
blickend, mitten
hinein in die
Kampfarbeit,
die der grossen

Max Grube, a ui i- a

Abklärung des

Klassizismus vorangehen und ebenso naturgemäss ihr
folgen musste. Drei grosse Etappen in der Entwick-
lungsgeschichte des deutschen Dramas bringen uns die
drei Namen Lessing, Kleist und Hebbel vor die Seele.“

So charakterisiert der ausgezeichnete Bonner Litte-
raturprofessor Berthold Litzmann in seiner Festschrift
die litterarische Bedeutung der rheinischen Festspiele.
Die litterarische Seite soll gewiss nicht unterschätzt
werden, aber sie allein hätte nicht vermocht, diesen
Spielen das Relief von etwas Aussergewöhnlichem zu.
verleihen.

Die rheini-
schen Fest-
spiele steigen
von ihrer litte-
rarischen Be-
deutung zu
einer natio-
nalen empor,
sie sind als
eine Insti-
tution aufzu-
fassen, in der
ein Stück vom
deutschen
Idealismus
sich Geltung
verschafft.

Es ist ein
Idealismus auf
Zeit, auf Kün-
digung. Man
kann nicht das
ganze Jahr
hindurch von
idealen An-
schauungen sen es schon mit

Freuden begriissen, wenn sich nur hin und wieder in
der Seele des Menschen und des Volkes etwas regt,
was frei und rein ist von allem Profanen. Es kommt
darauf an, dass dem Volke die Fähigkeit, Ideales zu
erfassen, bewahrt bleibt.

In Düsseldorf am Rhein spielt sich alljährlich im
Juli so ein Stückchen Idealismus auf Zeit ab, offenbart
es sich, wie sehr es den Deutschen zu Ereignissen hin-
zieht, aus denen ein ideeller und ein nationaler Geist
weht. Aus der Düsseldorfer Goethefeier des Jahres
1900 haben sich die rheinischen Festspiele entwickelt.
Ein Goetheverein bildete sich (kein Bund, der alle mög-
lichen Ziele in’s Auge fasste, und durch seine Thaten-
losigkeit mehr von sich reden macht, als durch seine
Thaten) ein Verein, der etwas Positives wollte und
auch erreichte. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht,
alljährlich im Sommer Bühnenwerke grossen Stils durch
auserlesene Kräfte deutscher Schauspielkunst im Düssel-
dorfer Stadttheater aufzuführen.

Weit über die rheinische Kunststadt hinaus, in
den ganzen Rheinlanden fand diese Anregung ein
freudiges Echo, und Künstlerschaft, Bürgerschaft und
Beamtentum traten hierfür mit gleicher Begeisterung

ein. Die Begeisterung für das Hohe und Wahre liess
diese Festspiele verstehen und wird ihnen auch in Zu-
kunft als Grundlage und Entwicklung dienen. Und
wenn der Juli in’s Land zieht, wenn der Mensch den
Staub des Alltagslebens abzuschütteln sich bemüht und
in der Natur Erholung sucht, dann erscheint die Künstler-
stadt im Rheinlande wie eine abgeschlossene Welt für
sich, die mit der Welt da draussen nichts gemein hat.
Da draussen ist das Leben hart, blutig und ernst, da
ringen und kämpfen sie um die materiellen Güter, hier
aber sieht um jene Zeit die Welt in Düsseldorf so aus,
wie ein apartes Stück Erde, auf der nur das Schöne
und Sonnige, die Begeisterung und die Kunst herrschen.
Das Stadttheater, das an diesen Abenden die Stadt
mietsfrei zur Verfügung stellt, ist festlich ausgeschmückt,
Blumen in allen Farben schmücken das Haus, vom
Plafond fallen sie herab, ranken sich um die Logen-
brüstungen und winden sich ungezwungen zu Guir-
landen, die sich zu einer prächtigen Krone formen.
600 Mitglieder zählt der rheini-
sche Goetheverein, dessen Mission
ja in der Erhaltung und im Aus-
bau der Festspiele besteht, und
alle diese Mitglieder haben ein
Vorrecht bei der Verausgabung
der Billets. Man kann behaupten,
dass die ganze wohlhabende
Intelligenz der Rheinlande dem
Goetheverein und in Folge dessen
der Besucherschar der Düssel-
dorfer Festaufführungen an-
gehört. Das ernste, vornehme
Gesellschaftsbild, das sich im
Zuschauerraum entwickelt, har-
moniert wohlthuend mit dessen
künstlerischer Ausschmückung.

