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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Détschy, Serafine: Kreuzwege, [5]: Roman aus der Bühnenwelt
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57

Ureuzwege. ,4^.

V

Roman aus der Bühnenwelt von Serafine Detschy.

[Fortsetzung.] -•

ann ich wissen, dass Ihr heute schon am hellen Vormittag mit
der Küsserei anfangt?“ war die unfreundliche Erwiderung, wäh-
rend Käthe den Rembrandthut mitten auf den Tisch warf, die
Pelzhandschuhe fallen liess und das Jackett mit Hilfe des jungen Mannes,
der nun aus dem Halbdunkel auf sie zuging, abwarf, ohne sich zu kümmern,
wohin es fiel.

„Und nun, Elly, thut mir die eine Liebe und lasst mich einen Moment
allein!“ Damit warf sich Käthe auf das freigewordene Sopha, legte ein
Bein über das andere, rückte sich bequem in die Ecke und zog den
Brief aus dem Couvert, das achtlos zur Erde fiel.

Elly, neugierig geworden, hob es auf und las die Adresse. „Oho“,
rief sie, auf die Schwester zutretend, „der Brief ist allerdings hoch-
interessant, allein er ist nicht an Dich — er ist an Mama adressiert; wie
kannst Du —“

„Ach papperlapapp — für mich ist er doch bestimmt, das kannst Du
denken, — übrigens — er ist von der Alten, — nicht von ihm; — kannst
ja Mama rufen, — wir wollen die Weisheit der Frau Baronin miteinander
geniessen; — einer allein überdauerts nicht. — Kann ja was Liebes
sein! Ich dachte, er wäre von ihm — die Chiffre täuschte mich. Jetzt
bin ich erst recht neugierig, was die alte Gluckhenne mit Mama zu
korrespondieren hat.“

Bald hatte sich um den Brief der Familienrat versammelt. Frau
Stürmer setzte den horngefassten Nasenklemmer auf, versenkte sich in
einen dicht am Fenster stehenden Korbstuhl und fing an laut zu lesen.

Geehrte Frau Stürmer!

In der Voraussetzung, dass sich zwei Mütter am leichtesten untereinander
verständigen, richte ich heute die Bitte an Sie, Ihrem Frl. Tochter nochmals
vorzustellen, dass in der delikaten Angelegenheit zwischen ihr und meinem
Sohne alles beendet und an ein Wiederanknüpfen der vorigen Beziehungen
nicht mehr zu denken ist. Bei dem neulichen Wohlthätigkeitsfeste, dem ich mit
meinem Sohne beiwohnte, sah ich aus den Begegnungen mit Ihrem Frl. Tochter,
den Blicken und halblauten Bemerkungen, die für Alfred bestimmt schienen,
dass der jungen Dame eine Fortsetzung aufgehobener Beziehungen möglich
und wünschenswert zu sein scheint. Es thäte mir leid, wenn ein so hübsches
junges Mädchen, das gewiss noch passende Partien findet, sich um meines
Sohnes willen nutzlos exponieren und ins Gerede bringen würde, falls sie
noch mehr so peinliche Begegnungen herbeizuführen suchte. — Ein mahnendes
Mutterwort von Ihnen wird ihr den Irrtum beleuchten, wie ich hoffe, und
deshalb erlaube ich mir, Sie im Interesse Ihrer Tochter um dieses Mahnwort
zu bitten, das zweifellos Erfolg haben dürfte.

Mit vorzügl. Hochachtung

Auguste Freifrau v. Bingen.

Ein gellendes Lachen folgte der Lektüre dieser Zeilen und zeigte,
welchen Erfolg dieser Brief hatte.

„Haha — die alte Schraube! Was die sich nicht einbildet! — Haha!
— als ob die Königssäle nur für Baronin Bingen und ihren Fredd da
wären und kein anderer Mensch das Recht hätte, denselben Weg zu
gehen, wie sie und ihr Nestküken! Lächerliche Arroganz!“

„Na, ein Bisschen auffallend hast Dus ja gemacht, Käthe — lass gut
sein“, erwiderte die Schwester malitiös, „Du warst ja so hinter ihm her,
als er mit seiner Alten ging, dass ich kaum nach konnte.“

„Behalte Deinen Senf, bis Du danach gefragt wirst“, war die spitzige
Erwiderung, „und sieh lieber auf Dich, dass Du Dich von Otto nicht zu
viel im Dunkeln küssen lässt, wie eben jetzt als ich kam.“

„Aus Dir spricht nur der Neid“, erwiderte Elly lachend, das schöne
blonde Köpfchen an des Verlobten Schulter schmiegend. „Hättest Du
Deinen Freddy nur bekommen, so bin ich überzeugt, Du wärst auch nicht
strenger, denn, wenn ich an den Champagner-Abend Deiner plötzlichen
Verlobung denke, wie Du da flink warst mit dem ersten Kuss, eh’ er
noch wusste, wie ihm geschah —“

„Elly“, mahnte die Mutter und wies erschreckt auf die bis in die
Lippen erblasste Käthe, die aber jetzt hönisch lächelnd das bleiche Ge-
sicht hob und eben etwas erwidern wollte.

t'»-- [Nachdruck verboten.]

