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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Jesch, L.: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen: Weihnachts-Humoreske
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Krohn, C.: Kinder auf der Bühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0212

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94

MODERNE KUNST.

Elly Rothe als „Elfchen“.
Achill de Veer, Berlin, phot.

ich will mir den Stern, der meinen
Lebensabend erhellen soll, aus Ihrem
Hause holen — und wenn Fräulein
Toni . . .“

Was der Phonograph weiter plau-
derte, hörten die beiden gar nicht
mehr, denn der blonde Junge war
hastig aufgesprungen.

„Wie?!“ schrie er den Phono-
graphen übertönend, „Toni?! Nicht
Frau Zwutschke“?

Da lächelte der Herr Rentmeister
holdselig.

„Nein, mein Junge, nicht Frau
Zwutschke! Aber fürchte nichts! Wenn
Du Frau Zwutschkes Nichte erst
kennen wirst . .“

„Du . . Du willst die . . Nichte von Frau Zwutschke heiraten?“

„Ja, mein Junge! Sie ist ja noch ein bischen jung . . aber . . aber ich
hoffe . . Du wirst ihr . . Achtung . . und . . und . . Liebe entgegenbringen . . .“
Die Schreckensmiene war schnell wieder aus dem Gesicht des blonden
Jungen gewichen und um seine Mundwinkel zuckte es gar sonderbar.

„Sei unbesorgt, Alterchen, ich werde ihr Liebe entgegenbringen. Aber . „
was willst Du denn nun mit dem Phonographen?“

Der Herr Rentmeister machte eine verlegene Miene.

„Ja siehst Du, mein Junge — ich bin nun einmal kein Redner . . und da
soll . .“

„Ah . . hm . .“ machte der blonde Junge nickend. „Na dann pack’ nur die
Walze recht sorgsam ein, damit sie nicht lediert wird. Das kommt nämlich
manchmal vor. Ja *— und Wann willst Du denn? . .“

Der Herr Rentmeister lächelte wieder ganz selig.

„Am Weihnachtsabend — Frau Zwutschke hat uns eingeladen.“

„Also eine Weihnachtsüberraschung?“ Der blonde Junge lachte verschmitzt
und reckte den Hals, um besser sehen zu können, wohin der Herr Rentmeister
den Schrankschlüssel legte. — — — — — — — — ■— — — — — — —
Mutter Zwutschke schlug vor Staunen die Hände zusammen.

„Nein, aber so was! Ihr kennt Euch schon von Berlin her?“

„Ja, Mutter Zwutschke! Und weil wir uns schon so lange nicht gesehen
hatten und Weihnachten zusammen feiern wollten.“

„So? Also die Mutter Zwutschke war nur der Notnagel?“
unterbrach Frau Zwutschke den blonden Jungen. Der aber fasste
lachend nach ihrer Hand.

„Nein, Mutter Zwutschke! Weil das Tonerl keine andere Tante
so gern hat und weil mein Alterchen, dem ich eine Weihnachts-
überraschung damit machen wollte, sie doch kennen lernen sollte.“

„Na na — was wird der Herr Rentmeister bloss dazu sagen?“

„Ich wünschte, er macht mir’s nach, Mutter Zwutschke.“ Mutter
Zwutschke musste plötzlich nach den Karpfen sehen und da sie
voller Eifer hinausrannte, ent-
ging es ihr, wie der Franz dem *y* • ? ~

Tonerl schelmisch blinzelnd
etwas zuflüsterte; und es musste
etwas sehr lustiges sein, denn
das Tonerl klatschte vor Ver-
gnügen in die Hände. --—

Ein paar Stunden später
packte der Herr Rentmeister

~1

Mutter Zwutschke betrachtete erstaunt den grossen Kasten.

