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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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(Doinzep PjopneOal.

[Nachdruck verboten.]

Wenn das junge Jahr seinen Einzug hält, dann
tritt der übermütige, freudenspendende Prinz Karneval
wieder seine Regierung an und Schellenkappe und
Pritsche herrschen in den rheinischen Städten, bis
Aschermittwoch grau und trübe herannaht und dem
tollen, lustbewegten Faschingstreiben und Mummen-
schanz ein Ende bereitet. Während im alten Köln der
Höhepunkt des P'aschings im ausgelassenen, freudigen
Strassenleben während der drei Fastnachtstage selbst
und speciell in dem meist glanzvollen und humordurch-
wehten Rosenmontagszuge gipfelt, zeichnet sich Mainz
mehr durch seine regelmässig jeden Freitag während
der Karnevalssaison in der
grossen auf das Prächtigste
und Närrischste dekorierten
Stadthalle stattfindenden kar-
nevalistischen Sitzungen aus.

Hier findet man Tausende
von Narren (in Mainz Narr-
hallesen genannt), mit UU
Schellenkappe auf dem Haupte
und dem Sterne an der Brust,
den geistvollen, humoristi-
schen Tribünenvorträgen, die
teils im Kostüm, teils in der
Kappe gehalten werden, an-
dächtig lauschend und die
Redner und Sänger mit jubeln-
dem Beifall an besonders tref-
fenden und witzigen Vortrags-
stellen überschüttend. Dazwi-
schen werden stimmungsvolle
Chorlieder, darunter meist
solche von drastischer Wir-
kung in Mainzer Mundart ge-
sungen. Ueber der Redner-
tribüne auf einem hochauf-
gebauten, mit närrischen Em-
blemen in künstlerischer Voll-
endung dekorierten Podium
thront das Elfer - Komitee,
dessen Präsident in humor-
voller Weise und mit ge-
schickter Hand die Sitzungen
leitet. Findet der Vortrag
eines Redners, was auch mit-
unter einem weniger Glück-
lichen beschieden, nicht die
Gnade des souveränen Nar-
renvolkes, so wird er mitsamt
der Tribüne hinab in die fin-
stere Tiefe versenkt.

Seit 62 Jahren werden
diese glanzvollen Sitzungen
von dem Mainzer Karneval-
Verein arrangiert, wenn der-
selbe nicht unter dem Einflüsse
ungünstiger Verhältnisse ver-
hindert ist, zu tagen, was in
dem letzten Decennium leider
wiederholt vorkam. In diesem
Falle ist es traditionsgemäss
die „Mainzer Karneval-Gesell-
schaft“, die Gott Jocus den ge-
bührenden Tribut zollt. Deren
Sitzungen finden in der hu-
moristisch, künstlerisch deko-
rierten grossen Mainzer Turn-
halle statt. Unser Bild zeigt das
prächtig aufgebaute, während
der Sitzungen in herrlichen
elektrischen Lichteffekten er-
strahlende Podium mit dem
Komitee, in dessen Mitte der schneidigePräsident Wilhelm
Grimm, Pagen, Herolde und Gardisten des Prinzen
Karneval. Wer ein Freund echten rheinischen geist-
reichen Humors ist, auf einige Stunden des Lebens
Sorge und Lasten vergessen will, der möge einer
Sitzung des Mainzer Karneval beiwohnen. ■—m.

Ein Revolver-Dramatiker.

Eine hübsche Theatergeschichte erzählt ein ehe-
maliger Theaterdirektor in einem Pariser Blatte. Man
hegt jetzt in Paris den Wunsch, ein Theater zu bauen,
in dem nur die Werke junger Autoren gespielt werden
sollen. Man will den aufkommenden Kräften den Weg

erleichtern, für die es jetzt so schwer ist, auch nur die
Lesung ihrer Stücke von den vielbeschäftigten Theater-
leitern zu erlangen. Nicht jeder geht eben so entschlossen
vor, wie dies Paulin Deslandes vor etwa sechzig Jahren
that. Dieser war Sänger an der Opöra Comique; aber
als er merkte, dass seine Stimme schwand, sagte er
sich eines schönen Morgens: „Ich will einen Einakter

schreiben, und wenn ich Glück habe, werde ich dra-
matischer Autor!“ Er schrieb den Akt und trug das
Manuskript zum Gymnase. Er war sehr gut mit dessen
Direktor bekannt und bat ihn, sein Stück zu lesen.
„Unmöglich“, hiess es, „wenn Du gespielt werden willst,
besuche M. Scribe. Wenn das Stück gut ist, wird er es
mit Dir zeichnen, und der Erfolg ist gewiss.“ Deslandes
wollte aber allein der Vater seines Kindes bleiben. Er-

