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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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—[Nachdruck verböten.]

Helmut'i von Moltke ist ein Name, den jeder Fremde
mit Bewunderung, jeder Deutsche mit heisser Verehrung
nennt, den die Kriegsgeschichte zu den Grössten aller
Zeiten, den die, die ihn kannten, zu den kühlen und
klaren Denkern und zugleich zu dem wahr und herzlich
Empfindenden zählen werden. Er ist niemals populär
gewesen im eigentlichen Sinne, von ihm erzählt das
Volk kaum eine Anekdote, die vollblütige Art eines
Bismarck war dem niederdeutschen Wesen des grossen
Strategen fremd. Nur wenige wissen cs, welcher
Leidenschaft er fähig war in seiner Liebe zu der all zu
früh gestorbenen Mary von Burt, welch Hauch von
Poesie über der Ehe geruht hat, und nur wenigen ist
es bekannt geworden, welch reiches Verständnis er der
Kunst der Töne entgegen gebracht hat. Dem Volke gilt
er als der Schweiger. Und doch konnte er lebhaft werden
und das klare, blaue Auge konnte sprühen, wenn ihn
ein Gegenstand packte, und mehr als einmal
hat er nicht nur durch die Autorität seiner
Erfahrung und seiner Verdienste, sondern
auch durch die hinreissende Macht seiner
kunstvoll gegliederten Rede das Parlament
zu seiner Ueberzeugung bekehrt. Und
wenn die Litteraturgeschichte das Beste
nennen wird, was wir an wissenschaftlichen
Reisewerken besitzen, so wird sie des
Hauptmanns von Moltke Briefe aus der
Türkei voranstellen müssen und vielleicht
wird gerade sie auf das Wesen und das
Seelenleben des seltenen Mannes ein be-
sonderes Licht zu werfen vermögen, wenn
sie seinen Namen unter denen nennt, die
in wohlgelungenen Novellen den Reichtum
ihres Innern auszuströmen suchten.

Der Genius Moltkes war weitumfassend,
wie auch stets das Genie der erbitterte Feind
der Einseitigkeit war. Sein Flug geht ins
Unbegrenzte, während das Talent sich auf
die Bethätigung im engen Raum beschränkt.

Reiche Gebiete des Wissens hat Moltke be-
herrscht. Aber das Grösste, das, was durch
alle Zeiten dauern wird, schuf er als Feld-
herr, als Führer grosser Heere. Wie er den
preussischen Generalstab zum unerreichten
Muster umwandelte, wie der glänzende
Aufmarsch der Heere auf dem böhmischen
Kriegsschauplatz und in Frankreich sein
Werk gewesen ist, wie er in weithin vor-
schauender Art Vorkehrungen traf gegen
alle denkbaren politischen Kombinationen,
so ist er der Erste gewesen, der die Be-
wegungen riesenhafter Massen mit unver-
gleichlicher Sicherheit zu regeln wusste, der
niemals durch ein Unvorhergesehenes über-
raschte, das scheinbare Regellose ordnete
und bereit stellte zum glänzenden Erfolge.

So führt der grosse Schachmeister zuweilen
die einzelnen Figuren in den Kampf und
während noch der Zuschauer vergebens
über den Zweck der einzelnen Züge sinnt,
tönt von den Lippen des Meisters kühl und
sicher das „Schach dem Könige!“ Es liegt
etwas Unheimliches in dem Wesen solcher
Männer, etwas, das tiefe Scheu erweckt,
weil es uns die Geisteskraft des Menschen gesteigert zeigt
bis zu einer I lohe, die der Blick kaum noch umspannt.

I Iundert Jahre sind jetzt vergangen seit dem Tage, der
uns Helmuth v. Moltke geschenkt hat. Sein Bild wird fort-
leben und seine Thaten wird das deutsche Volk preisen, so
lange die Dankbarkeit nicht starb in unseren Landen. Er
hat zu den Grössten und zu den Besten gehört. Dr. L.

Unsere Tänze.

Plauderei von Dr. Paul Bornstein.

[Schluss.] -—-— [Nachdruck verboten.]

