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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Détschy, Serafine: Kreuzwege, [1]: Roman aus der Bühnenwelt
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Preuschen, Hermine von: Die Bank gesprengt
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0024

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MODERNE KUNST.

9

lauschige Rokoko-Schlafgemach mit seinen weisslackierten Möbeln, seinen
porzellanblauen Damastdraperien, die über dem Bette von koketten
Amoretten gehalten wurden. In dem Spiegel des grossen Schrankes
brach sich der neugierige Strahl, in welchem zarte Staubatome lustig
tanzten. Der Reflex beunruhigte die Schläferin, die unter Spitzenwogen
träumte. Sie wendet sich und nun trifft vom Fenster her der immer
kecker werdende Sonnenstrahl die feine Nase mit den rosigen Nüstern,
sie kräuseln sich, die Träumerin messt und öffnet zwei dunkelgraue
grosse Augensterne, die noch etwas verwundert um sich blicken. Der
weisse runde Arm lehnt sich in das Spitzengeriesel der Kissen und
stützt den feinen Kopf, dessen lange schwarze Haarwellen frei her-
unterfliessen.

Eine Weile sinnt die Erwachende noch vor sich hin, dann hebt sich der
suchende Blick nach den Amoretten empor, von welchen eine lange blau-
seidene Schnur scheinbar nachlässig herunterhängt. Ein Druck der Hand
und die in der Quaste verborgene Klingel tönt mit vibrierendem Laut
durch die bisher so stillen Räume. Und wie im Märchen, wenn die
schlafende Königstochter erwacht, so lebt nun auch hier das ganze Haus
auf Man hört das Kläffen eines leidenschaftlichen kleinen Hündchens,
darauf den schrillen Pfiff eines Graupapageien, endlich ein hämmerndes,
gehacktes Trippeln, dann öffnet sich eine Thüre und ein kleines, behendes
Figürchen erscheint, che langjährige Begleiterin und Vertraute ihrer Herrin.
Sarolta Dereny's Faktotum, Mariechen, die mit begeisterter Liebe und
seltener Treue an der Künstlerin hing und seit dem Beginn ihrer Lauf-
bahn Leid und Freude, Ehren und Kummer mit ihr trug.

„Hat mein Frauchen gut geschlafen? Guten Morgen!“

„Es ist wohl schon sehr spät? Guten Morgen passt wohl kaum
mehr? Wie? Was ist die Uhr?“

„Ich weiss wirklich nicht, ist ja auch egal, wenn Sie sich nur aus-
ruhen, nach gestern!“ — Die Schläfenn lachte

„Natürlich, Sie gehören zu den Glücklichen, die nie wissen wie viel
es geschlagen hat.“

„Ich weiss aber heute, was es geschlagen hat’ lm Theater nämlich.
Habe alle Kritiken gelesen! Mein berühmtes Frauchen, so berühmt!“ Sie
küsste zärtlich die auf der seidenen Decke ruhende weisse Hand.

„Theatermutter“ schalt die Künstlerin, ihr die Wangen tätschelnd.

„Bin ich auch“, versetzte Mariechen stolz. „Rutsch, so, nun wird’s
Licht!“ Sie hatte die Vorhänge zurückgezogen. „Da sehen Sie, wie herrlich
die Sonne hereinlacht, gerade als freute sie sich, dass wir das Nesterl
da g’funden hab’n und nicht im Hotel wohnen müssen a ganzes Jahr.
Und der famose Zufall, dass unser Hausherr auch noch Königl. Hof-
lieferant ist und uns alles mit Möbeln vermietet, ganz nach Wahl und
Geschmack. Na ja, ich hab’ ihm aber auch gleich ang’merkt, wie er a
mal in die Augerln guckt hat, is’ ihm g’gangen wie den Andern, er hat
nur immer „Ja“ g’sagt. Aber jetzt bring’ ich die Zeitungen.“

„Nein Sie Unband, die Zeitungen laufen mir nicht davon, erst will
ich zu mir selber kommen.“

Sarolta that einen leisen Pfiff. Da schnaubte und rauschte es durch
die offen gebliebene Thüre herein. Ein grosser prächtiger Graupapagei
flog auf das Bett seiner Herrin, während ein winziges junges Maltheser-
hündchen, wie toll vor Freude, prustend und kläffend mit einem kühnen
Satze auf das Tabouret und von da aufs Bett sprang, wo er sich aufrecht
hinsetzte und bittend die winzigen Vorderpfötchen hob.

„Guten Morgen, Ihr Gesindel“ lachte sie, „wie gehts Euch denn?“

Butt}»', der sein seidenes Lockenköpfchen in die hohle Hand der Herrin
schmiegte, liess ein wohliges Knurren hören. Langsam und vorsichtig
kletterte Jacquot von der Schulter, wo er Posto gefasst, herunter, näherte
sich dem ahnungslosen Hündchen von rückwärts und packte dessen
lockige Ruthe mit scharfem Schnabel. Mit entsetztem Geheule sprang
der Erschreckte vom Bette hinab.

Trotz des heiteren Lachens seiner Gebieterin erfreute er sich aber
des perfid errungenen Sieges nicht lange, da Mariechen ihn trotz allen
Sträubens heraus trug und in sein Burgverliess sperrte. —

Als Sarolta nach ihrem erfrischenden kalten Bade, eingehüllt in die
weisse seidengefütterte Wolle ihres Hausgewandes, in ihr Studierzimmer
trat, hatte Mariechen dort im behaglichen, mit Blattpflanzen und Blumen
geschmückten Erker den Frühstückstisch decken lassen, auf dem alles in
der Morgensonne funkelnd und blitzend zum Genuss einlud.

