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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Revel, A. H.: Das Kameel
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Schnurcks, Scholastika: Der rauchende Gatte und seine Bedeutung für die ''Kunst im Hause'': humoristische Studie von Scholastika Schnurcks
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0187

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84

MODERNE KUNST.

Erna stand versteinert. Sie hörte das rasche Herbeikommen Papas
und seinen Ruf: „Was ist denn geschehen?“

Vater und Kind standen und starrten auf die Scherben. „Na, schöne
Bescherung das! — Was stehst Du denn da so dumm? Was?“ fuhr er
das blasse Kindchen an. „Hast Du nicht gesagt, Du willst aufpassen?“
„Das — Kameel — —“ stotterte die Kleine entgeistert.

„Was Kameel? Du selbst bist ein Kameel! Warum kannst Du denn
nicht Acht geben? Was? Das neue Theeservice, das mir Mama geschenkt
hat? Es ist zum aus der Haut fahren! . Soll etwa dieses Holzkameel
Augen für Dich haben? Was? Du bist ja noch viel dummer als das
Kameel! Marsch auf Dein Zimmer!“

Erna ging mit zuckendem Mündchen zu ihren Spielsachen, umschlang,
als sie allein war, das Kameel und weinte heisse, schmerzliche Thränen
in seinen geteilten Buckel. Sie war tief, tief gekränkt. Zehn Backpfeifen
wären ihr lieber gewesen, als diese Hintanstellung hinter dem Kameel.
Dummer als dies hässliche Tier! Und sie hatte doch so aufgepasst! Sie
hörte, wie Mama zu Papa erklärte, nur er könne einen so dummen Einfall
haben, einem Kinde ein Kameel zu schenken. Mädchen hätten mit Puppen zu
spielen. Das Kameel würde sie morgen einfach den Portierskindern schenken.

Erna erbebte bis in ihr Herzchen. Das geliebte Kameel sollte anderen,
fremden Kindern gehören? Es sollte in der kalten Portierswohnung
wohnen statt in den warmgeheizten Zimmern mit den schönen Spiel-

sachen? Nein. Da würde das Kameel sterben. Wenn es schon sterben
sollte, dann sollte es in einem schönen, warmen Zimmer sterben, — bei
ihr, — und nicht bei fremden Leuten.

Als man sie nachts in ihr Bettchen brachte und sie zur Strafe weder
von Papa noch Mama einen Kuss erhielt, schluchzte sie heiss in ihre
Spitzenkisschen, bis sie sich in den Schlummer geweint. — Nachts er-
wachte sie plötzlich. Sie stand auf, holte sich aus der Nebenstube ihr
Kameel, nahm es zu sich ins Bett und zerlegte es allmählich; jedes
einzelne Glied küsste sie unter heissen Thränen: die vier Beine, den Kopf,
die beiden Höcker, den Schwanz, den Rumpf und den Untersatz, legte
alles behutsam unter ihr Kissen und wartete mit offenen Augen, bis das
Mädchen des Morgens Feuer anmachte. Als die Funken lustig sprühten
und das dunkle Zimmer mit phantastischen Lichtern stellenweise rötlich
erhellte, stand das Kind leise auf, öffnete die Ofenthür und legte ein
Stück nach dem andern auf die Glut, bis das ganze Kameel verbrannt war.

Unbewusst fühlte sie sich als Begeherin einer grässlichen That.

Den folgenden Tag lag das zarte Kind an schwerem Nervenfieber
erkrankt. Nun, da ihnen das Kind vom Tod entrissen werden sollte,
klammerten sich die Eltern mit aller Liebe an dasselbe, jetzt erst fühlend,
wie sehr sie das Kind liebten. Und nachdem sie schwere, angstvolle
Wochen am Lager Ernas verbracht und diese genesen war, hatten sich
auch die Gatten gefunden, — und klein Erna wusste, was Elternliebe war.

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enn man die verschiedenen Ehemänner unserer Zeit mit einander ver-
gleicht, so zerfallen sie auf den ersten Blick in zwei mächtige Hälften:
1) solche, die rauchen, und 2) solche, die nicht rauchen. Dieser Unter-
schied erscheint bei oberflächlicher Betrachtung unbedeutend; er ist aber sehr
einflussreich auf das Wesen der Männer an sich und ihr Verhältnis zu anderen
Menschen. Auf den ersten Blick wird die praktische Hausfrau den Nichtraucher
vorziehen, weil seine Vorteile mehr in die Augen springen. Es lässt sich nicht
leugnen, dass in seiner Gegenwart die Gardinen weisser bleiben. Auch wird er
nicht so leicht Tischdecken und sonstige Möbel durch unvorsichtige Berührung
mit der brennenden Cigarre beschädigen. Er scheint also pekuniär günstiger,
besonders auch, indem er dem Haushalt die Ausgaben für Zündhölzer, Aschen-
becher, Rauchservice und Rauchtischchen erspart, gewiss keine Kleinigkeit!
Aber damit ist er denn auch endgültig erschöpft.

