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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Auf der Probe

zu Björnsons

lieber unsere Kraft. Zweiter Teil.

Von Dora Duneker.

[Nachdruck verboten.]

In den Strassen Berlins brauen
und wallen noch die weissgrauen
Januarmorgennebel, als sich die Thüren
zum Berliner Theater im südlichen
Teil der Charlottenstrasse schon weit
aufthun und eine Schaar von Männ-
lein und Weiblein einlassen, die es
heut gar eilig und ernst und eifrig
haben. Probe ist angesetzt. Aber es
dünkt ihnen allen, die da hasten und
drängen und flüstern, nicht die ge-
wohnte, zum Teil mechanisch gewor-
dene Arbeit zu sein, die sie ruft.

Etwas von dem echten Feuer der
Kunstbegeisterung ist heut auf sie alle
übergegangen, auf die Kleinen und ^J01

die Grossen, da es gilt mitzuarbeiten an dem Meister-
werk des alten Nordlandrecken Björnstjerne Björnson,
sich zu rüsten für die Arbeit am zweiten Teil von
„Ueber unsere Kraft“.

Die Korridore sind notdürftig erleuchtet. Im Zu-
schauerraum herrscht tiefes Dämmern; kaum dass sich
aus dem Grauschwarz die lang herabhängenden dunkeln
Tücher abheben, mit denen die Logenbrüstungen behängt
sind. Hier und da taucht eine Gestalt in dem Dunkel
des Parkettraumes auf, sei es, um sich ungesehen auf
eine der hintersten Sitzreihen des Parketts niederzu-
lassen, sei es, um einen raschen Blick auf die matt-
erhellte Bühne zu werfen und sich dann eilig über die
kleine Stehleiter, die während der Proben den Zugang
zur Bühne vermittelt, auf das Podium, oder über den
Korridor nach dem hinteren Bühneneingang zu begeben.
Die Bühne selbst ist für den ersten Akt schon „gebaut“,
nur den Hintergrund und die richtige Beleuchtung gilt
es noch auszuprobieren.

Vor den nordischen Blockhäusern, vor der demolierten
Schänke zur Hölle, vor den muffigen Kabachen, in denen
die Arbeiter kümmerlich hausen, vor dem Strikebureau
Bratts steht das technische Personal, die Maschinisten
und Beleuchter, der Oberbeleuchter, und zwischen ihnen
der behäbige Theatermeister und Obermaschinist, das
schwarze Käppchen auf dem Kopf, die fleissigen Hände
für einen Augenblick über dem rundlichen Bauch zu-
sammengelegt. Es wird geflüstert, gerufen, betrachtet.
Grüne Lichter werden statt der weissen eingestellt. Die
fliegende Rampe — eine mit elektrischen Glühlampen
versehene Latte, die zur Beleuchtung bei den Proben
dient und willkürlich an Seilen in jede Höhe und Tiefe
gebracht werden kann — wird herauf und herunter
gezogen, Arbeiter schleppen alte Kisten und Körbe
herbei, die heut noch „Schutt“ und „Geröll“ vor der
demolierten Branntweinschänke ersetzen müssen. Wird
es so gehen? Wird man so das Rechte treffen? Wird
sich das Milieu auf dieser Basis charakteristisch auf-
bauen lassen? Der Oberbeleuchter ist dabei, den Vorder-
grund der Bühne, die muffige, schimmlige, sonnenlose
Schlucht, das trockengelegte Flussbett, in dem die
Arbeiterhütten stehen, durch grünes Licht in stimmungs-
voller Weise abzutönen, als unten vom Parkett klar
und vernehmlich die Worte heraufklingen: „So ist's recht.
Ganz vorzüglich. So machen wir’s. Das giebt den
rechten Ton. Notieren Sie das gleich lieber G.“

Oben auf der Bühne entsteht tiefe Stille. Der Herr
des Hauses, Dr. Paul Lindau, ist eingetreten, die offizielle
Probe beginnt.

