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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Stiehler, Arthur: Elinor: eine Windbeutel-Geschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0381

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erehrteste Freundin, quälen Sie mich nicht, glauben Sie mir doch: ich
äIKäj kann keine Windbeutel essen.“

„Liebster Freund, Sie fangen an ein kricklicher alter Junggeselle
zu werden — sehen Sie gefälligst, es sind prachtvolle Windbeutel.“
„Sie wissen, meine Teure, es giebt Eigenheiten, vielleicht werden Sie sagen
Narrheiten, gegen die nicht anzukämpfen ist. Und zu diesen gehört die Thatsache,
dass ich mich lieber aufspiessen lassen würde, als einen Ihrer Windbeutel zu ver-
zehren, so verlockend sie auch meinetwegen für alle übrigen Menschen sein mögen.“
Sie lächelte, verzog ungläubig den Mund und holte eine zierliche kleine
Karaffe herbei:

„So nehmen Sie da von dem alten Jamaika zu Ihrem Thee, aber erzählen
Sie mir Ihre Geschichte.“

„Welche?“

„Die von den Windbeuteln — ich sehe es an dem Ausdrucke Ihrer Augen,
an Ihren Mienen: Ihr Abscheu vor dem schaumgezierten Gebäck hat eine
bedeutungsvolle Ursache. Erzählen Sie bitte.“

„Du ahnungsvoller Engel, Du! — aber Sie haben Recht“ — er machte eine
kleine Pause, schaute den leisen blauen Rauchringeln seiner Cigarette nach und
setzte dann in jenem seltsamen Tone, in welchem wir von unserer Jugendliebe
erzählen, hinzu:

„Die Windbeutel haben eine Geschichte.“ —

„Tragisch oder komisch?“

„Beides.“

Dann schwieg er wieder. Frau Asta liess forschend ihre Augen auf seinem

Sie waren Kollegen. Fritz Staude, heute der geschätzteste Maler der Stadt,
war Frau Asta, der Witwe seines verstorbenen Freundes, in echter Hochachtung
und Wertschätzung ihres reichen Talentes aufrichtig zugethan. Die für ihre
35 Jahre ausserordentlich jugendlich drein blickende Dame führte in ihrer hoch-
eleganten Villa draussen vor der Stadt ein fast nonnenhaftes Leben, das ganz
ihrer Kunst gewidmet war. Sie galt für eine vorzügliche Kindermalerin; ihre
Knaben- und Mädchenköpfe wurden verkauft, ehe sie von der Staffelei kamen.
Selten empfing sie Gäste; aber wenn Fritz Staude am Thore läutete, war Frau
Asta stets zu sprechen. Als Braut seines Freundes hatte er sie schon während
seiner Akademiejahre kennen gelernt, und ihr später in der ersten schweren
Zeit ihres Witwentums in echter, uneigennütziger Fürsorglichkeit beigestanden.
— So sassen sie auch heute wieder, wie schon so oft, in dem behaglichen
kleinen Theezimmer beisammen. Die Theemaschine summte, und die grosse
mit purpurseidenem Schirme abgeblendete Lampe auf prachtvollem Bronzeständer
warf mildes Licht über die beiden.

Fritz Staude legte die Cigarette neben sich auf die Silberplatte und begann:
„Wir waren ein glückseliges Brautpaar, Elinor und ich, und wenn die verflixten
Windbeutel nicht gewesen wären, würde ich heute ihr Gatte sein — ja lachen
Sie nur — der glückliche Gatte der reichen Elinor — ich, damals der arme
Maler, der kaum soviel hatte, dass er die nötigen Mal-Utensilien bezahlen konnte.“
„Und um dieses Glück sind Sie also durch — Windbeutel gekommen?
Seltsam! Aber erzählen Sie — man hat mir schon so viel von Ihrer abenteuer-
lichen Verlobung vorgeschwatzt, dass ich ganz gern auch die Wahrheit wüsste.“

[Nachdruck verboten.]

