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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Tanera, Karl: Ein Zugvogel: Reise-Plauderei
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Heigel, Karl von: Brummells Glück und Ende, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0599

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27 6

MODERNE KUNST.

mich nicht. Ein leichter Sommerregen hatte sie erreicht. Er presste
ihre Hände so innig und küsste die kleinen Patschchen so glühend, dass
sie ihren Schirm kaum halten konnte. Da bemerkten sie mich. Diese
Ueberraschung! Er neigte sich zurück, sass dann resigniert auf der
Ruderbank und blickte nicht gerade freundlich zu mir. Na, ich konnte
es ihm nicht verargen. Und sie sah ganz unbefangen nach dem Regen.
Wie doch ein verliebtes Mädchen geschickt schauspielern kann! Aber
ich empfand Mitleid und ging meiner Wege! Und doch habe ich mir den
Platz gut gemerkt. Bei Ulriksdal, wo diese entzückenden Landhäuser
aus dem Grünen hervorschauen, und zwischen den kleinen, bewaldeten
Inseln so zahlreiche Wasserstrassen ein Labyrint bilden. Im Jahr darauf
war ich wieder an der Stelle, sah aber kein Liebespärchcn mehr.

Seit der Zeit habe ich viel kennen gelernt, eigentlich die ganze Erde.
Die Seebäder von Italien, Belgien, Holland, von China und Japan, von
Kalifornien und der Ostküste Nordamerikas. Und doch gefallen mir die
deutschen am besten. Ich will nicht mehr hinaus in die Weite. Ich will
in einem deutschen Meere baden. Freilich engherzig, prüde und philister-
haft ist man bei uns so, dass man es kaum glauben kann. Getrennte
Bäder, für Damen allein und Herren allein! Wenn man so etwas in
Scheveningen, Blankenberge, Ostende, in Abbazia, an der Riviera oder
gar in Dieppe, Trouville, Biaritz, San Sebastian, ja selbst bei den prüden
Amerikanerinnen im Salt Lake oder in Montherey oder Santa Cruz ein-
führen wollte! Da käme man schön an. Was habe ich doch schon für
scharfe, heitere und charakteristische Bemerkungen gehört, wenn ich im
Ausland erzählte, dass wir in Deutschland getrennte Seebäder haben!

„Sind denn Ihre Damen oder Ihre Herren nicht so gut erzogen,
dass man sie in den Seebädern zusammen baden lassen kann?“
Das war die boshafteste Aeusserung. Dann heist es weiter: „In Deutsch-
land betrachtet man die Seebäder nur als Waschanstalten. Den Genuss,
in frischem Seewasser an heissen Sommertagen sich umherzutummeln,
dann auf dem Strand zu bummeln, wieder zu baden und so halbe und
ganze Vormittage lustig zu verleben, hält man für unmoralisch. Darum
hat die Polizei das gemeinsame Baden verboten, damit man sich langweilt,
und bald wieder aus dem Wasser geht.“

„O nein“, meinte eine Pariserin. „Die deutschen Damen tragen zu
schlechte Badekostüme. Darum können sie sich vor den Herren nicht
sehen lassen. Und letztere tragen gar keine ganzen Badeanzüge, sondern
nur — fi donc. Da kann man freilich nicht zusammen baden!“

„Ihre Damen können wohl gar nicht schwimmen und wagen sich über-
haupt nicht vom Strand weg. Wir schwimmen, natürlich in Begleitung
unserer Herren, "die uns im Notfall beistehen, weit hinaus in den Ocean.
Das ist erst der rechte Genuss vom Seebad“. So erzählte man mir in
Amerika. Und was war es doch, was in San Sebastian jene feurige

Spanierin sagte! Richtig, nun fällt es mir ein: Euere Polizei in Deutsch-
land verhütet, dass Ihr nie etwas Natürliches seht. Bei euch gilt ja auch
das Nähren eines Kindes durch die Mutter auf der Strasse als unanständig.
Da begreife ich es, das Euere Polizei auch den Männern verbietet, Frauen
im Badekostüm im Seebad zu sehen, denn der Frauenkörper ist wohl
nach den deutschen Polizeiansichten ebenfalls unanständig. Die deutschen
Frauen tanzen wohl auch in geschlossenen Kleidern!“ Wie recht haben
doch all’ diese Völker, wenn sie über unsere übertriebene Prüderie höhnen
und spotten! Wenn die Moral darunter leiden sollte, dass man eine
Frau oder ein Mädchen im Badekostüm sieht, dann ist sie von Haus aus
nicht viel wert. Na Unsereiner kommt doch trotz aller Polizeivorschriften
auf seine Kosten. Ein tüchtiger Feldstecher mit 10 und 12facher Ver-
grösserung, der thuts auch. Wie ich in Sassnitz mich 50 Meter vom
Damenbad entfernt aufstellte und mit meinem Glas die badenden Damen
beobachtete, sah ich manche geschmeidigen, schönen Körper ganz genau
und freute mich an den kräftigen und geschickten Bewegungen trotz des
Verbotes, das Damenbad zu betreten. Doch halt! So etwas darf man
nicht verraten, sonst erlässt die löbliche Ortspolizei oder die Bade-
direktion noch ein Verbot des Tragens von Feldstechern und Opern-
gläsern. Da würden mir die Kameraden der Marine leid thun, welche
dann beim Vorbeidampfen an Sassnitz stets seewärts statt nach dem
Lande sehen müssten, denn denen kann man doch die Fernrohre nicht
abknöpfen.