An den Ufern der Donau, in Oesterreich, Tyrol
und Oberbayern ist denn auch der Zweitrittwalzer,
diese einfachste Form des gedrehten Rundtanzes, zu
Hause. Noch heute tanzt in diesen Gegenden das Volk
auf den ländlichen Tanzböden überall meisterhaft den
Ländler, der als Vater unseres heutigen Walzers zu
gelten hat. Zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts
verbreitete sich der Ländler unter dem Namen des
Länderers oder Drehers auch in den besseren Schichten
der Wiener Gesellschaft. Er wurde hier nach ziemlich
armseligen und einförmigen Melodien mit feierlicher
Langsamkeit getanzt; an die Stelle der wiegenden An-

mut, die dieser Tanz bei der ländlichen Bevölkerung
zeigt, ist eine steife Pedanterie getreten. Immerhin ent-
wickelt sich in diesem Kreise, in kunstmässigerem Be-
triebe der ursprüngliche Zweitritt zum Dreitritt, das
heisst, zur eigentlichen Walzerform Auch der Name
„Walzer“ entstammt dieser Zeit und diesen Kreisen.

In den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahr-
hunderts verbreitet sich der Walzer von Süddeutsch-
land nach Norddeutschland, und gleichzeitig nach Frank-
reich und England. Er stiess bei den fremden Nationen,
und namentlich bei den in ihre Tourentänze verliebten
Franzosen auf heftigen Widerstand, und es erhob sich
alsbald ein erbitterter Federkampf für und gegen diesen
urdeutschen Emporkömmling. Frau v. Genlis, die Ober-
hofmeisterin der Königin Marie Arntoinette von Frank-
reich, wollte diesen empörenden Drehtanz bei Hofe
durchaus nicht aufkemmen lassen und geriet darüber in
eine heftige litterarische Fehde mit Frau von Stael.
Einer der schneidigsten Gegner des Walzers ist Lord
Byron, der diesem Tanz eine ziemlich lange satirische

Feldmarschall Graf von Moltke.

Zu seinem 100. Geburtstage am 26. Oktober 1900.

Hymne widmet. Selbst Goethe, in seinen ersten Wei-
marer Jahren ein vorzüglicher Walzertänzer, nennt den
Walzer im „Werther“ einmal einen „artigen Bruder
Liederlich“. Von gesundheitlichem, sittlichem und ästhe-
tischem Standpunkt aus wurde der Walzer angegriffen;
aber er siegte über alle Angriffe.

Das hat freilich seinen guten Grund: der Walzer
hatte seit 1830 seinen Charakter wesentlich verändert.
In diesem Jahr erschien Webers „Aufforderung zum
Tanz“, die dem langsamen Walzer ein für allemal den
Todesstoss versetzte, und durch ihre wundervolle, im
feurigsten Tempo gehaltene Walzermelodie den Schnell-
walzer heraufführte. Zum erstenmal auch hatte jetzt
ein begnadeter Künstler die musikalische Form des
Walzers benutzt, und vor diesem Kunstwerk ver-
schwanden alsbald alle die unsagbar nüchternen und
simplen Walzermelodien, nach denen man bisher getanzt
hatte. Ohne Weber ist das grosse Dreigestirn am Himmel
der Tanzmusik, Lanner, Strauss Vater und Strauss Sohn,
undenkbar. Wir wollen hier auf die glänzende Ent-
wicklung, die dem Walzer durch die Meisterschaft dieser
drei Männer besclrieden war, nicht näher eingehen. Wir
begnügen uns, darauf hinzuweisen, dass die feinen und
sinnigen Weisen Lanners, die kraftvollen und lebens-
frischen Klänge Strauss’ des Vaters, vor allem aber

die brillanten, geistvollen, an künstlerischem Wert
unübertrefflichen Schöpfungen Strauss’ des Sohnes dem
Walzer, der mit Recht als der eigentlich deutsche
Nationaltanz bezeichnet werden darf, zur unumschränkten
Herrschaft im Ballsaal aller civilisierten Nationen ver-
half. Vor dem Kosmopolitismus der Weisen unseres
Walzerkönigs verstummen alle nationalen Feindselig-
keiten, und im Zeichen der „schönen blauen Donau“ findet
sich friedlich die ganze Kulturmenschheit zusammen.

