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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Fischer, Adolf: Japanische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0539

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250

MODERNE KUNST.

Tanyu (1601—1675): Gott Hotei,

der Kinderfreund, lässt sich von spielenden Knaben in seinem Bettelsack davonziehen.


apanische eKunsl


Von Adolf

?cn siegreichen Einfluss der japanischen Kunst auf die kunst-
gewerbliche Industrie aller Nationen Europas, konnte man so
recht auf der letzten Pariser Weltausstellung verfolgen. Hol-
länder, Deutsche, Dänen, Schweden, Franzosen, Engländer,
Amerikaner wetteiferten förmlich miteinander, besonders auf dem Gebiet
der Keramik, die geschmackvollen ostasiatischen Vettern aüszuschlachten.
Und sie thaten dies mit so grossem Erfolg, dass die Erzeuger echt japa-
nischer Kunstgegenstände, die aus Japan an die Seine eilten, um von
dort nicht nur mit Ehren, sondern auch mit Gold beladen heimzukehren,
arg enttäuscht wurden. Wo so viel andere japanerten, verblüffte der
Japaner mit seinen Originalleistungen nicht mehr!

Es dürfte nicht uninteressant sein, einiges über die Entwicklung jener
Kunst zu erfahren, die auf unsere moderne Kunst und unser Kunstgewerbe
keinen geringem Einfluss übte als zur Renaissancezeit die Kultur der
Griechen. Man folge mir in die Zeit zurück, wo in Japan der Shintoismus,
d. h. „der Weg der Götter“, die einzige Volksreligion war. Dieser ist
eine Vereinigung von Natur- und Ahnenverehrung, eine Religion, die
jedoch auf die seelische Entwicklung der Gläubigen keinen Einfluss nimmt
und nur an einem äusserlichen Ritus festhält. Auf äusserliche Reinheit
legte der Shintoismus von je das grösste Gewicht und ist dadurch ein
Kulturfaktor von allergrösster Wichtigkeit bis auf den heutigen Tag ge-
blieben. Beim Bau einer Miya, eines „verehrungswürdigen Hauses“
existieren die strengsten Vorschriften nicht nur hinsichtlich des Bau-
materials, sondern auch in Bezug auf die Kleidung, Nahrung, Waschungen
der Bauleute u. s. w. Reinlichkeit und Nettigkeit züchtete der Shintoismus
durch seinen Kultus zweifellos. Infolge einer der Hauptbedingungen
dieser Religion wurde das Volk zu einer körperlichen Sauberkeit, einer
Nettigkeit des Arbeitens erzogen, die es in vieler Hinsicht weit über
andere Nationen des Westens stellt.

Die achthundert Myriaden shintoistischer Gottheiten können jederzeit
vom regierenden Mikado, dem das Recht der Gotterhebung zusteht, nach
Belieben vermehrt werden. Um in das shintoistische Pantheon aufgenommen
zu werden, bedarf es durchaus keines keuschen, den Sinnesgenüssen ab-
geneigten Lebens, da sich der Shintoist seine Heiligen keineswegs als
Asketen, dem Irdischen abgewandte Geister, denkt; im Gegenteil, mit
Vorliebe schildert er sie in humoristischen, zuweilen höchst verfänglichen
Situationen, die sich mit unseren Begriffen von Heilig- oder Göttlichkeit
schlecht in Einklang bringen lassen.

Fischer.

_ [Nachdruck verboten.]

Es giebt keine Religion, die so orthodox konservativ wäre, wie der
reine Shintoismus; ebensowenig findet man in irgend einem Lande der
Erde Gotteshäuser, die so unberührt vom Wandel, dem wechselnden Kunst-
geschmack der Zeiten blieben, wie die Miyas. In seiner ursprünglichen
Form kann man, um den berühmtesten zu nennen, den Shintotempel z. B.
noch in Ise (Provinz Yamato) kennen lernen. Dieses aus dem vierten
Jahre vor Christi stammende, im Schatten erhabener Baumriesen liegende
Heiligtum trägt den Charakter der japanischen Urhütte und sieht wie ein
Blockhaus aus. Das Charakteristischste dieses einfachen, weder durch
Farbe, noch durch ornamentalen Schmuck verzierten rechteckigen, aus
Plinokiholz (Sonneneypresse) aufgeführten Baues, ist das mit einer dicken
Schicht Baumrinde bedeckte Dach. In den weit überragenden, sich kreuz-
weis überschneidenden Giebelsparren ruht der Firstbalken, auf dem in
gleichen Abständen Querhölzer liegen. Nüchtern, jedweder Verzierung
bar ist auch der Innenraum, der in Ise und vielen anderen heiligen Orten
überhaupt nicht betreten werden darf, so dass der Andächtige gezwungen
ist, sein Gebet im Freien zu verrichten. Nachdem derselbe durch Rütteln
an einem Strohseil, an dem eine Schelle hängt, sowie durch Klatschen in
die Hände den Gott um Audienz gebeten, verbeugt er sich mehrmals ehr-
furchtsvoll vor dem im Geiste vor ihm Stehenden und entfernt sich als-
bald. Aber auch in Tempeln, wo der Betende die Vorhalle betreten darf,
findet kein Gottesdienst, keine Predigt statt, der Verkehr mit dem Gotte
beschränkt sich beim Shintoisten auf einen minimalen Zeitraum. Bei dieser
Art Andacht war ein Sichverscnken, ein liebevolles Anschwärmen der
jeweiligen Gottheit, ein intimer geistiger Rapport zu derselben unmög-
lich. Ein Bedürfnis, das Gotteshaus zu schmücken, konnte sich unter
solchen Umständen nie entwickeln, die Kunst fand in den Götterhallen
strengster Observanz, deren es heute in Japan nicht mehr allzuviele giebt,
nie die geringste Förderung oder Anregung.

Wie ganz anders der Buddhismus! Ueber tausend Jahre brauchte
er, bis er in der zweiten Plälfte des sechsten Jahrhunderts von Indien
aus über China und Korea seinen unblutigen, friedlichen Einzug im Reiche
des Mikado hielt, um dort bis auf den heutigen Tag die Volksreligion zu
bleiben. Während der Mikado selbst, der als der jeweilige Vertreter der
Sonnengöttin Amaterasu auf Erden angesehen wird, und mit ihm der
Hof shintoistisch blieben, ohne sich jedoch dem Einfluss des Buddhismus
entziehen zu können, beherrscht das Land vorwiegend der Buddhismus.
Wie bei uns die Entwicklung der Kunst untrennbar vom Christentum ist, so
 
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