Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

DOI Artikel:
Georgy, Ernst: Faschingsleid und Freud
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0350

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
15«

iSreud. sm

Von Ernst

Die lustige Faschingszeit war ge-

n B. herrschte grosse Aufregung.

; kommen. Von Köln, von München, von Nizza meldeten die Zeitungen
Wunderdinge. Dort feierte man den Karneval sogar in den Strassen
auf das Lustigste. Das ganze Volk ging in Maskenanzügen. Wagen-
umzüge, ein Blumenkorso und Bälle fanden statt. — Ja, all diese
Menschen haben leichtes Blut und gutes Temperament. Nur wir
schwerfälligen, kalten Norddeutschen eignen uns nicht "für diese
sonnige Heiterkeit.

In der Haupt- und Residenzstadt Berlin versuchten zwar einige
Künstlergruppen, einige ästhetische Vereine durch hübsch veran-
staltete Feste dem Prinzen Karneval ein Bürgerrecht zu verschaffen.
Die Zeitungen veröffentlichten stets sehr begeisterte Berichte darüber. Jedoch
die Eingeweihten und die Radikalen zuckten die Achseln und erklärten aufrichtig:
„Wir können es nun einmal nicht und sollten doch endlich solche fruchtlosen
Versuche aufgeben! Das Feld der norddeutschen Tüchtigkeit liegt auf ganz
anderen Gebieten!“ — — Das war ja alles sehr schön und gut; Selbsterkenntnis
ist der erste Schritt zur Besserung! Aber es war ja doch ein ausgesprochenes
Armutszeugnis!“ —

In B. war man von jeher auf Berlin eifersüchtig, besonders seit es im ge-
sellschaftlichen und künstlerischen Leben solch kollosalen Aufschwung genommen.
Die maassgebenden Kreise der schönen Mittelstadt thaten sich zusammen. Sie
beschlossen einstimmig, den übermütigen Grossstädtern zu beweisen; dass man
auch in der Provinz ,chic‘ sein konnte. Hier hatte man ja auch mehr Zeit
zum Nachdenken, zum Vorbereiten; mehr Ruhe zum Genuss. — Bot denn die
Karnevalszeit nicht eine herrliche Gelegenheit, sich auf der Höhe zu zeigen? —
Also ans Werk! — — Beratungen fanden statt. Sitzungen im ,Ratskeller', in
der ,Künstlerklause1, im ,Verein der Klassischen1. Darauf gemeinsame Beratungen
der erwählten Deputierten dieser drei Parteien im Sprechzimmer der ,Harmonie1. —
Der Bürgermeister bewilligte einen Zuschuss aus einem für solchen Zweck
reservierten Stadtfond. Die Vereinskassen wurden geplündert, freiwillige Beiträge

[Nachdruck verboten.]

eingesammelt. So waren wenigstens die ersten Unkosten gedeckt. Nun hoffte
man noch, aus dem Ertrag der Billete, der Tombola und sonstiger Verkaufs-
buden die Gesamtkosten und noch einen anständigen Ueberschuss zu erzielen.

Ehe man nun die auswärtigen, besonders die Berliner Pressevertreter und
Spitzen der Kunst und Wissenschaft einlud, musste man vor allem wissen,
welcher Art das Karnevalsfest werden sollte? Originell, geistvoll und vielver-
sprechend, das war doch zum mindesten erforderlich! — Die Stadtväter
vom „Ratskeller“ schlugen ein historisches ,Zeitfest1 aus dem mittelalterlichen
Leben ihrer Stadt vor. Die „Künstlerklause“ war für eine ,Makartorgie1. Die
„Klassischen“, an deren Spitze ein Grosskaufmann stand, der die Herausgabe
einer Schillerbiographie bezahlt und dem Stadtpark eine Schillerbüste geschenkt
hatte, — für ein ,Fest aus Schillers Zeit1, das in Weimar spielen sollte. Die
Trachten der Biedermeier, das gemütliche Empire, — die vielen Schillerschen
Gestalten, gaben dem Kunstsinn und Geschmack der Bürger genug Spielraum!
Man konnte seine Bildung, seinen idealen Sinn beweisen!

