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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Détschy, Serafine: Kreuzwege, [11]: Roman aus der Bühnenwelt
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146

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reuzwege.

Roman aus der Bühnenwelt von Serafine Detschy,

[Fortsetzung.] - • -

ür uns, Alfred, giebt es einstweilen nur eines!“ sagte Sarolta,
„so lange der Himmel uns unsere Liebe lässt, wollen wir als
gute Kameraden nebeneinander durchs Leben gehen. — Wir
wollen mit reinem Gewissen uns in die Augen sehen und es
dem Schicksal überlassen, was es uns bringt. — Nicht wahr?“

Seufzend sagte er: „Wir wollen es versuchen. Habe nur Geduld

mit mir und meiner Liebe, — zügle, bändige sie — ich will Dir ge-
horchen, will Dein Geschöpf — Dein Sklave sein.“ Er glitt zu ihren
Füssen in das junge Gras hinab, und legte sein von Schlaflosigkeit und
Erregung erschöpftes Haupt auf ihre Knie.

Da klangen Stimmen, und von einer Biegung des Weges her, noch
durch Gebüsche unsichtbar, kamen Spaziergänger. Man sah bald darauf
helle Damenhüte mit wehenden Federn, hörte neckendes Lachen.

Alfred sprang auf und Sarolta wandte sich zum Gehen. Plötzlich
versperrte den Heimkehrern eine Gruppe lachender Menschen den Weg.
Meist Studenten, wie es schien, mit ihren Liebchen, — denn der Unter-
haltungston war ein äusserst ungezwungener. Da grösste eines der jungen
Mädchen die Künstlerin mit einem herausfordernd klingenden „Guten
Abend, gnädiges Fräulein!“ Alfred schrak zusammen bei dem Klange
dieser etwas schrillen Stimme. — Schweigend, mit aufeinandergebissenen
Zähnen, zog er den Hut, während seine Begleiterin dankte. Er hatte
Käthe Stürmer und ihr Gefolge erkannt.

XIII.

In Saroltas Herz waren Sonnenschein und Frühling eingezogen, nach
langer, harter Winternacht.

Sie dachte an keine Zukunft, — ein mutwilliger Leichtsinn war über
sic gekommen, den sie sonst nie gekannt, sie lebte nur der Gegenwart!
Und die war schön!

Draussen lachte der werdende Lenz und drinnen im Herzen knospte
die Liebe.

Auch in Alfreds Wesen war eine Wandlung vorgegangen. Wie be-
freit von einem Alpdruck fühlte er sich, nachdem er der geliebten Frau
sein Herz ausgeschüttet und sie seine hoffnungsarme Liebe nicht von sich
gewiesen, ja ihn reich gemacht durch erwiderte Neigung. Das war ja
viel, unendlich viel, das musste ihm genug sein und — sollte ihm auch
genug sein, er gab sich selbst das Wort.

Nun wusste er es fast täglich so einzurichten, dass sein Weg ihn
durch die Lindenalle führte, in die Sarolta herabsehen konnte, und wenn
er sie am offenen Fenster stehen sah, was ziemlich oft der Fall war,
dann sprang er die' Stufen der Parterrewohnung wohl hinauf, um ihr
Rosen zu bringen; stets waren cs die frisch erblühten dunkelroten,
deren Duft und Glut sie so liebte.

Und dann war er beglückt, ihr in die Augen sehen, ihre Hand halten
und Ernstes oder Scherzhaftes mit ihr plaudern zu dürfen.

So war Ostern herangekommen. Ein trüber, bleierner Himmel,
echtes Charfreitagswetter, dumpfe brütende Schwüle in der Natur und
jenes weisse ermüdende Licht, das auf zarte Nerven so quälend und
erschlaffend wirkt.

Sarolta hatte als gute Katholikin die Kirche besucht. E ine stille
Wehmut lag über ihrem Wesen ausgebreitet und als sie in der ver-
dunkelten, schwarz verhangenen Kirche kniete, um andächtig zu beten,
da erschien ihr zum erstenmal diese neugefundene Liebe in all ihrer
herzzerreissenden Hoffnungslosigkeit, dass sie den Kopf in die Hände
drückte und in stilles, bitteres Weinen ausbrach. Der erste Thränen-
thau auf der jungen Ivospe der Liebe!

Da lag es vor ihr ausgebreitet, das Wunderland einer schönen,
reinen, innigen Liebe! Farbenprächtige, duftende Rosen umsäumten, durch-
dufteten dies Paradies, und schon stand der neidische Engel mit dem
Flammenschwert davor und wehrte ihr mitleidslos, die lockenden Blumen
zu brechen, das gelobte Land zu betreten.

*- [Nachdruck verboten.]

