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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Puttkamer, Jesco von: Aus der Kaisermanöver, [1]: Militärhunoreske
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3°4

ms dem ^^aisermanorer.

Militärhumoreske von Jesco von Puttkamer.

I.

Ausmarsch und erste Attaque,
as grosse hochinteressante Kaisermanöver, welches die gewaltigen
Truppenmassen des 13., 14. und 15. Armeecorps anhäufte, der
mächtige Kampf der „Blauen“ gegen die „Roten“ unter den schwie-
rigsten Terrainverhältnissen und bei ungünstiger Witterung ist
lange vorüber. Es sind ganz ungewöhnliche Anstrengungen an
Mann und Pferd gestellt worden, doch unverdrossen wurde es ertragen. Die
Leistungen des Generalstabes waren geradezu hervorragend und die Verwendung
der Truppen in dem abwechselungsreichen Gelände eine äusserst geschickte zu
nennen. Von höchstem Interesse und glänzender Wirkung trat der grosse
Reiterangriff hervor, welchen der Kaiser selbst anführte. Auch in Friedens-
zeiten muss unseren Reiterführern die Gelegenheit gegeben werden, solche
Massen zu leiten, welche in der Schlacht, im entscheidenden Moment in das
Kampfgewühl geworfen, eine vernichtende Wirkung auf den Feind ausüben
Solche grossen Kavallerieanhäufungen finden erst seit den letzten Manövern
statt, obwohl die Anfänge davon schon in die siebziger Jahre hineinreichen
Damals zitterte im ganzen deutschen Heere der Ton der Kriegstrompete von
1870/71 nach; wir lauschten gespannt den Erzählungen jener Männer, die für
Deutschlands Ehre und Macht die heissen Kämpfe durchfochten. Nun ist mehr als
ein Vierteljahrhundert darüber hinweggeflossen, eine neue Generation ist ent-
standen, die nicht den Zauber jener grossen Zeit mit ihrem mächtigen Empfinden,
ihrem impulsiven Denken und Fühlen kennt, und nur die Erinnerung beschwört
uns so manches Bild in stillen Stunden herauf. An der Wende des Jahrhunderts
wird unsere Zeit arm an Humor, so dass wir oft erstaunt fragen möchten: wo ist
der frohe, ungetrübte Sinn geblieben, der harmlose Scherze und lustige Schwänke
liebte und gern herbeirief. Das Leben hat sich langsam verflacht; wir sind durch
eine grosse Ebene der Blasiertheit in einen See der Langeweile geraten, aus dem
uns nur der alte kernige deutsche Flumor zu retten vermag; wohl ist er derb in
seiner Figur, aber seine Rauheit ist volkstümlich und Herz und Seele erfrischend.

Also zurück in das alte gemütliche Berlin der siebziger Jahre, wo wir
abends oft in einem jetzt lange eingegangenen Restaurant mit den Kameraden
' der verschiedenen Regimenter bis spät in die Nacht hinein am runden Stamm-
tisch zechten. Es gesellten sich auch Bekannte aus anderen Kreisen hinzu und
namentlich Künstler, unter denen sich ein noch jüngerer Maler, Max Linden,
' befand, der durch ein bedeutenderes Gemälde schon damals zu einer gewissen
Anerkennung gelangt war. Der leutselige Kronprinz Friedrich Wilhelm und
seine Gemahlin, von welchen letztere selbst malte, hatten, angezogen von dem
Talente des Künstlers, ihn gern protegiert und die Wege zu den Staffeln des
Ruhmes geebnet.

Wenige Tage vor dem Herbstmanöver, auch ein Kaisermanöver, in dem
das 3. Armeecorps gegen das Gardecorps kämpfen sollte, erschien die Tafel-
runde beim „schweren Wagner“ noch vollzählig, auch Max Linden sass unter
uns. Das Gespräch kam bald auf das bevorstehende Ausrücken, und der stets
zu Scherzen aufgelegte Rittmeister von Arndt, welcher namentlich mit Linden
befreundet war, fragte plötzlich:

