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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0090

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nach Russland zu bringen. Boosra Mahin wurde übri-
gens auch in seinem Theater durch den Besuch des
Prinzen Heinrich von Preussen und des dänischen
Prinzen Waldemar ausgezeichnet, die beide ihrer per-
sönlichen Wertschätzung für Boosra Mahin gelegent-
lich ihres Besuches in Bangkok Ausdruck verliehen.
Infolge vieler Schwierigkeiten, die Boosra Mahin in
Siam selbst zu überwinden hatte, besonders um die
Erlaubnis des Königs zu erhalten, das Land mit den
Mitgliedern der Truppe auf längere Zeit zu verlassen,
verzögerte sich die Abreise; Boosra Mahin musste nach
seiner Ankunft in Europa hören, dass die Saison in
Petersburg vorüber sei, dass der Czar gar nicht in
Petersburg weile und dass er erst im November das
geplante Gastspiel in Russland absolvieren könne. So
wurde es der Truppe möglich, noch vorher eine Reise
durch einige europäische Hauptstädte zu unternehmen. —
Die Truppe besteht aus 35 Personen; 23 Mädchen und
Frauen und 12 Männern. Die Mädchen sind die Schau-
spielerinnen und Tänzerinnen, die Männer bilden das
Orchester. Dieses besteht durchwegs aus altsiamesischen
Instrumenten, unter denen folgende bemerkenswert sind:
Kambong, bestehend aus einer Anzahl verschieden ge-
stimmter Metallgiocken, die an einem halbkreisförmigen
Ilolzstück hängen, Ranat, in der Art der javanischen
Gamelang, ferner Flöten, Trommeln und Cymbeln. Die
Vorführungen der Truppe behandeln fast ausschliess-
lich das Leben altsiamesischer Helden und Götter, wie
sie in den buddhistischen Büchern beschrieben sind.
Besonderes Interesse verdienen die prachtvollen und
originellen Kostüme, die von den Tänzerinnen getragen
werden. Auf den Köpfen haben die jungen und hüb-
schen Mädchen vergoldete, spitz zulaufende Kronen oder
Helme. Im übrigen sind sie in reichgestickte, gold- und
silberstrotzende Gewänder gehüllt, die je nach der Be-
deutung des zur Ausführung gelangenden Spieles ge-
wechselt werden. Boosra Mahin, der erste, reichste und
vornehmste Theaterbesitzer im Reiche des weissen Ele-
fanten, hat für seine Kostüme ein Vermögen von 90000
Ticals (16 Ticals = 20 Mark) angelegt. Gekleidet in
diese kostbaren Gewänder, mit goldenen Kronen,
Helmen, schönen Hals-, Arm- und Fussbändern, singen,
drehen, winden und wiegen sich die Tänzerinnen, be-
wegen ihre Arme und Beine in rythmischen Verren-
kungen und biegen ihre zarten Händchen manchmal so
weit zurück, dass deren Rücken beinahe den Arm be-
rührt. Wir sind von Jugend auf an die

weise auf unseren
Theatern gewöhnt,
aber wenn wir
diese euro-
päischen

Ein fürstlicher
Jlordpolfahrer.

Nach interessan-
ten, zum Teil gefähr-
lichen Erlebnissen
ist die Expedition
des Prinzen Ludwig
Amadeus, Flerzogs
der Abruzzen, aus
dem hohen Norden
zurückgekehrt. Die
„Stella Polare“, auf
welcher sich die Ex-
pedition eingeschifft
hatte, sass I I Monate
im Eise fest. Eine
Seite des Schiffes

ist 1 '/.t Fuss einge-
Prinz Ludwig, Herzog der Abruzzen. drückt Auch die

Maschine hat einen Schaden erlitten. Die Expedition
erreichte 86 Grad und 33' nördlicher Breite, kam also
nördlicher als Nansen, der nur 86 Grad 14' erreichte.
Die Teilnehmer der Expedition haben öfter llunger ge-
litten und waren gezwungen, Hunde zu schlachten. Ein
Norweger und zwei Italiener sind gestorben, ln der
Tafelbai wurde die „Stella Polare“ vom Eise ganz aufs
Land geschoben. Man errichtete alsdann aus Segeltuch
und Planken eine Art Flütte, von der aus die verschie-
denen Touren in die Eisregionen unternommen wurden.
Der Herzog hat zwei Finger erfroren, die ihm nach
seiner Rückkehr abgenommen wurden. Die wissen-
schaftlichen Resultate der Expedition sollen sehr be-
friedigende sein. Den Grund zu seinem kühnen Unter-
nehmen legte der Prinz im Jahre 1897, und die Vor-
bereitungen dauerten bis zum Frühjahr 1899. Die be-
deutenden Kosten trug der Herzog selbst, doch ge-
währte ihm König Umberto, der für die Söhne seines
Bruders eine lebhafte Zuneigung hegte und ausserdem
für Forschungsreisen und dergleichen stets eine offene
Hand hatte, einen Zuschuss von einer Million. Die
Ovationen, die dem Scheidenden in Italien zu teil wurden,
seine warme Aufnahme bei König Oskar, bei Nansen,
Nordenskjöld u. s. w. sind noch in Aller Gedächtnis.
Bekanntlich war es ja auch Nansen, der dem Prinzen mit
Rat und That, so zumal bei Ausbau und Ausrüstung
seiner „Stella Polare“, zur Hand ging. Der Herzog selbst
überwachte alles, war stets auf der Kommandobrücke
zu finden und rechtfertigte durchaus den Ruf der
strengsten Pflichttreue, in welchem die Prinzen
des Hauses Savoyen von jeher gestanden.