„Nein, Herr Rentmeister, dass Sie sich in solche Unkosten stürzen .“
Aber der Herr Rentmeister, der die Glacös noch an hatte, machte eine wahre
Bellachini-Miene. Er stellte den Kasten auf den Tisch, machte ein paar
Menuettschritte und eine einladende Handbewegung, der Frau Zwutschke
neugierig folgte.

Und dann standen sie alle um den Tisch herum. Frau Zwutschke in
der Mitte; zu beiden Seiten das Tonerl und der Franz. Und der Herr
Rentmeister stand hinterm Tisch und stellte den Phonographen auf.

„Liebe Frau Zwutschke“, begann er mit etwas unsicherer Stimme, denn
das Tonerl lächelte ihn gar so verschmitzt an; „liebe Frau Zwutschke;
ich habe diesem Phonographen meine geheimsten Gedanken und Wünsche
an vertraut! Er wird — er soll . . . ich . . ich werde ....,“

Es ging nicht weiter und der Herr Rentmeister empfand jetzt so recht
die Grossartigkeit seiner Idee. Mit wahrer Triumphatormiene zog er den
Phonographen auf. Aber sein Lächeln
wandelte sich plötzlich in Entsetzen.

„Schrrrrrr „Komm’ Karlineken, komm’

Karlineken komm’ . .“ Klipp-klapp. Die
Walze stand.

„Ach entschuldigen Sie, F rau Zwutschke,
es war nicht die richtige Walze“, stotterte
der Herr Rentmeister aufgeregt.

Kurt Müller

als Knabe in der „Puppenfee
P. Opitz, Nowawes, phot.


Erna Gageike in dem Ballett
„Phantasien im Bremer Ratskeller“.

A. Grundner, Berlin, phot.

„Na, das will ich meinen“ sagte
Frau Zwutschke ein .wenig pikiert.
Das Tonerl musste plötzlich husten und
der Franz suchte etwas unterm Tisch.

„Schrrrrrr . . .“

„Aber jetzt!“ Mutter Zwutschke
war gespannt wie ein Fiedelbogen.
Sie neigte sich ganz dicht
an den Trichter. — Plötz-
lich prallte sie zurück.

du musst ..."


Gretchen Müller als „Page“
in „Lobetanz“.

Carl Müller, phot.

Gretchen Schlenker
als kleiner „Teil“.

Carl Müller, Berlin, phot.

„Du bist verrückt mein Kind
klipp-klapp. Frau Zwutschke wollte ohnmächtig
werden. Aber der Herr Rentmeister sprang schnell
um den Tisch herum und fing sie in seinen
Armen auf.

„Meine liebe Frau Zwutschke . . ich begreife
wirklich nicht . . das muss ein Versehen sein . ,
die Walzen hab' ich ja garnictn gekauft . . das . .
das geht nicht mit richtigen Dingen zu . . .“
Plötzlich

den Phono-
graphen
sorgfältig
ein und der
blonde
Junge stand
dabei.

„WillstDu
die zwei
Walzen

nicht auch mitnehmen?“ fragte er listig lächelnd.
„So ein paar lustige Stückchen gehören doch mal
dazu und wenn man erst in Stimmung ist . .“
Und der Herr Rentmeister packte lächelnd
die beiden Walzen mit ein.

Erna Nitter in „Die roten Schuhe“.
Francois Cornand, Berlin, phot.

stand der
Franz an
dem Phonographen.

„Jetzt kommt die rich-
tige Walze! Passen Sie auf,
Mutter Zwutschke“ rief er
über den Tisch und in der
Aufregung vergass Frau
Zwutschke, dass sie noch
immer im Arm des Herrn
Rentmeisters lag. Und auf
einmal strahlte ihr Gesicht
wie eine Glühlampe.

„Na, liebes Rentmeister-
chen, warum haben Sie denn
das nicht gleich gesagt?“ —
Ja — was war das wieder? ..

Marg. Marquardt, König!. Opernhaus,
Carl Müller, Berlin, phot.

Erna Müller in „Deborah“.
Krüger &■ Skowranek, phot.

