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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Lohmeyer, Julius: Alpenglühen, [3]: Roman
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Unsere Bilder, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0084

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40

MODERNE KUNST.

„Aber man muss doch die kleine Schwester lieb haben, nicht wahr? Ich
werde immer an sie denken müssen“, setzte Edith wie beruhigend hinzu.

Sie hatten die nächste Anhöhe erstiegen und standen nun plötzlich vor der
ungeheuren Trümmerstätte jenes Bergsturzes, die sich inmitten der sanft an-
steigenden Wiesenmatten mächtig erhebt, nur im Norden vom Gipfel des Ganter
überragt.

Unsere Wanderer, die ganz unvorbereitet die Stelle erreicht hatten, standen
tief erfasst vor diesem riesigen Monument des Todes, über dem ein schwermütiges
Schweigen brütet, dieser Grabstätte des ehemaligen kleinen Dörfchens Gintz,
einer freundlichen Siedelung, die vor dreissig Jahren mit ihren stattlichen An-
wesen, Ställen und Scheuern, Obstgärten und Bäumen in wenigen Minuten von
dem niedertosenden Bergstürze vernichtet worden war.

Unwillkürlich folgten sie dem schmalen, dicht verwachsenen Fusspfade, der
mitten in die geheimnisvolle Wildnis führte und hineinlockte, durch die sie be-
dächtig von Felsslufe zu Stufe emporstiegen.

Edith hatte, ihren Begleitern voran, eben einen hohen, alle anderen über-
ragenden Felsblock erklommen und griisste in ihrem flatternden lichten Sommer-
gewande mit hellem Jubelruf zu den Nachklimmenden herunter, als sie von
einer unter ihren Füssen abrutschenden Scherbe mit hellem Aufschrei langsam
niederglitt, von Ruthards Armen entschlossen aufgefangen, der mit jähem
Satze an den Felsrand herangesprungen war. Er fühlte sich von Wonne-
schauer durchrieselt, als er jetzt die holde, noch von Todesangst durchzitterte
volle Mädchengestalt, die bebend ihre Hände um seinen Nacken schlang, an sich
gepresst hielt und behutsam auf eine Felsstufe niederliess, gerade als der Onkel
über den Felssteig herzu gestolpert kam.

Noch schreckbefangen, von den aufgelösten vollen Haarflechten umweht,
lächelte Edith ihrem Erretter und dem Angstblick des Onkels wieder fröhlich
entgegen. Der Rat liess sich sofort auf ein Knie nieder und untersuchte vor-
sichtig das leicht umgeknickte Gelenk, das zum Glück keinen Schaden genommen
zu haben schien, aber doch eine recht schmerzhafte Verstauchung zeigte, als
Edith sich jetzt, auf die Arme der beiden Männer gestützt, zu erheben versuchte.

Die heutige Bergpartie hatte nun ihren unerfreulichen Abschluss gefunden.
Jetzt galt es nur noch, den Heimweg möglichst günstig zu bewerkstelligen. Es
schien völlig ausgeschlossen, dass Edith auch nur den Weg bis zur Landstrasse
zurück machen könne. Ruthard erbot sich sofort, Träger aus Enemetten zu
holen. Aber der Rat, dessen scharfes Auge auf der gegenüber lagernden Berg-
terrasse einige Ziegenhütejungen entdeckt hatte, suchte, von einer erhöhten Stelle
aus, durch Rufe und Winke sich den Knaben verständlich zu machen.

Endlich kam auch einer der Burschen herübergetrottet, ein verwegen drein-
schauender wetterbrauner Knirps, dem der Rat den Auftrag gab, Schwester
Benigna in Enemetten die inzwischen von ihm mit Bleistift niedergeschriebenen
Zeilen eiligst zu überbringen, in denen er um schleunige Zusendung von Trägern

mit Bahre, und Bereithaltung eines zuverlässigen Saumrosses bat, auf dem das
Fräulein nach dem Hotel zurückgebracht werden könne.

Edith, noch tief rosig erglüht, hatte längst ihre lachende Laune wieder-
gefunden. Sie sass auf einer erhöhten Felsstufe, von einem überhängenden
Bergholderstrauch beschattet, anmutig beschäftigt, ihre aufgelöste Haarfülle auf-
zunehmen und die lichten Flechten wieder zu ordnen.