Ja, ja, etwas langweilig sind unsere deutschen Seebäder im Vergleich
mit denen unserer Nachbarn. Aber gewissen Reiz haben sie doch. So
ein Bummel auf der Landungsbrücke in Heringsdorf ist auch ein Ver-
gnügen. Da sieht man flotte Toiletten, mit mehr oder weniger Geschmack,
wie es eben die neuen Moden mit sich bringen, macht die Kur, bewundert
schöne Damen, plaudert und scherzt und vergisst die dumpfe Berliner
Stube. Nur einen Fehler hat Heringsdorf. Man begegnet bei jedem Schritt
einem Bekannten aus Berlin W. Unerkannt sein, einmal 4 Wochen ganz
aus seinem Kreis heraustreten, ein kleines lustiges Abenteuer entrieren,
ist ja ganz unmöglich. Wenn man dreimal auf der Brücke mit derselben
Dame gesprochen hat, pfeifen es tags darauf in Berlin die Spatzen auf
dem Dach, oder man kann es sogar gedruckt im Lokalanzeiger lesen.
Das ist aber doch eine Schattenseite.

Aber wohin? Fort muss ich, denn den Juli und August in Berlin W.,
Kurfürstendamm No. X zuzubringen, ist doch unmöglich. Also wohin,
wohin?“

Er rauchte weiter, schaukelte sich in seinem Stuhl hin und her, blickte
in den blauen Cigarettendampf und sann und sann. Ich habe es noch
nicht erfahren, wohin der gemütliche Zugvogel in diesem Sommer seinen
Flug richten wird? —

—®-e>-

Roman von Karl von Heigel.

f [Fortsetzung.]

ie sollten überhaupt nicht menr — nie mehr dazu kommen. Im Vor-
zimmer wurde eine Stimme laut. Die Prinzessin hätte jede andere im
Eifer der Unterhaltung überhört, doch diese schreckte sie jählings
auf: „Der König!“ ....

Ein grünseidener Schirm beschattete das Gesicht Georgs III. Die Uniform
mit dem Brillantstem und jener Schirm, der wie eine ungeheure Mütze aussah,
passten nun freilich schlecht zusammen, doch wer lacht über einen Erblindeten!
Der Fürst stützte sich auf den Arm seines Geheimsekretärs Major Taylor . . . .
„Papa!“ rief die Prinzessin, „Du bemühst Dich zu mir! warum hast Du mich
nicht rufen lassen?“

Der König schob den Schirm ein wenig aufwärts. „Du bist nicht allein?“
„Mein — Sekretär!“ stammelte die Prinzessin und sah den Major, der über
die Anwesenheit des ihm wohlbekannten Stutzers erstaunt war, bittend an.

„Sie werden mir morgen weiter darüber berichten,“ wandte sie sich an
Brummeil.

„Nein, der Mann soll bleiben!“ befahl der König. „Ich habe mit meinen
Kindern nichts zu verhandeln, was nicht jeder Engländer hören könnte.“

Er liess den Arm des Majors los und warf sich im die Brust. „Welcher
Missethaten beschuldigt mich das englische Volk? Ich kann wie Samuel, der

[Nachdruck verboten.]

Richter Israels, sagen: Wessen Ochsen habe ich genommen? wessen Esel? Wem
habe ich Gewalt oder Unrecht gethan?“

„Wer wagt Majestät Vorwürfe zu machen?! Wenn einige Wahnsinnige —"
Karoline erschrak über ihr Wort — „einige Elende ohne Glauben und Ge-
wissen —“

„Einige! einige!“ entgegnete der König ungeduldig. „An jenem unseligen
29. Oktober Fünfundneunzig schrieen Tausende und aber Tausende: Keinen

König! Zweimal hunderttausend Wütende waren auf der Strasse. Ohne meine
tapferen Dragoner wäre ich gesteinigt worden.“

„Erinnern Sie sich, Majestät,“ sagte die Kronprinzessin, „wieviel öfter, wie-
viel lauter: Heil unserm König! gerufen wurde.“ Sie bemächtigte sich seines

Armes und führte den armen Blinden zum Sofa. „Ihre heitere Sanftmut, Ihre
ruhevolle Festigkeit haben noch immer die Sündigen bekehrt.“

„Ich komme vom Krankenbett unserer Amalie. Sie hat nach Dir gefragt,
und ich wollte Dich bitten —“

„Was, mein teuerster Papa?!“

„Ich frage jeden ehrlichen Mann, ob mir der Krönungseid die Emanzipation
der Irländer erlaubt!? Ich habe Festigkeit genug, um dem Thron zu entsagen,
wenn mein Volk es verlangt. Ich lege meinen Kopf unter das Beil, ist es für die
 
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