„Geschätzteste Frau Kollegin,“ fuhr Fritz Staude fort, „es ist so, ganz allein
die schaumumflossenen Windbeutel sind schuld, dass ich heute, in meinem einund-
vierzigsten Lebensjahre — nun ich mir schon den Backenbart rasieren lassen muss,
weil er grau wird — dass ich heute noch immer unbeweibt meine Tage verbringe.“
Sie verzog die feinen Lippen und schaute ihn ungläubig an.

„Und warum soll sich die Tücke des Schicksals nicht auch einmal hinter
ein halbes Dutzend Windbeutel verkriechen? — doch, schöne Freundin, das ist
möglich — mir ist es passiert.“

Frau Asta hob den Kopf und lächelte.

„Lachen Sie doch nicht sö impertinent — ich könnte verzweifeln — rasend
könnte ich werden, wenn ich daran denke — denn sie war wirklich reich, die
schöne Elinor und das reizendste Mädel von ganz Europa.“

„So erzählen Sie mir doch endlich ihre traurige Tragödie von den sechs
Windbeuteln — spannen Sie mich nicht ungebührlich lange auf die Folter.“

„Die Sache halte ihre Schwierigkeiten gehabt — was ist da viel zu sagen?
— sie die einzigste Tochter der Firma Schwartenbeck — erlauben Sie, deren
Schiffe laufen noch heute in allen Meeren und erst kürzlich hat der alte
Schwartenbeck in Tsingtau einen grossen Speicher erbauen lassen, also, da
können Sie sich das Moos denken — und ich — ja mein Gott — ich war eben
der Maler Staude, den niemand kannte, und der Honorar zahlen musste, wenn
sich jemand von ihm porträtieren lassen sollte. — Justus Schwartenbeck steckte
kein besonders erfreutes Gesicht auf, als ihm Elinor die Sache gestand.“

„Ich werde es ihm selbst erzählen“ hatte sie vorgeschlagen, als wir uns
nach unserer Verlobung auf der Eisbahn trennten „entweder Sagt er ja; oder
ich springe vom Jungferstiege ins Wasser.“

„Huh“ — machte Frau Asta und legte sich einen neuen Windbeutel auf
den Teller.

„Herrgott, war das ein Mädel — aber sie brauchte nicht in das Wasser zu
gehen, Justus Schwartenbeck war kein so harter Vater, er gab nach und wir
beide wurden das schon mehrfach gemeldete —“

— „glücklichste Brautpaar im ganzen Kopernikanischen Weltsystem“ setzte
Frau Asta lustig hinzu.

„Meine Gnädigste, wie schön Sie auch den Mund spitzen, wie strahlend Sie
auch mit den Augen lachen — so liebeglühend, so sehnend, so himmlisch können
Sie nie aussehen — als damals Elinor, meine Elinor — Elinor, die junge Tochter
der alten Firma Schwartenbeck.“

Frau Asta schwieg und wartete, bis Fritz Staude seine Erzählung fortsetzte.
„Wir lebten im Elysium; wenn ich morgens erwachte, griff ich nach meinem
Schnurrbart, tastete und fühlte in mein Gesicht, ob ich es auch wirklich selbst
war — aber ich war ich und es war keine Illusion, nein, nein köstliche,
beglückende Wirklichkeit •— ich war der Bräutigam der schönen Elinor.“

„Aber das ist doch eine sehr erfreuliche Geschichte, die Sie da erzählen“
warf Frau Asta ein.

„Soweit allerdings — aber dann kam das Verhängnis.“

Die junge Frau lehnte sich weit zurück in ihrem bequemen Stuhle und hörte
auf die Erzählung des Freundes.

„Es war Sommer, lauer, milder Sommer — Elinor war mit Papa nach
Wyck gereist — nur sechs Wochen — aber wir hatten Abschied genommen als
 
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