—A/VVW-

Das siamesische Jloftheater im
Berliner zoologischen Garten.

Anschauungen für einige Zeit vergessen, dann kommen
uns die grotesken, aber dennoch reizvollen und zierlichen
Bewegungen der siamesischen Theaterdamen natürlich
und schön vor.

Um die Darbietungen der siamesischen Theater-
truppe dem Geschmack der Europäer anzupassen, wur-
den die markantesten und interessantesten Scenen aus

Es giebt in Bangkok, der präch-
tigsten Hauptstadt des hinterindischen
Königreichs Siam, ein etwa 800 bis
1000 Personen fassendes Theater,
das den Namen Princes Theater
führt und die Privatspekulation
eines siamesischen Grossen, na-
mens Phya Mahin, ist. Er machte
damit vortreffliche Geschäfte, da
die Schauspielerinnen, Tänzerinnen
und Orchesterherren und -Damen
seine Leibeigenen, seine Sklaven
waren. Der Sohn Phya Mahins ist
Boosra Mahin, der das Theater mit
dem ganzen Stabe an Schauspielern
etc. von seinem vor einigen Jahren
verstorbenen Vater erbte. Boosra
Mahin — der übrigens eine ausser-
ordentlich sorgfältige Erziehung ge-
noss und einen Teil seiner Studien-
jahre an der Universität in Oxford
verbrachte — wurde dem Czar Niko-
laus II., als dieser noch Kronprinz
war und seine Weltreise unter-
nahm, vorgestellt; der siamesische,
prinzliche Theaterbesitzer lud den
damaligen russischen Kronprinzen
ein, das Theater zu besuchen.
Diesem gefiel die Vorstellung so
sehr, dass er nach einiger Zeit,
inzwischen bereits Czar geworden,
auf diplomatischem Wege Boosra
Mahin einladen liess, seine Theater-
truppe nach Europa und vor allem

Ein Boxer.

den mehrere Stunden dauernden siamesischen Theater-
stücken, welche das Repertoire der Truppe bilden, aus-
gewählt. Die Vorführungen dauern ungefähr eine Stunde
und bestehen aus 2 Abteilungen, in denen 5 bis 6 Num-
mern des reichhaltigen Programmes zur Darstellung ge-
bracht werden. In der Pause zwischen beiden Ab-
teilungen führen die männlichen Mitglieder der Truppe
nationale Sportspiele vor, von denen eine Art Ballspiel,
ohne Zuhilfenahme der Hände, das Interessanteste ist.
Der Hauptzweck der Truppe Boosra Mahins ist wirk-
liche und reine siamesische Gebräuche und Sitten vor
unseren Augen zu entfalten und darzustellen. Es wird
dies umsomehr zu begrüssen sein, als Siam in lebhafter
Verbindung mit dem deutschen Reiche steht; der König
aus dem fernen Osten war im Sommer des Jahres 1897
als der erste souveräne Herrscher eines ostasiatischen
Reiches in Europa und hat manche Anregung mit nach
seinen Landen genommen.


Unsere Tänze.

Plauderei von Dr. Paul Bornstein.

[Nachdruck verboten.]

International, wie heute im Grunde genommen
jene Kreise sind, die wir als die gute Gesellschaft
zu bezeichnen pflegen, sind auch die Tänze dieser
Gesellschaft. Das Repertoire der Tänze des mo-
dernen Ballsaals ist, wenn auch mit nationalen Ab-
weichungen, in Deutschland dasselbe wie in Frank-
reich, England, Amerika, wie in allen civilisierten
Ländern überhaupt. Selbstschöpferisch freilich sind
auf diesem Gebiete wesentlich nur zwei Nationen
gewesen, nämlich die französische und die deutsche.
Man kann sagen, dass sämtliche heute gebräuch-
liche Tourentänze französischen Ursprungs sind,
während der Rundtanz der ganzen Geschichte seiner
Entwicklung nach in Deutschland wurzelt. Man
muss bis auf den Tanz der ländlichen Bevölkerung
zur Zeit der Minnesänger, den von den Bauern um
die Linde getanzten „Reien“ zurückgehen, wenn
man die Anfänge des Rundtanzes aufsuchen will.

Führt man die Entstehung der heutigen bürger-
lichen Gesellschaft auf die Zeit der französischen
Revolution zurück, so ist es selbstverständlich,
dass keiner der heute gebräuchlichen Tänze vor
dieser Zeit entstanden ist. Die ältesten von ihnen
kommen zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts
auf, und manche sind noch weit jünger. So wenig
einheitlich seiner ganzen Geschichte nach dieses
Repertoire ist, so wechselnd ist es auch. Hier-
für nur einen drastischen Beweis! In einem im

XV. 3. B.

Siamesische Tänzerinnen.
 
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