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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Ueber den Berliner Tiergarten
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Heigel, Karl von: Brummells Glück und Ende, [2]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0459

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MODERNE KUNST.

209

zwischen denselben stehenden kronenlosen und verkrüppelten Bäume zu
beseitigen, hierdurch Licht und Luft zu schaffen und auf diese Weise
auch dem jungen Nachwuchs Raum zur vollen Entfaltung zu gewähren.
Thatsächlich verloren die Baumbestände des Tiergartens von Jahr zu
Jahr an Schönheit sowohl als auch an innerer Lebensdauer, weil die Be-
stände zu dicht waren und so eine normale Entwickelung der einzelnen
Bäume verhinderten.

Der zu dichte Stand der Bäume licss aber auch den Graswuchs
nicht aufkommen und zwang dazu, alljährlich die Rasenflächen umzu-
arbeiten und neu zu besäen. Diese Zustände änderten sich durch das
rege Interesse, welches Seine Majestät der regierende Kaiser dieser Frage
entgegenbrachte. Die längst erkannte Notwendigkeit einer gründlichen
Durchlichtung sämmtlicher Partien des Tiergartens fand auf Grund ge-
eigneter Vorschläge gern die Allerhöchste Zustimmung.

Es wurde zunächst der zwischen der Königgrätzerstrasse, Tier-
gartenstrasse, der Grossen Quer-Allee und dem Königsplatz belegene
Teil des Tiergartens, welcher durch seine bevorzugte Lage einer be-
sonderen Pflege bedarf, ausgelichtet. Unter Wahrung ihres hainartigen
Cnarakters hat diese Anlage mit ihrem frischen im saftigen Grün'
prangenden Rasenteppich, auf dem die einzelnen Baumgruppen ihr
belebendes Spiel von Licht und Schatten ausüben, eine vorteilhafte
Wirkung erhalten. Eine ähnliche Uebcrfüllung durch Bäume zeigten aber
auch verschiedene andere Teile des Tiergartens, wenn schon aus anderer
Veranlassung. Hier hatten nämlich im Laufe von vielen Jahrzehnten die
Wurzelausläufer und Sämlinge namentlich von Rüstern und Ahornbäumen
sich ungestört fortentwickeln dürfen. Das strauchartige Unterholz wurde
mehr und mehr verdrängt und der ursprüngliche Charakter der Gruppen
verändert. Diese Partien wurden allmählich unansehnlich und zeigten
sich schliesslich nur noch als mit Stangenholz durchsetzte Baumbestände

auf hässlich schwarzem Grunde stehend. Auch hier musste dringend
Wandel geschaffen werden, und liebliche Rasenflächen mit ihren unent-
behrlichen Strauchgruppen wiederum an Stelle dieser wuchernden Schöss-
linge von Bäumen treten.

Abgesehen von der Wirkung, welche diese blüten- und beeren-
tragenden Sträuchen einer Waldlandschaft geben, wird auch die Pflege
der Singvögel hierdurch bedeutend gefördert, und letztere gerade sind
es, welche nicht allein durch ihren Gesang den Aufenthalt verschönen,
sondern auch als Feinde der Insekten namentlich der Raupen die Baum-
bestände schützen.

Es ist nunmehr der Tiergarten bis zur Hofjäger-Allee ausgelichtet
und durchgearbeitet worden. So weit das Auge reicht werden die Wege
hier von frischen Rasenflächen, mit Baum- und Strauchgruppen bestanden,
eingefasst. Damit der reiche Wechsel der Partien dem Tiergarten er-
halten bleibt, sind einzelne Teile, die einen vorwiegend waldartigen
Charakter zeigen, als solche erhalten worden.

Nach Fertigstellung dieser Arbeiten wird der Königliche Tiergarten
den Vergleich mit allen anderen öffentlichen Parkanlagen bestehen können
und denjenigen Anforderungen, welche man an diesen ersten und ältesten
Park der Reichshauptstadt zur Zeit stellen darf, genügen. Von besonderer
Bedeutung erscheint es dabei, dass keinerlei wesentliche Umgestaltungen
herbeigeführt sind, sondern die Ausgestaltungen die schönen Landschafts-
bilder nur wirksamer gemacht haben, wobei die herrlichen alten Baum-
bestände erhalten und zur vollen Wirkung gebracht worden sind.

Alle diese Verschönerungen und Verbesserungen im Tiergarten, von
welchen in erster Linie die Einwohner Berlins Vorteile haben, sind wie
die meisten neueren verschönernden Umgestaltungen der Residenz nur
dem stets anregenden und fördernden Einfluss unseres erhabenen Kaisers
Wilhelm II. zu verdanken. G.