Ruthard, der zu ihren Füssen lagerte, während der Rat daneben seinen
Mittagsimbiss einnahm, genoss mit diskretem Aufblick das liebliche Bild des
schönen Mädchens, das sich, seines Entzückens verlegen bewusst, von reizender
Schamröte Überflossen, bei dem anmutigen Geschäft beobachtet fühlte, das sie
sonst nur in einsamer Kammer vorzunehmen gewohnt war.

Nach etwa Stundenfrist trafen die erwarteten Träger ein, zwei alte wetter-
harte Männer mit roher Holzbahre. Die kleine Kolonne konnte sich nun in Be-
wegung setzen.

Schon auf halbem Wege erwartete sie mit besorgtem Fragen Schwester
Benigna, dicht an der Wildbachbrücke, von einem frischen Burschen gefolgt,
der ein Ross führte.

Edith wurde von den Männern in den Sattel gehoben, und nach einem
herzlichen Abschied von der Schwester konnte sich nun der Zug dem Heim-
wege zuwenden. Ruthard, der neben dem Rat und der Reiterin hinschritt,
überliess, hingenommen von den Eindrücken der letzten Stunden, sich
einem träumenden Hindämmern und das Gespräch dem alten Rat, der von
einer im Vorjahre mit Maultieren über den Pass des Ganter unternommenen
Partie berichtete, deren Aufstieg ihn durch ein Gefilde von Alpenrosen und in
steilem Abstieg nach dem Wimmesthal geführt hatte, das sich in malerischen
Windungen dem Vierwaldstädtersee zuwendet. Auch Edelweiss hatte er, und
zwar, wie er berichtete, dort zum erstenmal in den Alpen, an den letzten
Hochschroffen selbst gepflückt.

Edith klatschte vergnügt in die Hände. Der Onkel musste ihr versprechen,
ihr jedenfalls während ihres Aufenthaltes noch Gelegenheit zu geben, die poesie-
verklärten Sterne auch einmal selbst brechen zu können. Ruthard versprach, um
sie in ihrem jetzigen Gefesseltsein zu trösten, ihr in jedem Falle einen Strauss
der schönsten Edelweissblüten von den Steilen des näher gelegenen Gotenstocks
herab zu holen. —

Sie erreichten jetzt jene hochgelegene Thalwindung, von wo sich der Blick
weit in das Widdernthal aufthut.

Es war Ruthard, wenn er den Blick zu Edith erhob, deren ebenmaassschöne
Gestalt da so majestätisch neben ihm hinschwebte, als zöge er, von allen Schatten
der Vergangenheit erlöst, mit einem neuen Glück neuen Lebenshöhen zu, von
denen ihm ein Hauch frischer Kraft mit der Hoffnung höchster Daseinsleistung
entgegenwehte. Er musste sich gestehen, dass er seit Jahren nicht von einem
so reinen, innigen Gefühl durchdrungen worden war, wie in dieser Stunde.

[Fortsetzung folgt.]



M

set^e

fass das Wohlgefallen an der lieben eigenen Person sehr oft alles Sinnen
und Denken des Menschen beherrscht, ist zwar eine alte bekannte That-
sache, aber sie hat den Maler A. Schram zu einem neuen hochinteressanten
Bilde „Eitelkeit“ angeregt. Wie oft die Königin im Märchen mit ihrem Sprüch-
lein „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ —
nun auch von Alt und Jung wegen ihrer rücksichtslosen Eitelkeit mag getadelt
worden sein, das Spieglein an der Wand oder auch in der Hand übt immer
wieder aufs neue seinen Zauber aus. Die Idee des Bildes ist mit höchstem
künstlerischen Geschick durchgeführt und kommt auch in unserer Reproduktion
bestens zur Geltung.