Edith Krohn als „Zigeunerkind“.
Atelier Scheurich, phot.

MODERNE KUNST.

95

Rinder au/ der ]3ühne.

Skizze von C. Krohn.

„Ach Cilli, Cilli, Cilli — wie lieb hat Dich Dein Willi“. — Der Herr
Rentmeister stand mit offenem Munde da, aber es war ihm doch ganz
mollig, wie die runden Arme der Mutter Zwutschke sich fest um seinen
Hals legten. Er stotterte zwar noch etwas von „eigentlich“ und „nicht
richtig“. Aber Frau Zwutschke schüttelte energisch den Kopf.

„Es stimmt schon, Rentmeisterchen! Cäcilie heiss’ ich nur für die
Fremden; mein Seeliger hat mich auch Cilli gerufen und deshalb wär
mir’s lieber -—“

„Ja mir wär’s auch lieber“ unterbrach der Herr
Rentmeister die an seiner Brust ruhende, süsse Last;
und er guckte sehnsüchtig über den blonden Scheitel
hinweg. Plötzlich riss er die Augen weit auf. „Nanu ..
was ist denn das?!“

Und des Herrn Rentmeisters dritte Auflage
lächelte sanft. „Lass sie doch, Willichen! Wie die
Alten sungen, so zwitschern die Jungen.“

^as Bedauern, welches man diesen
jungen Wesen gegenüber unwill-
kürlich hegt, ist zum Glück meist nicht
ganz begründet. Jedenfalls machte ich
in meinem langjährigen, näheren Ver-
kehr mit solchen Kindern die Beob-
achtung, dass sie sich in dieser an-

Erna Dentlere, die kleinste
Spitzentänzerin der Welt.
Julius Staudt, phot.

Else Seelen als junger „Graf
Clarence“ in „Richard III.“
Carl Müller, Berlin, phot.

Lotti Rothe als junger Prinz
in Sudermanns „Drei Reiherfedern"0
Achill de Veer, Berlin, phot.

scheinenden „Quälerei“ durchaus wohl
befinden, ja, in ihrem Beruf sogar eine Art
Kinderglück gemessen, welches sie so leicht
nicht entbehren wollten! Das berüchtigte
Lampenfieber, gegen welches selbst die
Primadonna nicht gefeit ist, kennen diese
kleinen Bühnengeister meist nur vom „Hörensagen“. Das Treiben hinter den
Coulissen und in den Garderoben dient ihnen zur Belustigung. Dass
es da hinten nicht immer musterhaft artig hergeht, muss man zu-
geben, doch hält man die Kleinen unter strenger Disciplin. Die
Kinder der Privatbühnen sind gewöhnlich von recht bescheidenem,
wohlerzogenem Wesen, während man im Ballett naturgemäss auch
manch keckes, altkluges Mäulchen findet, weil dieselben viel schäd-
licheren Einflüssen ausgesetzt sind. Man darf nur erstaunen, bei
den kleinen Tänzerinnen überhaupt, noch auf kindliche Züge zu
stossen, und ihre Ausdauer bewundern, mit der sie ihrer schwierigen
Kunst obliegen. — Die eigentlichen Doyens der Berliner Theaterkinder
sind die fünf blonden Geschwister Müller, welche einst am Deutschen
Theater spielten, und dann für Jahre mit hohem Gehalt an das

Berliner Theater engagiert
wurden. Sie kamen alle bereits
mit drei Jahren zur Bühne, und
Gertrud sowie Gretchen ver-
fügten schon im kindlichsten
Alter über ein ganzes Reper-
toire. Besonderen Erfolg hatte
Gertrud Müller seit ihrem elften
Jahre als kleiner „König Hein-
rich“, den sie über 200 Mal
spielte, und Gretchen als
„Homunculus“, eine ebenfalls
schwierige und lange Rolle im
„Faust“ II. Teil. Mit Frau
Prasch-Grevenberg feierte
letztere auch Triumphe als
„Toto“ in „Zaza“, wie sie
auch nach und nach die Rollen

[Nachdruck verboten.]

ihrer Schwester Gertrud: „Walter Teil“, Götz-
knabe, „Louison“ u. s. w. übernahm. Als letztere,
sowie als „ Julius “ in den „Wohlthätigen Frauen “
gastierte Margarete Müller sogar im Königlichen
Schauspielhaus mit grossem Beifall, und jedenfalls
ist von den jungen Künstlerinnen viel zu hoffen.