Nur mühsam gelang es ihr in der stillen, dämmerigen Kirche, die
nur von flüsternden, dunkel gekleideten Menschen erfüllt war, ihre sie
bestürmenden Gefühle so weit zu bemeistern, dass sie sich aufraffen
konnte, um heimzukehren. Es dämmerte bereits.

Als sie die Augen getrocknet und den Schleier über ihr heisses Antlitz
gezogen und so aus dem Betstühle trat, stand Alfred vor ihr. Er sah
ihre verweinten Augen, grüsste mit innigem Blicke, reichte ihr dann wort-
los den Arm und geleitete sie still durch die dämmernden Strassen heim.

So betraten sie die einsame Wohnung, die Sarolta mit ihrem Schlüssel
öffnete, da Marie und das Mädchen noch in der Abendandacht waren.
Mechanisch war auch Alfred eingetreten und half ihr Umhang und Hut
ablegen. Dann standen sie sich in dem dämmernden Studierzimmer Sa-
roltas still gegenüber und sahen sich in die traurigen Augen. Und plötz-
lich hielten sie sich umfasst, lang, innig, Lipp’ auf Lippe pressend. Arm
in Arm, Brust an Brust, in inniger, umklammernder Umschlingung stehend
und im stillen Schluchzen sagten sie sich ohne Worte alles, was ihre
Herzen bewegte.

Wie willenlos und ermattet von der Gewalt dieser Empfindungen,
liess Sarolta sich zu einem Sitze geleiten und gestattete, dass Alfred zu
ihren Füssen sass und den Kopf an ihre Knie lehnte.

Er hielt ihre herabhängende Hand, die er von Zeit zu Zeit leise
streichelte und küsste.

„Nicht weinen, bitte nicht weinen!“ flüsterte er, als er eine
Thräne durch Saroltas geschlossene Wimpern quellen sah und das
leichte Beben ihres Körpers fühlte. „Jede dieser Thränen klagt mich
an, meine Selbsucht, meine Unfähigkeit mich zu beherrschen — mein
Geständnis war ein Verbrechen!“

„Sprich nicht so Alfred! Ich segne sogar den Schmerz dieser Thränen
denn im Schmerze fühl ich doch, dass ich noch lebe, dass der Schein-
tod von mir gewichen ist, der mich gebannt — man muss nicht
ungenügsam sein!“

„Sarolta, bin ich ungenügsam? -— Ich begnüge mich mit einem
Gruss, einem Blick von Dir, bin selig Deine Hand zu berühren und zehn
Minuten die Atmosphäre Deines Heims athmen zu können. Ist das un-
bescheiden? Weisst Du, was ich leide, wenn ich dies vergötterte Weib
auf der Bühne sehe, von allen Augen angestarrt, in den berauschendsten
Liebesscenen, in dem Arm eines Anderen ruhend, der Deine Nähe fühlen
darf, dem Deine heissesten Blicke gelten, an dessen Brust Du ruhst!“

Nun lachte Sarolta, zum erstenmal, ein leises, glückliches girrendes
Lachen. Ihre Hände umfassten seinen Kopf und glitten über das flim-
mernde Haar, das leise knisterte.

„Du grosses Kind! Ich glaube wirklich, Du bist eifersüchtig! Eifer-
süchtig auf diese Strohmänner, die die Idealgestalten des Dichters ver-
körpern sollen! Du denkst doch nicht, dass man im Augenblicke der
Darstellung Zeit hat, Persönliches für diesen geschminkten Kollegen zu
empfinden, der dem Komponisten seine Stimme und dem Textdichter
seine Figur leiht?“ Und wieder lachte sie beglückt und sah ihm in die
heissen, verlangenden Augen.

„Ja, ich bin eifersüchtig auf jede Hand, die Dich berührt, auf jeden
Luftzug, der Deine Wange küsst, auf jede Fliege, die der Duft Deines
Haares berauscht, auf alles, was in Deiner Nähe leben darf.“

Er war neben sie auf die Causeuse geglitten und hielt ihre biegsame
Gestalt fest an sich gepresst, ihr Haar und Hals und Antlitz küssend,
dass sie zu ersticken wähnte.

„Alfred!“ rief sie zornbebend, und mit einem energischen Ruck sich
losreissend, sprang sie auf. „So lohnst Du mein Vertrauen. Sind das
Deine Vorsätze von Entsagung, genügsamer Liebe, treuer Kameradschaft?“

Er war aufgesprungen. Sein eben noch so blühendes Antlitz sah
fahl aus im Mondlicht. Wie ein Erwachender fuhr er sich über Augen
und Stirne und sah sie entgeistert an.

„Verzeih“ murmelte er kaum hörbar. „Ich sehe, dass ich kein Ver-
 
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