Der Galopp kam zum Leidwesen der Menschheit
im Jahre 1825 auf; die älteste Galoppmelodie soll in
der Posse „Die Wiener in Berlin" von Hokey, die im
Jahre 1825 erschien, zu finden sein. Jedenfalls ist der
Galopp eine deutsche Erfindung, wie das auch schon
aus den Bezeichnungen „Rutscher“ oder wohl auch
„Preussisch“ hervorgeht, mit denen hie und da dieser
Tanz benannt wird. Wir gaben auch diesen Tanz an
unsere westliche Nachbarn, die Franzosen, weiter,
nahmen ihn indessen nicht früher in das Repertoire der
Tänze der eleganten Welt auf, als bis er in Frankreich
sich in den Salons eingeführt hatte. Die
Reaktion gegen diesen Tanz, welche sich
allgemein heute geltend macht, kann nur
mit Freuden begrüsst werden, denn es ist
keineswegs ein sympathischer Anblick,
wenn man bei Abschluss eines Balles
Jünglinge mit durchschwitztem Ilemd-
kragen und Jungfrauen mit zerzausten
Haaren so wild den Kehraus machen sieht.

Die Polka wird für einen böhmischen
Tanz gehalten. Sie soll ihren Namen von
dem böhmischen Wort „Pulka“, halb, er-
halten haben, weil der Halbschritt ihre
Eigentümlichkeit ist. Ueber die Erfindung
und Verbreitung der folka wird uns
nun folgendes berichtet: „Zu Anfang der
dreissiger Jahre tanzte ein junges Bauer-
mädchen, das in Elbeteinitz in der Um-
gegend von Gitschin bei einem Bürger
in Diensten stand, Sonntag nachmittags
zur eigenen Erheiterung einen Tanz, den
es sich selbst erdacht, und sang dazu
eine passende Melodie. Der dortige
Lehrer Josef Neruda, der zufällig an-
wesend war, schrieb die Melodie nieder,
und der neue Tanz wurde kurze Zeit
darauf zum erstenmal in Elbeteinitz ge-
tanzt, bald darauf mit Beifall in Gitschin
aufgenommen und verbreitete sich von da
aus über ganz Böhmen. Um das Jahr 1835
fand er durch Studenten in Prag Eingang
und hielt dort wegen des in ihm walten-
den Ilalbschrittes nach einem czechischen
Wort „pulka“ den Namen „Polka“. Vier
Jahre später (1839), wurde die Polka durch
das Musikcorps der Prager Scharfschützen
nach Wien gebracht, wo Musik und Tanz
sich einen ausserordentlichen Beifall er-
rangen. Im Jahre 1810 tanzte Raab, der
ständige Tanzlehrer aus Prag, diese böh-
mische Polka auf dem Theater Odeon in
Paris mit ausgezeichnetem Erfolg, worauf
dieselbe mit staunenswerter Schnellig-
keit Eingang in die eleganten Salons und
Ballsäle von Paris’ fand. Wie alle Dinge
der Mode verbreitete sich von Paris aus
dieser lebhafte und anregende Tanz, wenn
auch mehrfach modifzierf, beinah über alle Länder
Europas, pilgerte sogar über den atlantischen Ocean
und fand in New-York ein freundliches Willkommen“.
Hierzu ist folgendes zu bemerken: Mag dieses Bauern-
mädchen mit ihrem Tanz für Böhmen, Oesterreich und
Frankreich etwas Neues gefunden haben, uns Nord-
deutschen war der Polkapas durchaus nichts Neues
mehr um diese Zeit. Im Jahre 1835 tanzten längst
viele hundert Brandenburgerinnen und speciell Ber-
linerinnen in ihrer Vaterstadt den alten, seit Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts üblichen Ecossaisenwalzer
unter dem Namen des „Schott’sch“. Der Schottisch,
den Schiffer in den zwanziger Jahren nach Berlin
brachten, wo er zuerst in den Tanztabagien am Schiff-
bauerdamm getanzt wurde, ist aber nach Rhythmus
und Art der Ausführung schlechterdings der Polka
gleich, wenn auch vielleicht nicht ganz so markiert. Als
1842 auf den Tanzkarten zum erstenmal in Berlin statt
des Schottisch die Polka verzeichnet stand, da lachte und
scherzte man über diesen Wechsel des Namens und tanzte
flott die Polka mit dem altgewohnten Schottisch-Pas.

Dazu kommt, dass es in der gesamten Geschichte
des Tanzes als ein einzig dastehender Fall zu betrachten
wäre, wenn man Ursprung und Verbreitung eines
Tanzes nachträglich mit einer derartigen Genauigkeit

XV. 5. B.
 
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