ging vergeblich noch zu verschiedenen anderen Theatern
und dann erinnerte er sich, dass Nestor Roqueplan, der
ein eifriger Besucher hinter den Coulissen gewesen war,
seit kurzem Direktor des Varietes war. Er traf ihn nicht
in seinem Theater — dort war er nur sehr selten —,
sondern im Cafe. Der Impresario war sehr liebens-
würdig und bestellte Deslandes zu sich. Zu der ver-
abredeten Stunde kam er aber nicht, bestellte ihn von
neuem, kam wieder nicht, und so ein drittes und ein
viertes Mal. Der arme Deslandes geriet in Verzweiflung,
rief dann aber dramatisch: „Er hat mir versprochen,

dass er mich hören will, und ich schwöre bei allen
Göttern, dass er sein Versprechen halten wird.“ Das
Zimmer des Direktors lag damals auf einen kleinen Hof
hinaus im ersten Stock. Es war im Sommer, das Fenster
stand offen Deslandes nahm eine Leiter, kletterte zum

Fenster hinauf und gelangte so in das Zimmer des
Direktors. Er wartete eine gute Stunde. Endlich er-
schien Roqueplan und war überrascht, Deslandes in
seinem Zimmer vorzufinden. „Wer zum Teufel hat
Sie in mein Zimmer gelassen?“ „Das ist nicht Ihre
Sache,“ antwortete der junge Autor. „Sie haben mir
versprochen, mein Stück zu hören. . . . Sie werden es
jetzt hören.“ „Ich habe keine Zeit!“ sagte Roqueplan.
„Sie werden sich Zeit nehmen,“ sagte Deslandes und
zog eine hübsche kleine Pistole aus der Tasche. „Lesen
oder das Leben!“ •— „Ich will das Stück lieber an-
nehmen, ohne es zu hören!“ schrie der Direktor. „Nein,
Sie werden es hören. Vorwärts, setzen Sie sich, ich
fange an.“ Roqueplan sah ein, dass er nachgeben
musste, er steckte sich eine Cigarre an, nahm Platz und

seufzte: „Vorwärts, wenn es
denn sein muss, lesen Sie!“
Deslandes, der immer noch in
der einen Hand seine kleine
Waffe hielt, zog mit der an-
deren sein Manuskript, das
„Les deux Anges gardiens“
betitelt war, und begann zu
lesen. Der Direktor hörte in
seiner Wut kaum hin und
beschäftigte sich angelegent-
lich damit, mit Papierstücken
zu spielen, dann aber passte
er besser auf, allmählich
wurde er immer mehr inter-
essiert und schliesslich rief
er: „Mein Teurer, das ist

ein hübsches, kleines Stück!
Das ist ein Juwel! Ich nehme
es lieber zwei- als einmal.
Sagen Sie, wie Sie die Rollen
verteilen wollen, und morgen
lesen Sie es den Schauspie-
lern vor.“ Und die „Deux
Anges gardiens" wurden mehr
als 500 mal in den Varietes
gespielt. . . .

—aWvv—

Die Pekinger Sternwarte,

In dem äussersten Osten
Pekings, nahe dem Gesand-
schaftsviertel, liegt das kaiser-
liche Observatorium, die
Sternwarte. Aber wie vieles
im weiten Reich des Himmels
veraltet ist, so auch an dieser,
der Wissenschaft geweihten
Stätte. Im Jahre 1279 wurde
die Sternwarte erbaut, und
noch heute befinden sich seine
alten, aus dem 12. und
15. Jahrhundert stammenden
Bronze-Instrumente auf der
Plattform des Gebäudes. Man
darf sich nun jene Instru-
mente nicht so vorstellen, wie
sie bei uns gebräuchlich sind;
Fernrohre und andere opti-
sche Instrumente, die das
Hauptwerkzeug des Astrono-
men sind, kennt der Sohn des
himmlischen Reiches nicht,
oder wendet sie doch nicht
an. Das bedeutendste Re-
quisit ist ein riesiger Him-
melsglobus, der etwa 7 m
im Umfang misst und das
respektable Gewicht von 19
Centnern hat. Abgesehen davon, dass dieser Globus
nicht den mindesten Wert für moderne Himmelsbeob-
achtungen hat, ist er ein wirkliches Meisterwerk; reich
verziert in einem schönen, aus Kupfer getriebenen Ho-
rizontring hängend, sind auf seiner Oberfläche alle
grösseren Sterne genau in ihren Abständen von einander
aufgezeichnet; wie denn überhaupt dieses Abbild des
Sternengewölbes zur Auffindung und Bestimmung der
Auf- und Untergänge der Gestirne über den Horizont
von Peking diente und noch heute dient. Weiter be-
findet sich noch dort ein Instrument, das aus vielen in-
einander gesteckten Kreisen besteht; es ist eine Ar-
millarsphäre, ein Apparat, wie er schon im grauen
Altertum verwendet wurde. Die verschiedenen Ringe,
die zu einander beweglich sind, stellen die verschiedenen
Kreise am Himmel dar; der Mittagskreis, der Horizont,

Das Komitee der Mainzer Karneval-Gesellschaft.

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