Betrachtet man den Mann an sich, so können wir doch nicht umhin, den
rauchenden Gatten interessanter zu finden. Er ist männlicher, gemütlicher, um-
gänglicher, — überhaupt so ganz anders! Abgesehen von den Unkosten hat
ihn, glaube ich, jede Frau lieber, und wenn sie es geschickt anzufangen weiss,
so kann sie sich einen solchen Gatten schon mit geringen Mitteln leisten. Es
bedarf dabei bloss einer kleinen Verschiebung gewisser Ausgaben, die jeder
Mensch machen muss, der Auslagen für Geschenke.

Als gebildete deutsche Hausfrau lernt man mit Freuden den Segen mancher
Beiträge aus dem Leserinnenkreise unserer Frauenzeitungen schätzen. Die
moderne Förderung der Frauenbildung kam zwar für mich zu spät; denn als sie
sich aufschwang, war ich schon verheiratet und gehörte dem altmodischen Beruf
der Hausfrau und Mutter an, konnte es also nicht weiter bringen. Als einzige Er-
hebung aus der Alltäglichkeit bleibt mir die Kunst, besonders die Kunst im Hause.
Wenn man dann so liest, was Tausende von Mitabonnentinnen aus zerbrochenen
Lampenglocken, alten Cylinderhüten, halben Stiefelknechten und abgelegten Hunde-
halsbändern hervorzuzaubern wissen, so regt auch meine Schöpfungskraft mächtig
die Schwingen; jeder im Haushalt überflüssig gewordene Gegenstand schreit nach
künstlerischer Gestaltung. Aber die meisten Frauen zersplittern sich zu sehr. Ich
finde, als Jüngerin der „modernen Kunst“ hat man die Pflicht, eine bestimmte
Richtung zu vertreten. Die meine habe ich denn nach ehrlichem Ringen im Gebiet
des Rauchens gefunden, was für mein Haushaltungsbuch sehr wertvoll ist.

[Nachdruck verboten.]

Schliesslich hat jeder Mensch einmal im Jahr Geburtstag, und Weihnachten
kann er auch etwas verlangen. Dafür gab ich früher eine ganze Summe aus.
Das mache ich nun anders: ich lasse meinen Gatten für das Geld rauchen und
gewinne dabei selbst kostenlos alle für meine Kunst nötigen Materialien als
Nebenprodukte. Es würde zu weit führen, wenn ich an dieser Stelle eine aus-
führliche Behandlung des Gegenstandes bringen wollte; ich beschränke mich auf
einige bahnbrechende Winke mit erläuternden Beispielen.

Betrachten wir zunächst die Cigarrenkiste. Aus ihr lässt sich eigentlich
alles machen, sei es, dass man sie a) in ihrer- Urform verwertet, b) in ihre
einzelnen Bestandteile zerlegt, oder c) beides.

Aus Cigarrenkistchen entstand z. B. der entzückende Manuskriptenschrank,
den ich meinem Gatten zu Weihnachten arbeitete. Letzterer ist von Beruf
Dichter und Schriftsteller, kann ihn also sehr gut gebrauchen. Ich suchte dazu
zwei Cigarrensorten aus, deren Kisten der Grösse nach genau in einander passten,
so dass durch die Entfernung eines Seitenbrettchens an der äusseren mit
Leichtigkeit eine Schublade herzustellen war. Es dauerte ziemlich lange, bis
ich die nötigen achtzehn Kistchen zusammen hatte, denn die grössere Sorte
wollte meinem Gatten trotz allen. Zuredens nie recht schmecken, und ich über-
raschte ihn immer wieder dabei, dass er zwischendurch andere rauchte, die nicht
so eilig waren. Aber mit etwas Geduld und ruhiger Beharrlichkeit kam ich
schliesslich zum Ziel, und ich finde ihn reizend und ausserordentlich praktisch.
Die achtzehn Kistchen ergeben neun Behälter mit Schubladen, die ich in drei
Reihen neben- und übereinander ordnete und aneinanderleimte. Aus Brettchen
von zerlegten Cigarrenkistchen sägte ich drei entzückende Schilder, die oben
über die drei Schubladenreihen genagelt wurden. Nachdem ich nun alles von
innen mit Stanniol ausgefüttert hatte, bestrich ich es von aussen mit weisser
Emailfarbe. Man glaubt gar nicht, wie reizend es aussieht, wenn man auf
diesen Grund mit goldbronzierten Cigarrenabschnitten den Namen der Poesie-
gattung klebt, die in die betreffende Schublade hineingehört. Auf die
oberen Schilder kam die Haupteinteilung, in die Mitte natürlich die Lyrik,
links Epos, rechts Drama (Didaktik ist nicht mehr modern). Auf die Schub-
laden selbst klebte ich die Unterabteilungen: a) Natur, Liebe, Religion;

b) Altertum, Mittelalter, Neuzeit; c) Schauspiel, Lustspiel, Trauerspiel. — Unter
jede Schublade befestigte ich als Handhabe beim Herausziehen eine kleine aus

und seine Bedeutung für die „Kunst im Hause“.

Humoristische Studie von Scholastika Schnurcks.
 
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