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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0188

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MODERNE KUNST.

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gelben und roten Cigarrenbändchen geknüpfte Quaste. Ein Shawl aus solchen
Bändern umschlingt den ganzen Schrank malerisch und verdeckt in anmutiger
Weise seine Befestigung an der Wand. — Meine Freude an dem fertigen Werke
war gross und rein, mein Gatte überrascht. — Uebrigens lässt sich der Schrank
auch zu jedem anderen Zweck gebrauchen, man braucht bloss etwas Anderes
darauf zu kleben. Und wenn man lieber keinen Schrank hat, so macht man
eben überhaupt etwas Anderes; ich wüsste eigentlich gar nichts, was sich nicht
mit Ausdauer und Kunstsinn schliesslich auch aus Cigarrenkisten hersteilen liesse.

Dieselben Gegenstände arbeitet man ferner in ganz reizender Weise als
Nippes aus leeren Zündholzdosen. Sie lassen sich übrigens auch wirklich
gebrauchen, sei es als Behälter für Garn, Knöpfe und dergleichen oder als
Markenkästchen, oder gar im Dienste der Wissenschaft als Gefächer für Münz-
sammlungen, Käferdosen und dergleichen.

Am verlockendsten lächelt uns aus der ganzen Rauchbranche das Cigarren-
bändchen entgegen mit seinem leuchtenden Gelb und Rot. Und das nicht um-
sonst; denn man begegnet ihm überall in den verschiedensten Formen. Taschen-
tücher, Decken und Kissen aus Cigarrenbändchen gab es ja immer. Ich arbeite

Rechnung ohne unsern Teckel gemacht, der bei jeder Gelegenheit die Spinne
mit kühnem Sprung erhaschte und als Jagdbeute hinter den Ofen schleppte,
das schillernde Netz wie Altweibersommer an den krummen Beinen nachziehend.
Die Ecke musste also durch eine andere Idee ausgefüllt werden. Ich komponierte
darin aus aufeinandergehäuften Cigarrenkisten und mit frischem Leim getränkter
Packleinwand eine äusserst malerische, nach hinten steil aufsteigende Felsland-
schaft und liess sie steif trocknen. Dann gings emsig weiter. Ein Cigarren-
kistchen ohne Deckel und Vorderseite wurde auf dem höchsten Berge befestigt
und in die täuschend naturgetreue Ruine einer Ritterburg umgewandelt, indem
ich hier und da mit der Laubsäge einige kleine Schiessscharten und Fenster
sägte und den Rand etwas zerklüftete. Von der höchsten Spitze weht lustig eine
rot-gelbe Flagge, deren Herkunft ich kaum zu verraten brauche. Unter die
Fenster klebte ich abgebrannte Zündhölzer als Sims, und ein gleichfalls ange-
klebtes Zündholzdöschen ohne Deckel bildet eine Altane, die tollkühn über einen
Abhang hinausragt, während ein anderes als schwindelnde Brücke zu einem
Felsgipfel führt. Aus Cigarrenkisten und weiteren Zündholzdosen entstanden
noch malerische Nebengebäude. Um alles herum zieht sich eine stilvolle Ein-

A. Renard, Kiel, phot.

Weihnachtsfeier an Bord des deutschen Kriegsschiffes „Friedrich Carl".

augenblicklich an einem Smyrnateppich, zu dem ich statt der Wolle Cigarren-
Händchen nehme. Es geht nur langsam, denn man braucht eine Unmasse; aber
2um Glück können wir ihn einstweilen noch entbehren. Mein Traum ist eine
Empfan

gstoilette aus dem gleichen Stoff.

Sehr wertvoll sind abgesetzte lange Pfeifen. Aeusserlich haben sie einen
'vünderbar lieblichen Duft, da sie meistens aus Weichselholz verfertigt sind.

W,

eim man sie zu dreien in der Mitte zusammenbindet und oben mit einer

deinen Platte aus Cigarrenbändchen versieht, bilden sie einen originellen kleinen
Luxustisch, der sich auf Wunsch noch mit Emailfarbe bestreichen, bronzieren
°der mit Plüsch beziehen lässt. — Vorsichtig der Länge nach halbiert, erhält
’üan einen reizenden Belag für Rindenmöbel; unsere Veranda gilt mit ihrer
IleUen Einrichtung in diesem Stile mit Recht als eine Sehenswürdigkeit.

Auch Stanniol wird durch das Rauchen gewonnen; denn häufig ist Tabak
0<fer dergleichen darin eingepackt. Man kann alles damit bekleiden und ausfüttern.
Sogar Cigarre nasche kann man., verwenden. In einem
stlerisch ausgeführten Cigarrendöschen bildet sie eine etwas
^heimische aber ganz brauchbare Gabe für alleinstehende Damen,
e -Zimmergärtnerei betreiben. Es muss einem eben nichts zu
e,inS sein; mit weiser Benutzung aller Mittel lässt sich Grosses
fielen. In dem Zimmer meines Gatten gab es eine Ecke, die
ärgerte, weil sie so öde aussah. Früher hatte ich sie schon
^nmal durch ein grosses Spinngewebe aus Silberseide verdeckt
emer künstlichen Riesenspinne darin. Aber ich hatte die

fassung, auf die ich besonders stolz bin, und diese lieferten mir eine Reihe
gleichlanger Cigarrenstummel. Als mächtige Steinblöcke in Abständen von
3 cm aufrecht festgeklebt und durch eine Eisenstange aus einem abgebrannten
mit Stanniol bekleideten Zündholz mit einander verbunden, bilden sie eine echt
mittelalterliche massive Brustwehr. Zuletzt bestrich ich Felsen, Burg und Steine
mit flüssigem Leim und bestreute alles dicht mit Cigarrenasche, wodurch ich
einen ganz wunderbaren rauhreifartigen Felston erzielte. Einige mit Silberbronze
keck aufgesetzte Lichter und dunkle Russschatten erhöhen noch den grossen
Eindruck, den das fertige Werk auf den Beschauer austibt.

Gestern habe ich es vor meinem Gatten enthüllt, und er war wie immer
einfach ausser sich. Anfangs fehlten ihm die Worte, was bei Männern ja leicht
vorkommt, aber als er sich gefasst hatte, fand er diese neue Arbeit noch
bedeutend interessanter als seinen Manuskriptenschrank, wie er denn überhaupt
mehr zu Werken aus verschieden geformten und von ihm selbst ausgesuchten
Cigarrensorten neigt. Jedenfalls aber habe ich ihm diesmal im-
poniert, denn er erinnerte mich daran, dass nächstens Vetter
Hans heirate und sich sicher über ein solches Hochzeitsgeschenk
freuen werde. Eigentlich wunderte mich diese zarte Fürsorge,
denn den hat er früher nie leiden mögen; aber natürlich möchte
er nun mit meiner Kunst renommieren. Gleich heute Morgen
hat er grössere Einkäufe in Cigarren gemacht, um mir alles recht-
zeitig liefern zu können. Mir solls recht sein, finden wir doch beide
das, was wir brauchen, dabei: er die Cigarren und ich die Kunst!
 
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