Mit Hebbels machtvoller
Tragödie „Die Nibelungen“ be-
gannen die Festspiele. Man
braucht kein Anhänger von Pro-
logen zu sein, und wird doch
empfinden, dass es theatralische

Ereignisse
giebt, bei denen
diese Form der
Ouvertüre
nicht zu ver-
meiden ist.

Im Getriebe
des täglichen
Schauspiel-Ge-
schäftes würde
der Prolog bald
verflachen.
Eine Festspiel-
Aufführung
soll keine nor-
male Theater-
aufführung
sein,und darum
musste grade
hier zwischen
den üblichen
und den Fest-
vorstellungen
ein Uebergang
gefunden wer-
den, der auf

musste durch
einen Prolog
gekennzeichnet
werden, der
von der pro-
fanen Theater-
stimmung zur
weihevollen
Festspielstim-
mung hinüber-
führt. Von der
Bühne herab
ertönte, was in
gigantischen
Charakteren,

Vorgängen und
Worten ein
deutscher Dich-
ter geschaffen
hat, in reiner
Begeisterung,
und diese fand
bei den Hörern
einen innigen

und lauten Widerhall. Seit den Tagen der Düsseldorfer
Goethefeier bildet das Kgl. Schauspielhaus zu Berlin die
künstlerische Grundlage der rheinischen Festspiele, deren
Leiter natürlich der Kgl. Oberregisseur Max Grube ist.
Grubes Regiekunst erreicht in Dramen grossen Stils
einen Höhepunkt, wie er heutzutage auf unseren Bühnen,
die den modernen und den klassischen Stil weder in
der Inscenierung noch in der Behandlung des Dialogs
auseinander zu halten wissen, leider zu selten zu finden
ist, und für scenische Veranstaltungen, die etwas Grosses,
Pompöses, Weihevolles erfordern, giebt es jetzt viel-
leicht nur einen Regisseur, eben Max Grube, der in
klassischen Bühnenwerken äusserliche Wirkungen mit
fein künstlerichen Stimmungen harmonisch zu einen
weiss. Goethe ued Schiller beherrschten die Festspiele
der Jahre 1899 und 1900, die von 1901 waren neben
Hebbel und Kleist in erster Reihe Lessing gewidmet,
dessen drei Meisterwerke „Nathan“, „Minna von Barn-
helm“ und „Emilia Galotti“ zur Aufführung gelangten.

Mit den Mitgliedern des Schauspielhauses verbanden
sich erstrangige Kunstkräfte anderer Bühnen zu ihrem
und der Festspiele Ruhm und Ehre.

Den tiefsten und abgeklärtesten Eindruck rief die
Nathan-Aufführung hervor, in der Sonnenthal die Titel-
rolle mit voller, hinreissender Wärme sprach und spielte.
Frau Johanna Busca, die Gattin Angelo Neumanns, re-
präsentierte in dieser Aufführung die Sittah; ihre vor-
nehme Künstlerschaft bewährte sich auch in dieser
Nebenrolle, kam jedoch erst als Minna von Barnhelm,
die von ihr mit leichtem, distinguiertem Charme, mit
feinem Humor dargestellt wurde, zur vollen Geltung.
Von den übrigen Gästen interessierten in erster Reihe
Fritz Odemar, der namentlich als Dorfrichter Adam
durch seine saftige, breite, sich aber stets in den Grenzen
des Künstlerischen und Lebenswahren haltende Komik
erfreute, Karl Wiene, der als König Etzel, insbesondere
aber als Derwisch sich als ein erstklassiger Charakter-
darsteller voll Eigenart und Schärfe bewährte, der un-
vergessene Meininger Leopold Teller, Frau Pospischill,
die der Brünhilde einen Zug ins Grosse gab, sowie
Frau Teller-Habelmann, die vortreffliche Künstlerin und
Lehrerin, die Brünhildens Amme Frigga in wohldurch-
dachter Weise interessant verkörperte. Aber zwischen
dem Sprechstil der Damen Pospischill und Teller-Habel-
mann, der dem Pathetischen . sein volles Recht ein-
räumt, und dem
Schauspiel-
hausstil, der,
wie es in gross-
artiger Weise
Rosa Poppe als
Krimhild und
Gräfin Orsina,
Matkowski als
Siegfried und
Tempelherr,
Krausneck als
Kottwitz und
Volker undMo-
Ienar als Hagen
und Odoardo
offenbarten,
den grossen
Worten eine
ungezwungene
natürliche Fär-
bung verleiht,
ist einmal ein
Widerspruch.

L

XV. 25 B.
 
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