Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

DOI Artikel:
Kuhn, Hermann Nikolaus: Pariser Tanzkunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0506

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

233

f


Mit 2 Abbildungen.

[Nachdruck verboten,]

3&eit Jahrzehnten schon sind auf dem Pariser Kunstmarkt die Werke des grossen
tD Jahrhunderts und der Zopfzeit nach langer Vernachlässigung wiederum zu
Ehren und Schätzung gekommen. Eine Wirkung dieser Richtung des Geschmackes
ist auch die Wiedereinführung der Tänze derselben Zeit. Namentlich bei dem Besuch der russischen
Seeleute, vor acht Jahren, wurden auf dem Fest im Rathaus solche Tänze von den Künstlern der grossen
Oper aufgeführt, welche ungeheuren Beifall fanden. Seither kommen dieselben noch mehr als früher bei
Balletten und Opern zur Geltung. Denn ganz ist das Grand siede — die Zeit Ludwig XIV. — niemals
auf den Brettern vergessen worden. Ganz im Gegenteil. Die französische Bühne zehrt ebenso wie der
Roman noch vielfach von jenen Ueberlieferungen. Während des Jahres der Weltausstellung, wo doch so
vieles aufgeboten wurde, war merkwürdigerweise Ludwig XIV. stark in den Hintergrund gedrängt. Kein
Stück ging über die Bretter, das in seiner Zeit spielte. Dagegen fand die Kunst des Grand siede eine
glänzende Zufluchtstätte in der Präsidentschaft. Auf dem grossen Gartenfest, welches Herr Loubet zu
Ehren der Aussteller gab, wurde eine gewählte Folge von Tänzen aller Zeitalter aufgeführt, welche den
grössten Beifall, ja Begeisterung, bei den zehn- oder zwölftausend Eingeladenen hervorriefen. Altgriechische,
byzantinische, ägyptische, asiatische, altrömische Tänze eröffneten den Reigen. Dem folgten „Tänze der Bar-
baren“, der alten Gallier, Franken und ähnlichen Völkern mit vielem Waffengeklirr und bunten Trachten. Das
Mittelalter zeigte sich schon abgeschliffener, während eigentlich der Gipfel in den Tänzen der Zeit Lud-
wig XIV. und besonders Ludwig XV. erreicht wurde. Denn die den Schluss bildenden Tänze der Gegenwart
können sich mit denselben nicht messen, obwohl man wohlweislich auch alte Tänze aufführte, welche sich
im Volke erhalten haben.

Alle diese Tänze waren Balletten, Bühnenstücken, Opern entliehen, welche während der letzten Jahr-
zehnte in Paris aufgeführt worden waren. Die Zusammenstellung fand solchen Beifall, dass sie bei dem
Brudermahl der 22000 Maires Frankreichs, im grossen Festsaal der Weltausstellung, auf dem Marsfeld,
wiederholt werden musste. Zu dieser Folge gehören auch die Tänze, welche unsere Bilder
darstellen und von denselben Künstlerinnen aufgeführt wurden. Die Trachten sind ausnehmend
getreu wiedergegeben. Selbst ohne besonderer Kenner zu sein, gewahrt jeder sofort, dass
die Künstlerinnen auch in Haltung, Gebärden, Bewegungen die „alte Zeit“ getreu wieder-
geben. Der Zopfstiel ist ja in Paris nie ganz ausgestorben sondern greift immer noch vielfach
in Kunst, Kunstgewerbe und Mode. Das heutige Frankreich lebt ja noch — was Fernstehende
weniger merken, noch verstehen — gar sehr in den Anschauungen jener Zeit, welche die
französischen Gewohnheiten und Formen gewissermasseii festgelegt hat. Die anmutige Haltung
dieser Tänzerinnen ist so ganz Ludwig XV., auch in vollem Einklang mit ihrer Tracht, ihrem
Putz. So müssen die Marquisinnen am Hofe Ludwig XV. sich bewegt, gebeugt haben, sagt
jeder auf den ersten Blick. Die damalige Zeit ist so ausgiebig in Wort und besonders auch im
Bild geschildert worden, dass sie jedem bekannt, geläufig ist. Wenigstens in Paris, wo sich in
jedem Haus zahlreiche Bilder und besonders Stiche und Zeichnungen jener Zeit vorfinden.
Man fühlt sich ja in Paris geschmeichelt, jener Zeit zugezählt zu werden. II. Kuhn-Paris.


i

XV. Fr.-No. 59.
 
Annotationen