Die „Klassischen“ siegten. Die Einladungen, von Herrn von Schiller unter-
zeichnet, wurden versandt. Das sollte ein Karnevalsfest ohne Gleichen werden.
Die ganze Stadt geriet in Aufregung, besonders die, welche sich nicht beteiligten,
W’aren am eifrigsten. Und es konnten sich der ehrsamen Bürger nicht allzuviel
beteiligen! Denn der Eintrittspreis, mit inbegriffen alle Nebenvorstellungen, kam
auf zwölf Mark! Dazu die Kostüme? Die Tafelfreuden? Die Nebenausgaben?
Der zornmütige, stets mit dem Magistrat kämpfende Bürgermeister wählte die
charakteristische Maske eines Kapuziners. Seine Gattin gab die Herzogin Amalia,
seine Aelteste Frau von Schiller, seine Zweite Frau von Goethe, seine Dritte die
Eboli! Das waren alles teure Kostüme! Mehr konnte er nicht bewilligen. Lotte,
seine Jüngste, weinte darüber heisse Thränen. Sie musste sich selbst aus
billigem Stoff ein kurzes Empirekleid und einen ebensolchen Hut zurechtmachen.

So gut diese Tracht auch ihrer frischen Jugend stand-so wenig gefiel sie

ihr. Der junge, neue Arzt, ihr heisser Verehrer, wollte mit ihr Max Piccolomini
und Thekla darstellen. Sie hatte es sich himmlisch ausgemalt. Sicher hätte ,er‘
sich erklärt und Papa seinen Segen gegeben. So stand
die ganze Verlobung in Frage. Fräulein Elsa, die Tochter
vom Präsiden der ,Künstlerklause1 hörte, dass Fräulein
Lieschen, die Tochter vom Vorsitzenden der ,Klassischen,
nur ein niedliches Biedermeiergewand trug. So sehr sie
sich auf ihre Maria Stuart gefreut, verzichtete sie dennoch.
Der hübsche Amtsrichter, der sie beide auszeichnete, war
vielleicht mehr für das Natürliche! — — Und die über-
mütige Jüngste des Gerichtspräsidenten rief: „Ach was,
Schiller?! Es hat auch damals Ausgelassenheit gegeben!
Ich erscheine einfach als Pierrette und necke mich mit
Leutnant Fritz herum, der mir fest versprochen hat, mit
mir zu toben! Karneval ist zum Fröhlichsein, zum Punsch-
trinken und Pfannkuclienessen da, nicht zum ,schillern1 und
,goethen‘!“ — —

Die Gäste hatten ihr Kommen zugesagt, illustre Per-
sonen sich dem Ausschuss des Schillerfestes versprochen.
Aber der Kassierer schüttelte den Kopf. Wer sollte das
unbedingt entstehende Defizit decken? — Was tliun? Man
ermässigte die Eintrittspreise. Und siehe! Die Abnahme
war reissend. Allein, das Fest verlor seinen künstlerisch
exklusiven Charakter, denn alle grossen, mittleren und
kleinen Bürgerkreise wollten sich plötzlich beteiligen. In
einem besonderen Bureau hatte sich die „Kostüm-Kom-
mission“ niedergelassen. Gezeichnete Tafeln mit Trachten
der Zeit gab es genug. Alles war geordnet! Aber es
fanden sich keine Abnehmer! Nur die Ilonorationen kamen
und bestellten. -— Neue Verlegenheit. — Neue Programm-
änderung! — Balltoiletten und Schniepel wurden erlaubt.
Nur bat man, sich bei dem ,Weimarer Modebazar1 in der
Vorhalle der ,Harmonie1 wenigstens mit zeitgemässen Ab-
zeichen zu versehen! Langsam wandelte sich der ursprüng-
liche Festcharakter! — So rückte der grosse Tag heran.
Schwermut lag über dem Festausschuss. Die Leere in der
Kasse liess keine zeitgemässe Dekoration der Räume zu.
Man war froh, als sie mit Tannen, Fähnchen und Schildern
einigermaassen aussahen. Von Weimar und dem Schiller-
haus war vollständig abgesehen. — Die Aufführungen
klappten schlecht. Die Künstler waren anspruchsvoll und
unangenehm. Die Musiker machten unerhörte Forderungen.
Die halbe Stadt war verfeindet. — Die „Klassischen“ hatten
trotz verzweifelter Anstrengungen schlechte Tage.
Nur das grosse Publikum freute sich noch ahnungslos
 
Annotationen