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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Reiters Leid und Freud
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Heigel, Karl von: Brummells Glück und Ende, [9]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0704

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MODERNE KUNST.

323

Jetzt wird bald der kleine Braune gesattelt und gezäumt werden, denn
der Herr, der sich zuerst einmal probeweise in den Sattel setzen will,
ist nicht gross . . . üb die Pferde wirklich solche Betrachtungen anstcllen?
Jedenfalls verraten sie nichts davon in ihren Mienen, genau sowie die
Angestellten des Instituts, die jedem Anfänger gegenüber die diskreteste
Verbindlichkeit zur Schau tragen. Mit der grössten Zuvorkommenheit
unterstützt der Stallmeister den Herrn Bankier, der vergeblich mit der
Spitze des linken Busses den Steigbügel zu erreichen versucht. Ja, ja,
ohne die nötige Uebung geht körperliche Beweglichkeit bald verloren!
Ohne eine Miene zu verziehen holt einer der Bereiter den Tritt herbei,
der an der nächsten Ecke steht. Ein tröstliches Bewusstsein überkommt
den Anfänger: Also sind andere Leute auch in derselben Lage gewesen . . .

Jetzt ist man im Sitz! Wunderbar. Man sitzt ja wie in Abrahams
Schoss! Sicherlich ist das leichter als beim Radeln, wo man fortwährend
strampeln muss und nie stillsitzcn darf . . . Aber schon bei der ersten
Bewegung des Pferdes merkt man, dass es nicht ganz leicht sein dürfte, das
Gleichgewicht zu halten. Bald nach der einen, bald nach der anderen Seite
schiesst der Schwerpunkt hinüber, nur gut, dass die Steigbügel Halt geben.

Wohl dem, der schon so weit ist, dass er den Steigbügel beim Reiten
mit vollem Bewusstsein benutzt! Dem so wie sich der Gaul in Trab setzt,
schwindet mit einem Mal die scheinbar bereits vorhandene Sicherheit im
Sitz, der Körper sinkt ängstlich nach vorn über und die Hand, die den
Zügel führt, greift krampfhaft nach dem Sattel, um eine Stütze zu finden.
„Nicht am Sattel festhalten“, kommandiert der Lehrer, der in eleganter
Haltung daneben reitet. In der Reitbahn stehen zwei Besucher, die schon
längere Zeit das Institut besuchen. Sic kritisieren das Pferd, das der

Anfänger reitet. „Ausgesprochener Schenkelgänger“ hört er sie sagen.
Wie er nach der ersten Stunde mit einem sehr eigentümlichen Gefühl
in den Schenkeln und im Kreuz vom Pferde steigt, haben die Beiden ein
anderes Thema angeschlagen. Er hört den einen von der „Versammlung
des Pferdes zum Schulreiten“ sprechen, der andere meint: „Fillis beginnt
nur mit der Aufrichtung des Pferdes' . . .

Der Stallmeister, den er darum anspricht, lächelt verbindlich. Jetzt
könne er ihm nicht alles erklären. Der Reitsport hat ebenso wie jeder
andere seine technischen Ausdrücke. Und nicht lange dauert es, da hand-
habt sie der Herr Bankier, als hätte er sein Lebtag nichts gethan als
Pferde zugeritten. Er weiss jetzt, was ein Schenkelgänger ist, deshalb
stiess ja der kleine Braune so, den er in der ersten Stunde ritt. Jetzt
nimmt er nur einen Rückengänger, dessen Rückenmuskeln so durchgebildet
sind, dass der Trab gleichmässig schwebend erscheint . . .

In den nächsten Tagen wird er seine neue Kunst der staunenden
Welt vorführen. Er nimmt sich einen verständigen Gaul, der nicht auf
den Zügel bohrt, nicht hinter den Zügel kriecht, nicht an Mauern drängt
oder nach dem Sporn schlägt. Wenn er nur nicht plötzlich Kehrt
macht . . . Nein, es ist alles gut gegangen. Nur der Steigbügeltrunk
war mit einigen Schwierigkeiten verknüpft. Doch daran war nur der
Kellner Schuld, der war sicherlich nicht Kavallerist gewesen, denn er
fürchtete sich, an den temperamentvollen Gaul heranzutreten, der vom
Warten schon etwas unruhig geworden war. Vielleicht war ihm auch
ein Sporn zu nahe gekommen . . . weshalb diese Dinger eigentlich zur
Reitausrüstung gehören .. .? Abwarten, Herr Bankier! Auch das werden
Sie mit der Zeit lernen! J?. S.

-=>•<>-

Roman von Karl von Heigel.

[Fortsetzung.]

[Nachdruck verboten.]

jlvanley liess sich von einem lloteldiener zu dem Landsmann führen, der
jetzt zu den Sehenswürdigkeiten von Calais gehörte. Die Hausglocke
tönte noch, als Leleux, der eben noch aus einem Fenster im zweiten Stock
gesehen, unten öffnete und Monseigneur übernahm. In seinem Eifer klopfte
Leleux droben nicht erst an, sondern riss die Thür
zum Vorzimmer auf und meldete: „Lord — Lord —“ Er
hatte den Kamen überhört. „Brumm!“ rief Alvanley
dem Freunde. „Lord Brumm!“ schrie Leleux, da
trat auch schon Brummeil aus dem nächsten Zimmer,
und die beiden Dandies schüttelten sich herzhaft
die Iland.

Leleux musste zu seinem Bedauern das inter-
essante Paar verlassen. Sie sassen noch nicht lange
plaudernd auf dem Sofa, als der Laufbursche Jean
erschien und nach den Wünschen der Herrschaften
fragte. Jean trug seine Sonntagskleider und hatte sich
die Haare kräuseln lassen. Dennoch däuchte ihn der
Blick Mr. Brummells vorwurfsvoll, und Jean erinnerte
sich. Flugs zog er ein Paar Handschuhe aus der Tasche
und sagte ohne Schüchternheit: „Verzeihen Sie, mein
Herr! Ich hatte Brennholz in die Küche zu tragen.

Begreiflicher Weise zog ich dazu die Handschuhe aus,
unbegreifheher Weise vergase ich sie wieder anzu-
ziehen. Ich bin untröstlich, denn ich weiss, was sich
für die Diener in feinen Häusern schickt.“

„Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen, nichts zu
gebieten, lieber Jean“, sprach Brummell gefasst und
milde; „Sie sind nicht in meinen, sondern Herrn Leleux’s
Diensten.“

„Ich dachte mirs gleich“, sagte Alvanley nach Jeans
Verschwinden, „der Bengel gehört nicht zu Ihnen. Hab
ich doch oft genug von Ihrem französischen Kammer-
diener gehört! Sogar seinen Namen weiss ich. Heisst
er nicht Selegue?“

Der Dandy bot dem Freunde seine Dose. „Die
alte Mischung, Alvanley!“

„Danke, Brumm, schnupfe nicht mehr, fröhne jetzt
andrem T.aster. Wenn Sie erlauben, zünd ich mir eine
Cigarre an.“

Trotzdem das Anzunden einer Cigarre damals um-

ständlicher war, als heute, liess sich Alvanley nicht aus dem Text bringen.
„Sie müssen mir Monsieur Selegue vorführen, Brumm, alles in Ihrem Haus-
halt interessiert mich.“

„Der gute Selegue“, erwiderte Brummei ausweichend, „ja, Selegue geht

F. Müller-Münster: „Nicht am Sattel festhalten!“
 
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