. jpuigi Nonos ergreifendes Bild „Leichenbegängnis eines Kindes“
giebt eine rührende Scene aus dem italienischen Volksleben wieder. Die Kinder
eines Dorfes geben ihrem kleinen Spielgenossen das Geleite zur letzten Ruhe-
stätte. Noch vor kurzer Zeit ist er fröhlich mit ihnen umhergesprungen und
nun soll er von ihnen auf Nimmerwiederkehr genommen sein. Die kleinen
Mädchen und Knaben können die harte Macht des Todes noch nicht recht be-
greifen; aber die ungewohnte Umgebung, die seltsame Bekleidung der Mutter,
die leuchtenden Kerzen sind ihnen etwas so Merkwürdiges, dass ihre kleine
Seele ganz gefangen ist. Und gerade in der vorzüglichen Darstellung des
Kontrastes zwischen der Naivität der Kinder und der unerbittlichen Gewalt des
Todes liegt der künstlerische Wert des Bildes.

* * *

„r^ie alte Brücke“ von Ernest Stanton gewährt einen poetischen Blick
in die stille Einsamkeit der Natur. Der Weg scheint sich in ferne unbewohnte
Gegenden zu verlieren; die Blumen und Gräser am Wege stehen so unberührt
da, als störe keines Menschen Tritt ihr Knospen, Blühen und Vergehen. Und
die Bäume ragen in die Luft, als wenn nie ein Holzfäller die Axt an ihre Wurzeln
legen könnte. Auch die beiden Menschen, die die morsche Brücke betreten, sehen
so weltverloren aus, als wenn sie von der ganzen Welt mit all ihrem Drängen
und Treiben, mit ihrer Not und ihrem kärglichen Glück nichts ahnten. Es ruht

pildep.


ein Zauber auf dem Bilde, der dem Beschauer, wenn er dafür empfänglich ist,
mit leiser, aber unabwendbarer Gewalt in das Gemüt dringt.

* *

t*

. Baldrys Bild „Heimliche Liebe“ giebt jener alten Erfahrung, dass
die junge Liebe am reizvollsten ist, wenn sie nur im Schatten des Geheimnisses
ihre Schwingen regen kann, einen beredten Ausdruck. Wohl stellt das Bild ein
Paar dar aus jener Zeit „als der Grossvater die Grossmutter nahm“, aber die
Empfindung, welche die jungen Menschenkinder zusammenführte, waltet noch
mit eben derselben Kraft in unserer Zeit. Noch heute werden verstohlene
Händedrücke am entlegenen Parkthore ausgetauscht, und noch heute zwingt der
sehnenden Minne Gewalt Herzen zu einander, wie sehr auch der Strom der
neuen Zeit über das Leben dahinbrausen mag. Wenn zwei sich nur gut sind,
sie finden den Weg auch noch heute.

:j: .1:

^$|oh. Benks „Gruppe der österreichischen Zuckerindustrie“,
die auf der Pariser Weltausstellung gerechte Bewunderung hervorrief, giebt einen
neuen Beweis für die Thatsache, dass auch das moderne industrielle Leben dem
Künstler Vorwurf zu einem echten Kunstwerke sein kann. Die Gruppe ist sehr
geschickt zusammengestellt. Die junge Bauernmaid, die ihre Rüben erntet, mit
ihren weichen vollen Formen, bildet einen wirkungsvollen Gegensatz zu der
nervigen Gestalt des auf den Zuckerkisten sitzenden Arbeiters, der als Frucht
seiner Thätigkeit den Zuckerhut präsentiert. Die geflügelte Fortuna, die zugleich
Gold und Lorbeer spendet, giebt der Gruppe eine vorzügliche beziehungsreiche
Krönung. Johannes Benk ist 1844 in Wien geboren, war dort Schüler von Franz
Bauer und später in Dresden von Hähnel; er bewies sein künstlerisches Talent
bei den Konkurrenzen für das Denkmal des Admirals Tegethoff, der Kaiserin
Maria Theresia und das Beethovens, ebenso in dekorativen Statuen für die
Votivkirche in Wien. Für die Waffenhalle des Arsenals schuf er eine herrliche
kolossale Gruppe der Austria zwischen der geistigen und materiellen Kultur,
ausserdem Statuen für das Parlamentshaus, das Hofburgtheater, die kaiserliche
Burg, für die Kuppeln der Hofmuseen und mehrere herrliche Grabdenkmäler.
 
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