Es war in Paris, im Februar dieses Jahres, als
sich nach einem „Nora “-Gastspiel von Agnes
Sorma alles vor dem Theater drängte. Da tritt auch
ein kleines Blondköpfchen an der Hand des Vaters

heraus, und alle murmeln: „O, la petite Prussienne!“ und sehen gerührt auf
das tapfere, liebe Ding. Es ist die kleine Erna Müller, die dritte im Reigen
der Müllerskinder, welche auch schon eine Anzahl Rollen behauptet. Sie
trat mit Adele Sandrock zusammen in „Deborah“ auf. Ihre schönsten
Abende aber erlebte Erna in ihrem Zusammenspiel mit Eleonore Düse. Diese
hatte ihr die Rolle der kleinen „Beata“ in „La Gioconda“
italienisch vorgesprochen, und Klein-Erna sie mit der
Leichtigkeit des sorglosen Kindes gelernt. Von einer
fremden Italienerin in die Salons der berühmten Tragödin
geführt, entzückte das Kind die Düse durch seine zutrau-
liche Unbefangenheit derartig, dass sie ihre Tochter bewog,
mit ihm spazieren zu gehen, und ihm Näschereien zu
kaufen. Sieht Erna die Düse hinten auf der Bühne, so
fliegt sie ihr entgegen, und umarmt sie zärtlich. Die
Düse ihrerseits belustigt sich an den Knicksen ihrer ein-
zigen deutschen Partnerin und knickst ebenfalls im
Vorbeigehen mit reizender Grazie vor der Kleinen. In
Anbetracht, dass das erst 9jährige, kleine Mädchen die
Rolle in einer ihm gänzlich fremden Sprache erlernen
musste, gab ihr Frau Düse ein besonders schönes Honorar

und reiche Geschenke. —
Von den beiden jüngsten
Schauspielern, Erwin und
Kurt Müller, sei ; noch
erwähnt, dass besonders in
dem Kleinsten, kaum Fünf-
jährigen, ein frisches Talent

„ , -v steckt. Eine köstliche Freude

Gertrud Müller ~

als „Spinnweb“ bereitete dem schelmischen

im „Somemachtstraum“. T ; Lockenköpfchen seine Rolle

Krüger Sr Shoioraneh, phot. im Lessingtheater als

„Amor“ in „Murituri“,
die er meist durch
einige Luftsprünge
hinter den Coulissen
einleitet. — Am Deut-
schen Theater wären
Elsa Seelen und die
kleinen Rothes zu
nennen, erstere als
prächtiger „Hans
Dewitz“ im „Probe-
kandidat en“, letztere
im „Fuhrmann Hen-
schel“, „Biberpelz“,

„Versunkene Glocke“
u. s. w. Die 11jährige

Lotti Rothe spielte vor zwei Jahren eine besonders
grosse Rolle als kleiner „Prinz“ in den „Drei Reiher-
federn“. Elsa Seelen, jetzt im 14. Jahre stehend,
interessierte kürzlich besonders durch ihre gewandte
Darstellung der „Anjutka“ in Tolstois „Macht

Margarete Marquardt
als spanische Tänzerin.
Carl Müller, Berlin, phot.

Hedwig Gageike als „Page“ in „Lobetanz“.
Carl Müller, Berlin, phot.

Egon Molkow als Czardastänzer.
Julius Kricheido rjp, phot.
 
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