Noch freilich kommt das Dichterwort nicht zu
' seinem Recht, vorerst gilt es, bis ins kleinste Detail dem
Werk scenisch die Stimmung zu geben, die es verlangt.
Nun geht es unter Führung des obersten Kommandeurs
ans Kritisieren, Beraten und Bessermachen. Der
„Horizont“, der hinterste letzte Abschluss des Bühnen-
bildes, lässt noch viel zu wünschen übrig, trotz des
ebenso echten als wahrhaft künstlerischen Entwurfs
Hans Baluschecks. Es lässt sich eben nicht auf den
ersten Wurf alles so ausführen, als es gedacht ist. Aber
man ist ja zum Probieren da. Der „Horizont“ also
zeigt einen Himmel, blau mit grossen grob aufgenähten
weissen Wolken, an denen man jeden Stich und jede
Falte sieht. Er wird einstimmig verworfen. In die
Debatte hinein ruft die breite gemütliche Stimme des
alten Theatermeisters: „Herr Doktor, ich wer’ mal

meinen Horizont runterlassen, der is viel schener.“
Allgemeines unterdrücktes Gelächter. Der verworfene
Horizont wird aufgezogen, der des Theatermeisters statt

Hanfstaengl, München, phot.
nstjerne Björnson.

E. Raupp,
Paul Lindau.

Dresden, phot.

dessen heruntergelassen. Er ist wirklich „viel schener“
und wird mit einigen Aenderungen acceptiert.

Auch die sonnenbeleuchtete Burg mit der „Gross-
stadt“, auf hohem Felsen ragend, der scheinbar sichere
Hort der Fabrikherren, der Unterdrücker und Peiniger
des gequälten Arbeiters, wird einer scharfen Kritik
unterzogen. Auch die Burg schlägt Falten. Der be-
malte Shirting ist nicht exakt auf die Leinwand geklebt,
und die Malerei als solche gefällt ebenfalls nicht. Lindau
spricht sich sehr energisch dagegen aus. Der Vorder-
grund der Bühne ist in seiner ganzen muffigen, schimm-
ligen Echtheit so wunderbar getroffen, der Hintergrund
darf in nichts zurückstehn. Der ausführende Dekorations-
maler wird mittelst Telephon herbeigerufen. Baluscheck,
der Schöpfer der Idee — er hat auch das prachtvolle
Burginterieur des dritten Aktes und die poetische Wald-
landschaft des vierten entworfen — ist augenblicklich
nicht zur Stelle. Der Maler erhält den Auftrag, eine
neue Burg zu malen, weniger spielerisch, weniger an
einen Kinderaufbau mit dem Ankerschen Steinbaukasten
gemahnend. Heute aber muss mit der so energisch in
Ungnade gefallenen alten weiter probiert werden. Zu-
nächst also die Beleuchtung des „Horizont“ mittelst des
„Effekt“. Der „Effekt“ ist die einzige mächtige Bogen-
lichtlampe, die hinter der Scene in Frage kommt. Die
gesamte übrige Beleuchtung wird mit elektrischem Glüh-
licht erzielt, das an den oberen Rampen und an der Fuss-
rampe angebracht ist — Seitenbeleuchtung kennt die mo-
derne Bühne nicht mehr — und zwar in immer wechseln-
der Reihenfolge von roten, grünen und farblosen weissen
Glasbirnen, je nach dem Bedarf einer mehr rötlichen,
mehr grünlichen oder mehr stumpfen, farblosen Beleuch-

tung. Ueber all diesen vielfarbigen
Birnen aber thront auf der einsamen
Höhe des Schnürbodens der „Effekt“,
das eigentliche Schosskind der Bühnen-
beleuchtung, und lässt sein blauweiss
strahlendes Licht scheinen über echte
und schlechte Hintergründe.

Heute also scheint er einstweilen
noch auf einen schlechten, aber es
sind noch fast zwei Wochen Zeit bis
zum Tage der ersten Aufführung.
Vieles wird bis dahin an dieser ge-
waltigen Aufgabe noch geschafft und
gemodelt werden müssen!

Und nun endlich sollen die Dar-
steller zu ihrem Recht kommen. Unten,
etwa in der siebenten Parkettreihe, hat
Paul Lindau, der das Werk seines
grossen nordischen Kollegen selbst in
Scene setzt, Platz genommen. Neben
ihm auf einem improvisierten Tisch-
chen steht eine grünbeschirmte elekt-
rische Lampe, die Lindaus scharf und
charaktervoll geschnittenen Kopf hell
bescheint. Es ist eine interessante psychologische Studie,
zu beobachten, wie jeder Vorgang dort oben auf der
Bühne sich in seinem Antlitz wiederspiegelt, in dem
trotz aller äusseren Ruhe und unbeirrbaren Gelassen-
heit, jeder Nerv vibriert und Zeugnis giebt, mit welcher
Intensität er sich der Verlebendigung dieses Kollossal-
werkes hingiebt.