Aber müde und bleich lehnte die Sängerin in ihrem behaglichen
Schaukelstuhl und liess es lächelnd geschehen, dass ihre Getreue ihr
Bissen um Bissen aufzwang „Diese verflixte Isolde gestern hats Ihnen
wieder angethan“, grollte sie. „Wenn Sie nur die Partie nit singen
müssten, bei der immer wieder die alten Schmerzen auftauchen. Im
Sommer in der Schweiz, da hab’ ich mein armes Frauerl schon so schön
zum Ueberwinden und Vergessen gebracht und jetzt wieder die dalkete
Roll!“ jilatzte sie ärgerlich heraus.

„Was hilfts Marie! Diese Partie oder eine andere, immer wieder
taucht die Erinnerung an die schönen und doch so schmerzlich bittere
Zeit vor mir auf. „Zuletzt sind Leiden der Lohn der Liebe“, heisst es
schon im Niebelungenlied. Wer kann sich dem wohl entziehen! Das
härteste Los bleibt freilich das, da verachten zu müssen, wo man
geliebt hat, da Gemeines zu entdecken, wo man an Edles, Hohes glaubte!
Das ist es, was ich wohl nie verwinde.“

„Und g’rad’ dieser stille Schmerz ist es, der aus Ihrem Spiel heraus
auf die Menge wirkt und Ihnen die Herzen erobert. Dieses Leid gerade
macht Sie zu der Künstlerin, die alles mit sich fortreisst, wie gestern
Abend wieder! Ich hab’ hinter den Coulissen g’standen und hab’ g’weint
vor Stolz und Freud’!“

„Den Theaterabend möcht’ ich erleben, wo Sie nicht aus Rührung weinen,
mein gutes Schaferl!“ Sarolta klopfte lachend die Wange ihrer Getreuen.

[Fortsetzung folgt.]

—=❖•<>-

anlj gesprengt!

war schon seit Stunden durch die Spielsäle geschlendert. Es war
mlich flau heute gewesen, draussen war zu schönes Frühlingswetter
und das Paradies des Teufels lockte wenige zum Genuss. Zu Abend aber hatten
sich die Prachtsäle des Kasinos gefüllt, und trotz der offenen Fenster, durch die
die keusche Frühlingsluft hereinschmeichelte, ward es doch immer aufdringlicher,
jenes sinnenaufwühlende, undefinierbare Parfüm von Patschouli, Ylang-Ylang,
Cocotten und Gold. Ja, der Duft — dazu das feine, in die Seele schneidende
Klingen des rollenden Goldes. Eine Bewegung im hintersten Spielsaal links,
ein Flüstern, ein Drängen, machten mich neugierig. Schnell trat ich hinzu, da
hört’ ich's auch schon flüstern „die Bank gesprengt“ Lächelnd sass sie da, die
rotblonde Schöne, auf demselben Fleck, den sie um 1/21 Uhr zuerst eingenommen.
Ein kleiner Berg von Banknoten und Goldrollen türmte sich um sie her —
am Roulette gähnende Leere, „die Bank gesprengt“. Sie versuchte gleichgültig
auszusehen und überlegte gerade, wie sie alle Schätze ins Hotel schleppen
könne. Ob sie ihre kostbare Toilette, die spinnwebdünne, als Schürze benutzen
wolle — oder aber sich von Claire und Carmela und Nana, die schon so neidvoll
herüber sahen, helfen lassen sollte, den goldenen Regen für sie, die blonde
Danae, heimzuschleppen? Ach nein, da würde nicht allzuviel zu ihr gelangen.
Lieber bat sie den jungen Lebemann, der hinter ihr stand und sie so interessiert

[Nachdruck verboten.]

anstaunte, ihr behülflich zu sein. — Was aber würde dann Gaston sagen? Gaston,
der zu Hause noch schlief, nach der tollen, durchschwärmten Nacht. —Schwäch-
ling — so wenig Lebens- und Liebenskraft! Und sie reckte sich höher, die
moderne Danae, die Heldin des Tages, — bis sie von einer anderen verdrängt
wurde, der sich morgen das goldene Glück an die Fersen heften würde, wie heute
ihr. — Ich kannte sie so gut, die „Herzogin“, wie sie allgemein hiess, weil sie
die Maitresse eines vielgenannten Prinzen war und die Brillantbroche mit der
Herzogskrone an ihrem Halse funkelte. Man sah sie nie ohne das Abzeichen
ihrer „Würde“. Ich hatte sie am Morgen stundenlang beobachtet, wie sie
so unentwegt ein Tausendfrancbillet nach dem andern, mit ihren feinen
Händen geschickt das rateau handhabend, heranzog, um sie wieder, ohne mit
der Wimper zu zucken, zu verlieren. „Was wollen Sie, unser Gewerbe ist
mühsam“, hatte sie vertrauensvoll mir zugeflüstert, da sie merkte, dass ich
sie beobachtete. — Wie bald wird sie mit ihrem Goldregen fertig sein und
wieder in der heissen, brennenden Sonne stehen und wieder „Durst“ haben,
vernichtenden, tötlichen „Golddurst“. Denn es ist ein Gifttrank am grünen
Tisch von Monte Carlo und wer einmal die Lippen daran gesetzt, einmal
in vollen Zügen getrunken, einmal „die Bank gesprengt“, der ist ihm ver-
fallen für immer. Hermione von Prertschen.

XV. 3
 
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