Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

DOI Artikel:
Prasch, Alois: Das Theater auf der Pariser Weltausstellung, [1]
DOI Artikel:
Détschy, Serafine: Kreuzwege, [4]: Roman aus der Bühnenwelt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0104

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
44

MODERNE KUNST.

den Augenschein zu überzeugen, dass ihnen die „Parade“ nichts vorgeflunkert
hat. Und so war es auch. Der Vorhang geht auf, und ich glaube „Die Vor-
lesung bei der Hausmeisterin", die alte bekannte Wiener Posse, soll ihren An-
fang nehmen. Monteux, der vortreffliche Verwandlungskünstler, erscheint als
Concierge. Die Hüterin des Hauses beklagt sich, dass ihr Handwerk sie so in
Anspruch nehme. Fortwährend wird die Glocke gezogen und immer wieder
erscheinen neue Mieter und Leute, die sie mit Fragen und Aufträgen behelligen.
Es dauert auch nicht lange, so erscheint Sarah Bernhard als vielbewunderter
Aiglon. Die Verwandlung der Concierge in den jungen Herzog von Reichstadt
ist so frappierend, dass sich Monteux, der Verwandlungskünstler, durch diese
eine Leistung kühn Fregoli, der ihn allerdings in der Schnelligkeit übertrifft,
an die Seite stellen kann. Eins hat er entschieden vor Fregoli voraus, er geht
ohne Rest in den darzustellenden Charakter auf, und man vergisst vollständig,
dass die kurz zuvor aufgetretene Concierge und der nachher erscheinende junge
Sohn Bonapartes ein und dieselbe Person sind. Monteux hat die göttliche Sarah
oft gesehen. Man merkt es aus jeder Bewegung, aus jeder Miene. Ich
konnte das am besten beurteilen, weil ich erst tags zuvor Sarah Bernhard
in der Rolle des Aigloti gesehen. Es war eine köstliche Parodie auf die
Leistung der vielgefeierten Bühnenheldin. Aiglon verschwindet, und der
berühmteste Schauspieler Frankreichs steht vor uns: Coquelin aine als
Cyrano de Bergerac. Wo ist der zarte, schmächtige Herzog von Reich-
Stadt geblieben? Ein richtiger Bramarbas steht vor uns, der in jeder N
Bewegung an Coquelin erinnert. Polternd und fluchend vet^äsgt er das
Zimmer. Im Handumdrehen ist die Concierge wieder da unef' tammert
und weint, dass sie es mit solchen Mietern auf die Dauer nicht ..aushalten
könne. Mounet-Gullv erscheint als Oedipe. Er hält eine Treppe in Mer linken
Hand, und je grösser das Pathos wird, in das Oedipe verfällt, dei^SI' höher

dem Original seine Eigenheiten
eht durch das Auditorium, wenn
Hände an dem Proscenium endlich
indet; gleich ist die Concierge wieder
erscheint vor uns in der Rolle des


klimmt er die Stufen hinan. Monteux
trefflich abgelauscht. Brausender Jubel,

Oedipe erblindet und durch Reiben de
einen festen Halt gewinnt. Oedipe versa
da und erneuert ihre Klagen. Coquelitj

eingebildeten Kranken, und auch bei,dieser Gelegenheit zeigt sich Monteux als
trefflicher Parodist. Aber auch seine/Panzkunst will er uns vorführen, und so
sehen wir ihn denn schliesslich als gefeierte Otero. Wie nachlässig hält er beim
Auftreten die brennende Cigarette ira^Munde. Wie kokett schreitet er, fortwährend
mit dem Parterre liebäugelnd, auf und nieder. Auf einmal scheint sich in ihm das
spanische Naturell lebhaft zu erregen. „Er wirft die Mantille ab, und in den tollsten
Sprüngen saust er, Castagnetten' schlagönd, über die Bühne. Ein Kniefall vor dem
Auditorium — der Vorhang; fällt. - Wir eilen ins Freie. Aus einem der
gegenüberliegenden Restaurants tönt uns die Tannhäuser-Ouvertüre entgegen.

„In ganz Paris ist die Luft jetzt geschwängert von Monsieur Wagner“,
äussert mein freundlicher Cicerone. „Auf Schritt und Tritt hört
man jetzt Klänge aus den Werken des deutschen Meisters. Es
wird nicht lange mehr dauern, und wir Franzosen werden Ihren
deutschen MeisteT für uns in Beschlag nehmen.
Wir haben vergessen, dass er als junger Musiker
bei uns in Paris die schlimmsten Entbehrungen
durchgemacht, dass sein Tannhäuser in Paris
ausgepfiffen wurde. Stolz weist man darauf hin,
dass wir Pariser Ihren Meister aus der Taufe
gehoben, und es wird nicht lange währen, dass
ihn Frankreich für sich als seinen grössten Sohn
in Anspruch nehmen wird.“ [Fortsetzung folgt.]