In einiger Entfernung von Lindau sitzen seine
Regisseure, sofern sie nicht als Schauspieler auf der
Scene beschäftigt sind: Alfred Halm, der feinsinnige
Oberregisseur mit dem ruhigen, klaren, tiefgründigen
Blick, Gustav Schefraneck der Temperamentvolle, der
mit unbegreiflicher Geschwindigkeit den körperlichen
Rapport zwischen Bühne und Zuschauerraum herzu-
stellen versteht, so dass man von ihm sagen kann, er
sei nicht nur Lindaus hilfreiche Hand, sondern auch
sein geflügelter Fuss. Nicht weit von diesen Dreien
pflegt auch Otto Graul zu suchen zu sein, oben auf
der Bühne der Darsteller grämlicher Alten, unten im
Bureau die frische treibende Kraft des gesamten Be-
triebes, Hugo Hasskerls, des bewährten Lustspiel-
regisseurs und Dramaturgen nicht zu vergessen, der
heut da oben als blinder Anders steht.

„Bühne frei,“ tönt das Kommando herauf. Wer
nicht beim Aufgehen des Vorhanges auf der Scene zu
thun hat, entfernt sich schleunig, nicht ohne einiges
Geräusch. „Ruhe dahinten“ tönt es den Abeilenden nach.

Mit dem Trauergesang „Wenn ich einmal soll
scheiden“ und dem Hinaustragen der Särge der unglück-
lichen Maren und ihrer Kinder beginnt der erste Akt.
Aber der Chor kommt nicht über die ersten Takte fort.
Hinten im Parkett steht der Kapellmeister und ruft sein
„lauter“ durch die hohle Hand, und Lindau klatscht in
die Hände, um sich in dem Stimmengewirr Gehör zu
schaffen, und fragt nach den Särgen „Sind noch nicht
geliefert Herr Doktor“ „Bekommen wir sie zu morgen?“
„Ja“ „Schön.“ Von hinten aus der Coulisse ruft der
Requisitenmeister, dass ein grosser Sarg vorhanden ist,
ob er ihn herunterholen lassen soll? „Nein heute nicht“
Und nun werden die Träger an einem improvisierten
Requisit über die Handhabung der Särge belehrt. Es
entspinnt sich ein kurzes Hin und Her darüber, ob die
traurige Last auf der Schulter oder auf einer Bahre zu
tragen sei. Als landesüblich wird für die Bahre ent-
schieden. „Weiter“. Oben zwischen den Felswänden der
Schlucht, ist dem Zuschauer unsichtbar, eine Arbeiter-
frau postiert, die scharf zugespitzte, aufreizende Reden
brockenweis zwischen die Arbeiter unten zu schleudern
hat. ln einem wohlthuenden weichen Alt werden sie
laut. Lindau springt auf. „Unmöglich liebes Fräu-
lein —* ein frisches, rundliches, von üppigem Blondhaar
umgebenes Gesicht lugt aus der Felsenkluft. „Sie haben
ein zu hübsches, gemütliches Organ.“ Die frische
Blonde tritt ab, rasch wird eine Remplacantin mit dem
nöthigen scharfen Diskant eingestellt, die denn ihre
Sache auch ganz vortrefflich macht. Der einzelne
Schauspieler kommt heute nur wenig zur Geltung.
Lindau weiss, er kann sich auf seine Hauptdarsteller —
Wehrlin-Bratt — Pittschau-Hollger — Siebert-Elias —
IIofer-Rahel — Tauber-Mo — Halm-Ketil — und ihre
Pflichttreue verlassen, auch wenn er heut sein Haupt-
augenmerk mehr auf die Entwirrung der Gruppen, die
Belebung der Gesamtscenen lenkt, und mit den Einzel-
darstellern intensiver erst in den letzten Proben zu ar-
beiten beginnt.

Scene für Scene, Akt um Akt spielt sich langsam
aus dem Gröbsten heraus. Mit unendlicher Geduld
und unermüdlichem Fleiss auf beiden Seiten — des

Achill de l Per, Berlin, phot.

Arthur Wehrlin als „Bralt" in Björnsons: „Ueber unsere Kraft."

XV. Io. P,
 
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