„Ach, Linden, Sie wollen also faktisch mit ins Manöver. Wohl Studien bet
den schönen Damen der Provinz und den Esskörben der Gutsbesitzer machen!
Lasse ich mir gefallen. Als alter Reitersmann bleiben Sie natürlich bei uns,
Haben Sie schon einen Gaul?“

„Vorläufig noch nicht,“ entgegnete Linden lachend. „Mein Passierschein
vom Generalkommando steckt bereits in der Tasche, — ich bin sogar ins Haupt-
quartier eingeladen worden. Eine strapazierte Rosinante aus dem Tattersall
pumpen mag ich nicht, ich muss ein flottes Pferd unter mir haben.“ —

„FIm, hm,“ meinte der Rittmeister mit den Augen zwinkernd, denn Freund
Linden bildete sich auf seine Reitkunst etwas ein, „unser Etatsmässiger hat mehr
als drei Pferde und könnte Ihnen davon eins abtreten Ich will es vermitteln,
und im Notfall erhalten Sie meinen „Oho“ zur Aushilfe.“

Linden war natürlich hoch erfreut und dankte für das liebenswürdige An-
erbieten, das ihn allerdings eng an die Dragoner fesselte

„Eine kleine Bedingung ist aber doch dabei,“ sagte der Rittmeister, „Sie
müssen uns eine Manöverskizze für das Kasino malen. Das Motiv dazu suche
ich Ihnen aus. Wollen Sie dies annehmen?“

„Mit Freuden,“ band sich Linden an den Vorschlag, und der Vertrag ward
geschlossen.

Am nächsten Morgen sprach Rittmeister von Arndt mit seinem Kameraden
auf dem Kasernenhofe: „Also abgemacht, Du giebst Linden Deine alte braune
Stute, die wird er schon mit seinen Klammern dirigieren können. An dem
Tage aber, an dem der Kronprinz kommt, soll er meinen „Oho“ reiten. Beide
lachten verständnisvoll, denn jeder Kamerad kannte den „Oho“ als eins der
feurigsten Offizierpferde im Regiment.

Der Ausmarsch von Berlin fand in der frühesten Morgenstunde statt. Es
musste am ersten Tage eine circa sechs Meilen entfernte Königliche Domäne

[Nachdruck verboten.]

erreicht werden, welche, als Quartier dienen sollte. Ein grauer Schleier lag
über den märkischen Landen, der sich bald in einen anhaltenden Landregen
auflöste. Stunde um Stunde verfloss und die Nässe drang langsam, aber sicher
durch die Kleidung. Das spürte auch unser Freund Max Linden, der auf der
braunen Stute des Etatsmässigen seelenvergnügt mit ausgerückt war und anfangs
flott vorantrabte.

„Teufelmässige Nässe! Was, lieber Linden,“ schnarrte Rittmeister von Arndt,
Kanapee zu Hause besser. Haben Sie keinen Waterproof?“

„Koffer geschnallt — Bagagewagen, hinderlich beim Reiten!“ brachte dieser
stossweise hervor, denn die braune Stute trabte etwas hart.

„Aeh, Freundchen, dann stoppen Sie mal. Linkefinken ist an der Queue
und hat den Portwein. Eine kleine Erwärmung kann nicht schaden.“

Sie hielten. Die Eskadron trabte kochhäppel, kochhäppel vorüber. Nass
die Pferde, durchnässt die Mannschaften. Die Pferde Hessen die Ohren hängen,
die Dragoner fröstelten An der Queue der Eskadron ritt neben dem alten
Wachtmeister, dessen von zwei Feldzügen verwittertes Gesicht ein martialischer
Schnurrbart zierte, der jüngste Offiziersaspirant, der seit einigen Monaten dem
Kadettenkorps entwachsene Portepeefähnrich von Linkefinken. Sein jugend-
frisches, etwas mädchenhaftes Gesicht kontrastierte gewaltig zu der bärbeissigen,
wohlbeleibten Eskadronsmutter, die ihm gerade gute Lehren gab, sich bei dem
langen Ritt in der Nässe nicht das Leder unter den Lederhosen durchzureiten.