K ve uzWege.

tarolta war es, als
elektrischer Funken
und leuchtend aufgeschla-

a aN*

j&r

m -

ÄLLT ,,

M


{Vornan auL'dcr BühnenWell von Serafine Detschy.

[Fortsetzung.] ; [Nachdruck verboten.]

Stadt zu finden seien, da es die Residenzler für eine arge Verschwendung
hielten, Droschken zu Denutz’en, ohne dringende Gründe. Lachend ge-
stattete es also Sarolta, dass Bingen ihr den Arm bot, um sie durch die
sparsam mit Lampen versehenen Strassen nach Hause zu geleiten.

Di? kühle Herbstluft strich ihr wohlthuend um die heisse Stirn, und
ein ■ Gefühl ruhiger Geborgenheit durchströmte sie, auf diesen starken
estützt, sicher durch die Dunkelheit zu wandern.

ströme ein...
aus den -üoll
genen blauet!


jf

'Arm

V.

zu ihr herüber. Sie fühlte, wie ein heisser Blutstrom in ihre Wangen stieg
sie hatte an der Bühne zu erröten noch nicht verlernt — und sich dieser
Backfischverlegenheit schämend, brach sie den Bann, indem sie aufstand.
Dr. Winter, hatte den Flügel geöffnet, mit vielsagend bittendem Blick
und da seine Gattin für ihn bat, der durch seinen Beruf fast immer am
Theaterbesuch verhindert sei und die Künstlerin noch nicht hören konnte,
so gab sie nach und sang einige Lieder von Schubert und Robert Franz,
die in ihrer vollendeten Vortragskunst wie Erlebtes wirkten.

„Nun aber genug und adieu! Ich muss morgep frisch bei Stimme
sein.“ Sie‘schloss das Instrument und verabschiedete* sich. „Ich darf
mir hier nicht die kleinste Entgleisung oder minderwertige Leistung zu
Schulden kommen lassen, denn, ich weiss es, ich stehe auf heissem,
vulkanischem Boden.“

Von Alfred, der sie hmabbegleitete erfuhr sie mit Erstaunen, dass in
diesem Stadtteile der gesegneten Residenz Droschken eine Seltenheit, und
deren Haltestellen überhaupt nur an den vier entlegensten Enden der

Vor dem „Königsbau“ stauten sich die Equipagen. Das im griechischen
Tempelstile gehaltene vornehme Gebäude, diente nur Unterhaltungszwecken
und öffnete heute seine weiten Säle einem Wohlthätigkeitsfeste, zum
Besten verarmter oder verwaister Schulkinder. Die Oberhofmeisterin der
Königin war Dame patronesse und die reizende Gattin des Hofmarschalls,
Gräfin Liebenfels, hatte es unternommen, eine kleine Spieloper von vor-
nehmen Dilettanten aufführen zu lassen. Um sich sachgemässen Rat zu
holen, war die liebenswürdige Dame selbst bei Fräulein Dereny vorgefahren
und hatte sie gebeten, den Proben im Hause der Gräfin beizuwohnen
und das Einstudieren zu leiten.

Für die Mucker der Stadt war es ein staunenswertes Ereignis, die
Equipage der Gräfin Liebenfels, der Gattin des Hofmarschalls, vor der
Wohnung der Sängerin zu sehen, und als später mehrere Equipagen,
welche Mitgliedern der ersten Aristokratie angehörten, dort hielten, denn
die Damen studierten ihre kleinen Partieen mit der Künstlerin, da war
es eine ausgemachte Sache für die Bewohner von X., dass Sarolta Dereny
nicht nur eine vornehme Künstlerin, sondern auch von tadellosem Rufe
sei, sonst würde man sie in diesem, gegen Bühnenangehörige so prüden
Kreise, nicht eingeladen haben.

Den zweiten Teil des Abends sollte dann ein gediegenes Konzert
von hervorragenden Künstlern bilden, und war es der Dame patronesse,
ausser Fräulein Derenys Mitwirkung, noch gelungen, fremde Kräfte heran-
zuziehen und sogar Meister Joachim für die Sache zu gewinnen.

Seit Wochen waren daher schon die Billets vergriffen; ein in dem
sparsamen X. nicht häufiges Ereignis.

Sarolta hatte arbeitsreiche Wochen hinter sich. Es war nicht so
leicht gewesen, diese ungeschulte Schar von Dilettanten an dem nötigen
Arbeitsernst und an Pflichteifer zu gewöhnen, der zum Gelingen un-
erlässlich war, wollten sie nicht alle Fiasko machen bei einer Gelegenheit,

A. G. Döring: Japanische Schleierschwänze.
 
Annotationen