„Genug mit dem thörichten Gerede. Schämt Euch!“ fuhr die Mutter
dazwischen. „Schwestern sollten Zusammenhalten! — Uebrigens es ist
Essenszeit, — im Esszimmer sind schon alle versammelt; da hört Euch
einmal den Radau an, den das junge Volk darin mit dem Klingeln an
den Gläsern macht; — sie wollen essen — geh’ voran, Elly — lass auf-
tragen, wir kommen gleich.“

Während die Verlobten sich in die grosse Essstube verfügten, wo
sie mit Hochs und einer Art Indianergeheul von den Hungrigen begrüsst
wurden, ordnete Mutter Stürmer die zerzausten Haare ihres Lieblings
Käthe und betupfte die Schläfen der Erregten mit Eau de Cologne. Käthe
puderte ihr erhitztes, erregtes Gesicht und ordnete die Stirnlöckchen;
dann steckte sie den bedeutungsvollen Brief ein und murmelte durch die,
zusammengebissenen Zähne:

„Und nun erst recht!“

„Du bist nicht klug“, tadelte die Mutter. „Die Baronin hat ganz Recht,

- wohin solls führen, dass Du ihm überall nachläufst, — so zwingt man
keinen Mann. Gerade der schon gar,'— der hat seinen Kopf schon wieder
auf andere gesetzt. Frag’ nur die Waltersdorff. Die sieht von ihrem
Atelier aus gerade auf die Wohnung der neuen gefeierten Sängerin —
wie heisst sie doch gleich —“

„Dereny“, warf Käthe hastig hin, „nun und —?“

„Da beobachtet sie denn öfter, wer dort aus- und eingeht — nun,
und da sieht sie denn öfter die Baronin Bingen.“

„Was, seine Mutter bei der Sängerin?“

„Ja — und auch ihn. Neulich, nach dem Feste, brachte er Blumen
hin, sagte die Waltersdorff.“

„Dacht’ ich’s doch“, murmelte Käthe, „als ich ihn neulich auf dem
Feste, im kleinen Saale mit ihr sprechen sah-das verzückte Gesicht

- ich kenne es nur zu gut! — So, — also jetzt ist eine vom Theater

die Auserwählte-die ist der Frau Baronin gut genug, um selbst

dort aus- und einzugehen — ei, wie interessant! — Lass mich bei Tisch
heute neben die- Malerin setzen, — die muss mir erzählen;“ und hastig
trat sie in die Essstube ein.

Ein Geruch nach Sauerkohl und brenzlichem Fett schlug den Ein-
tretenden nebst einer Woge von Stimmengewirr entgegen. Es war ein
langer, aber ziemlich schmaler Raum, die „Futterkiste“, wie die Studenten
diesen primitiven Abfütterungsraum nannten, der fast nichts enthielt, als
eine lange schmale Wirtshaustafel mit ziemlich defekten Rohrstühlen
umstellt. Vielleicht machte es das trübe, graue Tageslicht, das hier vom
Hofe aus durch drei sehr nebelhafte Fenster fiel, dass in diesem Raume
alles verbraucht, fadenscheinig und schmutzig aussah. Auch die drei
halbverkommenen Pflanzen, eine schwindsüchtige Dracaena, eine dekrepide
Palme und ein blattarmer Ficus, die als sogenannter Tafelputz dienten,
hingen bestaubt die wenigen, lebensmüden Blätter. Ein sehr erfahrungs-
reiches Pianino, dem man das Bewusstsein seiner Wertlosigkeit ansah,
stand in seinem „nichtsdurchbohrenden Gefühle“ in einer Ecke, lächelte
schmerzlich mit den gelben Zähnen und liess sich gottergeben als Büffett
benützen, indem es auf seinem geprüften Scheitel zahllose Bierflaschen
und gebrauchte Teller trug.

War das Meublement der „Futterkiste“ auch kein üppiges, so prangten
dafür die Wände in grossem Reichtum an Dekoration. Was es an ver-
zeichnten Familienbildern, an altmodischen vergilbten Photographien,
oder an grellbunten Oeldruck-Prämienbildern billiger Journale, ja an Re-
ldame-Schildereien gab, das drängte sich hier auf der schmutzig-braunen
Tapete.

So bunt, wie auf dieser Wand die Bilder, waren hier auch die
Menschen zusammengewürfelt. Einige davon wohnten im Hause als
Pensionäre und diese spielten sich den externen Tischpensionären gegen-
über sehr vornehm auf und bildeten sich nach und nach zu Haus-
tyrannen aus. Darunter that sich besonders ein junger Maler hervor,
von dem Elly einst Unterricht in seiner Kunst genommen und dem sie

XV. 15.
 
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