„Trompeter blasen: Eskadron Schritt!“ befahl der Rittmeister. Tataratatata-
tätätä! ertönte das Signal und die Pferde fielen in Schritt. „Fähnrich — den
Portwein!“ Linkefinken hielt sofort seinen Gaul an, um die Packtasche aufzu-
schnallen, welche der Portweinflasche als Quartier diente Die Tasche war
geöffnet und der Rittmeister schmunzelte bereits in Erwartung des kommenden
Genusses, auch die beiden zugführenden Offiziere gesellten sich dazu. Jetzt kam
die Flasche hervor, sie wog merkwürdig leicht in der Hand des Fähnrichs, er
hob sie empor.

„Aeh, Fähnrich, was ist denn das! Die Flasche ist ja leer!“ fuhr der Ritt-
meister auf und Zornesröte stieg in sein Gesicht- „Antworten Sie, Linkefinken.“
„Herr Rittmeister, ich — ich glaube, ich habe eine leere Flasche genommen.“ —
„Das ist nicht möglich! Sie müssen doch eine volle von einer leeren Flasche
unterscheiden können.“

„Dann muss sie am Ende ausgelaufen sein, Herr Rittmeister,“ sagte Linke-
finken so recht wehmütig.

„Da hört doch Alles auf, Sie Jammermensch! Tn Ihren Magen wird sie
hineingelaufen sein — Herr! Na, bei mir haben Sie eins auf dem Kerbholz,“
fluchte der Rittmeister. „Wachtmeister Strimpe, einen Cognak.“

„Zu Befehl, Herr Rittmeister!“ — Der Alte holte bedächtig eine dickbauchige
Lederflasche hervor und reichte sie dem zornigen Eskadronchef.

„Da Linden,“ gab dieser sie an den Maler weiter, und die beiden Leutenants
nahmen ebenfalls eine Herzensstärkung. Im Galopp sprengte der Rittmeister
voran: „Trompeter, Trab blasen.“ TatatetätterähtähtitetitI, erklang das Signal

und im massigen Tempotrabe ging es die Chaussee weiter.

„Fähnrich,“ brummte der Wachtmeister, „Kreuzbomben, Sadowa und
Grabeilotte, wie konnten Sie sowat thun.“

„Auf Ehre, Herr Wachtmeister,“ betheuerte dieser, „ich habe keinen Tropfen
getrunken.“

„Wat machten Sie denn beim letzten Halt?“

„Ich gab mein Pferd an den Beritt des Einjährigen von Wangenheim, um
unter einem Baum mein Tagebuch anzufangen.“

„Na sehn se woll, da haben wir den Salat Wat die beschnürten Krippen-
setzer in die Hände kriegen, da bleibt keen Troppen drin. Na warte, Wangen-
heimken, Dir werd’ ick mir merken.“

Erst am Nachmittag kam die Eskadron in ihrem ersten Quartier an. Linden
musste Zusehen, wo er sein Haupt in dem überfüllten Orte für die Nacht nieder-
legen konnte Ein Bauer bot ihm noch ein Bett in seiner Stube an, wo er mit
Frau, Grossmutter und Kindern schlief. Max Linden dankte gerührt und zog ein
Strohlager auf der Scheunendiele vor, auf welcher der Wachtmeister Strimpe,
Fähnrich von Linkefinken und der Einjährige von Wangenheim mit seinem Beritt
schliefen. Den Abend verbrachte man in der Dorfschenke, wo ein mächtiger
Grogkessel dampfte, dessen Inhalt den inneren Menschen erwärmte und wieder
aufleben liess. Auch der Rittmeister und seine Offiziere, die beim Domänen-
pächter ein vorzügliches Quartier vorgefunden, kamen auf einige Augenblicke
heran und Linden erhielt das Versprechen, dass für sein späteres Unterkommen
durch den Quartiermeister, so weit es möglich, Sorge getragen würde.

Beim Scheine einer Stalllaterne wurde die Lagerstätte aufgesucht. Wacht-
meister Strimpe erbot sich, dem Maler einen Woilach abzutreten, in den dieser
sich gänzlich einwickelte. Von vielem Schlafen war keine Rede; Strimpe, der
alte Feldsoldat, begann, froh einen neuen Zuhörer gefunden zu haben, seine
Kriegserlebnisse zu erzählen
 
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