Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

DOI Artikel:
Détschy, Serafine: Kreuzwege, [1]: Roman aus der Bühnenwelt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0019

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Roman aus der Bühnenwelt von Serafme De'tschy.

I.

]{ch, das sieht ja heute geradezu festlich aus! Heute sieht man in
unserem sonst so spiessbürgerlichen Hoftheater wahrhaftig einmal
Orden und Brillanten funkeln!“

Herr v. Bingen, ein hochgewachsener junger Mann, sagte es zu seiner

Miss

Maria Mannering.

Mutter, während er sie fürsorglich in
der Loge installierte.

Eigentlich hätte man die würdige
alte Dame mit den weissen Scheiteln
unter dem schwarzen Spitzenhäub-
chen eher für seine Grossmutter
halten können, so stark war der
Kontrast dieser jugendstrotzenden
Erscheinung mit dem auffallend rot-
blonden J Iaar, dem feinen Schnur-
bärtchen überblühend frischen Lippen
und den strahlend tiefblauen Augen,
mit dem welken, früh gealterten
Wesen seiner Mutter, aus deren
blassem Antlitz nur dieselben blauen
Augen, an die des Sohnes erinnerten.

„Der König wird ja auch er-
scheinen“ meinte die alte Dame, sich zurechtrückend, „Drum habbe sie
sich als so fei g’macht. Tristan und Isolde ischt ja sein’ Lieblingsoper.“
„Er liebt ja überhaupt nur Wagner-Opern“ mischte sich Julius v. Berg
ins Gespräch, ein Verwandter des Hauses und Freund v. Bingens.

„Seht doch wie voll cs wird, auch ein ungewohnter Anblick in
unserem Antiquitätenkasten! Da sieht man doch, dass es sich lohnt,
einen akkreditierten Gast mit einigen Opfern zu gewinnen!“

„Gast? Ich denke Sarolta Dereny ist als Primadonna bei uns
engagiert, Freddy, statt der grässlichen Bettina, die auf Wunsch des Hofes
sofort entlassen werden musste, weil sie und von Theuern —“

„Mama, Mama!“ lachte Freddy „Du wirst Dich noch um Dein Seelen-
heil reden, wenn Du so zarte Intendantengeheimnisse an
öffentlichen Orten publizierst!“

„Na hör’ ’mal Alfred, das weiss doch ein

Miss

Maria George.

[Nachdruck verboten.]

Kind, das noch nicht geboren ist, dass Herrn v. Theuerns Stellung damals
bedenklich wackelte, und dass er nur durch geschicktes Fallenlassen der
allzu unvorsichtigen Erwählten, sich selber retten konnte,“ meinte Julius.
„Sieh Dir den Mephistokopf dort drüben einmal an — eben tritt Herr
v. Theuern in die Loge — der versteht es, auf glattem Parkett nie die
Balance zu verlieren. Wie geschickt wusste er die gefeierte Wagner-
sängerin als Gast für eine Saison zu gewinnen, um, dem Wunsch des
Königs gemäss, den ganzen Nibelungenring nebst vollständigem Wagncr-
C3'klus diesen Winter aufführen zu können.“

„Wenn er nur dabei nicht über Fräulein Sendig stolpert, die mit Hilfe
hoher Protektion diesen Winter allein zu glänzen hoffte —“.

Der Vorhang hob sich nach dem Vorspiel und die Opern-
gläser flogen an die Augen. Es dauerte nicht lange und auch
die gespannteste Erwartung wurde durch die Erscheinung
des Gastes befriedigt.

Auf dem wogenden Wikingerschiffe erschien eine hohe
Gestalt, deren wundervolles Ebenmaass, die schmiegsam
weichen Wellen des milchweissen Gewandes verrieten. In dem
feingeformten Kopfe, den die schwarzen, üppig gelockten
Wellen eigenen Haares umwallten, blitzten unter dunklen
Bogen kristallblaue, mandelförmige Augen, deren Leuchten
elektrischen Funken glich; leidenschaftlich zitterten die ge-
wölbten Flügel der klassischen Nase, indess dem liebedurstig
geöffneten Munde Töne entströmten, die wie eine Flamme
durch das Haus flogen:

Wie alle Sinne wonnig erbeben, sehnender Minne schwellendes Blüli'n,
SchmachtenderLiebe seligesGlüh’n, doch in derBrnst jauchzende Lust! Tristan!

Bei der südlichen Glut dieser Stimme und Darstellung
konnte selbst das sonst so hausbacken kühle Publikum der
etwas altmodischen südlichen Residenzstadt nicht widerstehen,
und als der Vorhang zum erstenmale fiel, entstand zwar erst
die befangene Pause, die allen mächtigen Eindrücken folgt -
dann aber brauste ein Beifallssturm, durch das sonst so
sittsam stille Haus; man wurde nicht müde, die Künst-
lerin zu bewillkommnen, die eine musikalische Offen-
barung brachte. Selbst der etwas skeptisch veranlagte
Alfred von Bingen konnte sich dieser elementaren
Wirkung nicht entziehen. Er
lauschte, lauschte, — sich und
seine Umgebung vergessend, mit
glänzenden Augen und zitternden
Nerven. Er sog den Hauch dieser
berauschenden Leidenschaft ein,
wie den Duft einer fremden, süd-
lichen Blume, deren Atem ihm die
Sinne betäubt, dass er sich wehr-
los forttragen Hess in ein brausen-
des Meer von Empfindungen, die
ihn auf ihren Wogen
mit sich rissen —
weit, weit fort aus
dumpfer, grauer
Alltäglichkeit, zu
schönerer, wärme-
rer Sonne! — Liebe!
— Gab es solche
alles vergessende
Liebe, die über
einem zusammen-
schlug wie ein Meer?
Hatte dieses

Miss

Julia

Marlowe

XV. 1.11.
 
Annotationen