Roman von Karl von Heigel.



s war mein Verhängnis, königliche Hoheit, dass kürzlich bei der Messe,
beim Mittagmahl und Abendtrunk von Mr. Snodgrass und seiner Philo-
<2/ Sophie die Rede war. Als ich mit dem ersten Hahnenschrei heimkehrte,
führte mich der Weg an Mr. Snodgrass’ Behausung vorüber. Obwohl die Nacht
bitter kalt war, konnte ich dem Wunsche nach der Bekanntschaft des berühmten
Weisen nicht widerstehen und so zog ich die Klingel. Ein Fenster klirrte und ein
männliches Wesen in Weiss bog sich hinaus. Entschuldigen Sie, mein Herr, sage
ich, ist’Ihr Name Snodgrass? — Ja, mein Herr, — in seiner Stimme verriet sich
die blöde Angst — mein Name ist Snodgrass. — Snodgrass, Snodgrass; Sie haben
einen wunderlichen Namen, Herr; weiss der Kuckuck, einen äusserst wunder-
lichen Namen. Heissen Sie wirklich Snodgrass? . . . Doch da verlor der gute
Mann alle philosophische Würde und drohte mit der Wache, wogegen ich mich
mit einem freundschaftlichen Guten Morgen, Mr. Snodgrass, von ihm empfahl.“
Leider waren dergleichen Streiche dem hohen Herrn nicht fremd. Er
musste sich zwingen, ernst zu bleiben. „Böse Geschichten, Brummeil! So kann
es nicht fortgehen. Sie müssen sich ändern!“

„Wenn königliche Hoheit es für möglich halten auf alle Fälle bitte ich,
dass ich mich erst morgen bessern darf. Denn der Salto mortale vom Tauge-
nichts zum Philister will beschlafen, und dieser herrliche Claret will getrunken
sein. Auch königliche Hoheit selbst haben Erholung verdient, den Premier ge-
tröstet, Brummell verdonnert. Wie sagt Freund Morris?

Das ist, will mich dünken.

Neuer Grund zu trinken;

Um zu trinken Grund genug.

Frisch gefüllt den Krug!“

Der Dichter hielt sich die Ohren zu. „Ich kann meine Verse nur noch an-
hören, wenn sie von Seiner königlichen Hoheit gesungen werden. Wenn könig-
liche Hoheit das Lied singen möchte, würde ich, würden wir alle glücklich sein!“
Der Prinz besass eine angenehme und geschulte Stimme. Er war darauf
eitel, allein er zierte sich wie jeder Sänger. „Alle die wichtigen Dinge noch im
Kopf —“ sprach er.

Doch Brummeil führte den römischen Dichter an:

„Nagender Sorgen Last
Zerstreuet Bacchus.“

Sofort fiel der Prinz ein:

„Wer von den Knaben wird
Am flinksten uns die Becher kühlen
Starken Falerners im nahen Giessbach:

[Nachdruck verboten.]

Auch ich habe mein Latein nicht vergessen,“ sprach er und blickte voll
Genugthuung auf Lord Cardcross, der ein unbeschreiblich albernes Gesicht machte.
„Ich lege mich nie schlafen, ohne vorher die eine und andere Ode meines Lieb-
lings im Original gelesen zu haben.“

„Wenn das wahr ist, sollen mich zehntausend Teufel holen,“ murmelte Tickell.
„Seiner königlichen Hoheit Vortrag ist so,“ sagte Cardcross, „dass man auch
ohne Kenntnis des Lateinischen die Worte versteht.“

„Na, na,“ sagte Brummell, „das käme auf eine Probe an.“

„Ich bin Patriot,“ mischte sich der Adjutant ein, „und ziehe einen englische:
Grenadier den Horatiern und Curiatiern, und dem Horaz unsern Morris vor.“
„Notabene: den gesungenen Morris!“

„Königliche Hoheit, das Lied! das Lied!“

Der Prinz liess sich noch ein Weilchen lang bitten, dann ergriff er ein
grosses volles Glas, nahm die Haltung eines Heldentenors an und sang. Der
Kehrreim wurde gemeinsam gesungen. Da nur der Prinz und Brummell an-
genehme Stimmen und musikalisches Gehör hatten, klang der Chorus gräulich.
Ohne Ausnahme aber waren sie gute Trinker. Das Lied hatte wie harmlose
Lieder in der Regel viele Strophen. Als der Gesang zu Ende war, glänzten
allen die Augen, und ihr Blut prickelte. Der Adjutant näherte sich seinem Ge-
bieter: „Königliche Hoheit gestatten — Es ist Zeit zur Hoftafel.“

„Hoftafel!?“ rief Wales. „Der Abend, der so hübsch anfing, soll so fürch-
terlich enden?! Nein, mein ,.eber Mac Mah.011, ich tafle hier. Heute gehen wir
erst morgen aus einander. Entschuldigen Sie mich bei der Prinzessin! Sagen
Sie, William Pitt sei bei mir! Sie hat einen heillosen Respekt vor Pitt. Sagen
Sie, ich und Pitt müssten heute Nacht die irische Frage lösen! Uebrigens haben
Sie diplomatisches Talent; sagen Sie der Prinzessin, was Ihnen gut dünkt!
Speisen Sie mit den Damen, machen Sie der hübschen Miss Eldin den Hof, und
wenn Sie genug Stissigkeiten gegessen, gehört und geredet haben, kehren Sie
zur rauhen Brüderschaft zurück! Wann immer Sie kommen, Sie treffen uns bei
der Arbeit .... Hoftafel! Jakob, mein Wohlthäter, mir gruselt, stärke mich!“
Es wurde wieder getrunken und gesungen und hin und wieder gespielt.
Um zwei Uhr morgens waren nur noch der Gastgeber, sein Adjutant und
Brummell ihrer Sinne mächtig.

„Big-Ben wird für die Leichen sorgen,“ sagte der Prinz zum Adjutanten
und blickte auf die Opfer. Einige waren im Sessel eingenickt; Morris, der ge-
mütvolle Dichter, schnarchte unterm Tisch; andere hatten sich auf die dünn-
beinigen Sofas ausgestreckt.

| Fortsetzung.

XV. 53.
 
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