Roman von Karl von Heigel.
f [Fortsetzung-]
in Wagen hielt an; eine Stimme rief: „Brummell!“ Der Kronprinz. Unser
Beau schritt nicht zu langsam, nicht zu hastig, den Hut handhoch über
dem Kopf haltend, an den Kutschenschlag.
„Worüber sannen Sie denn eben?“
„Ich -bin über einer Hymne auf A'.bions neuen Herrscher, Georg den
Schweiger.“
„Ah, wissen Sie es schon? Ja, ich musste mich Knall und Fall ent-
schliessen. Leicht ward es mir nicht. Zwischen uns bleibt es beim alten.“
„Ich bin Ihnen für dies Wort dankbar, mein teurer Wales. Die Anrede
des neuen Königs an Sir John machte mir immer Herzweh:
Ich kenn’ Dich, Alter, nicht!“
„Ja, siehst Du, George“, versetzte der Kronprinz gemütlich, „das kann ich
zu Dir schon deshalb nicht sagen, weil Du ein Jüngling bist gegen mich. Und
wie heisst es weiter im Text:
Den Leib vermindre!
Selbst ein Feind könnte Dir das nicht gebieten: denn dazu fehlt Dir das
Zeug. Ueberhaupt: Seine Majestät der König hat nicht liebevoll an mir
gehandelt, aber Gott erhalte ihn noch lange, lange! Wo wollen Sie hin, Brummell?
Ich setze Sie ab.“ — „Wohin lahren Sie, Wales?“
„Wo werd ich hinfahren! Zu Davidson und Schweitzer.“
Der Beau kam in rosigster Laune im Klubhause an. Er
trällerte vor sich hin, als man sich zum Spiele setzte. „Kinder,“
sagte er, „ich habe heute meinen Glückstag, ich werde Euch
aussacken.“ Und zufällig traf seine Voraussagung ein.
„Sie müssen ein Vermögen gewonnen haben“, sagte
Tickell beim Aufbruch zu dem glücklichen Spieler.
„Zu einem bescheidenen Rittergut reichts.“
Als sie in das Freie traten, dämmerte der Tag. Tickell,
der verloren hatte, meinte mürrisch: „Tausende wackrer
Männer gehen jetzt an die Arbeit — nur um das trockne Brod.“
Der Beau tippte ihn leicht, ganz leicht auf die Schulter:
„Verzeihung, lieber Tickell! In den Augen der Gerechten wie
vor Ihrem eigenen Urteil sind Sie ein eben solcher Lump
wie ich, wie wir alle. Seien Sie also um Himmelswillen nicht
sentimental! Eine lustige Betschwester und ein empfindsamer
Lebemann sind geschmacklos.“
X.
Brummell sass in Fortunas Schoss. Er hatte Glück im
Spiel und in der Liebe. Der Prinzregent machte zu den
kleinen Scherzen, die der Beau nicht lassen konnte, gute
Miene. Allerdings sprach er mit dem Beau niemals von ernsten
Angelegenheiten, doch davon sprach er ja auch mit den
Ministern nur notgezwungen. Er verlieh dem tapfern Tafel-
genossen weder Amt noch Titel, aber Brummell erhob auch
keinen Anspruch darauf, sondern war zufrieden, nicht sowohl
in der Nähe seines Fürsten zu atmen, als gesehen zu werden.
Die Beständigkeit Georgs, der sonst so wetterwendisch war,
setzte Brummell anfangs in Erstaunen, nach und nach wiegte
er sich im Glauben, dem Prinzregenten unentbehrlich zu sein.
Nicht nur Brummell, alle Welt dachte so. Die Gesellschaft
schmeichelte dem Günstling, die Geschäftsleute gewährten
ihm unbegrenzten Kredit. Diese rechneten mit der Freund-
schaft eines fürstlichen Schlemmers, und Brummell mit den
Einnahmen aus dem Spiel. Beides eine unsichere Rechnung.
Wie sollte ein Mann, dem alles lachte, nicht guter Laune
sein, wie nicht schneidig, da jeder Witz von ihm alsbald von
Mund zu Munde ging! Brummell sprach sozusagen nur noch
geflügelte Worte.
Ganz ohne Verdienst war er nicht. Er besass wirklich
das undefinirbare Etwas: guten Geschmack und gab den Ton an.
„Leider sind wir Trinker und Spieler“, sagte er. „Doch
für diese Laster ist nicht der Dandy verantwortlich; sie
scheinen in der Luft zu liegen. Sheridan ist kein Dandy, ist
ein grosser Staatsmann und trinkt und spielt wie wir.“ . . .
Die Schwachen sind um Beispiele nie verlegen. Man hätte
das Beispiel sofort mit einem Beispiel schlagen können, man
brauchte nur Townshend zu nennen. Allerdings war Townshend
kein berühmter Mann.
„Was giebt es, Tom?“ fragte Lady Louisa den Diener,
der in ihr Zimmer trat. Es war der alte Diener aus ihrem
elterlichen Iia^ise. Sie hatte ihn nach dem Tode ihrer Mutter
[Nachdruck verboten.]
zu sich genommen, die hübsche Betty dagegen war noch vor der italienischen
Reise verabschiedet worden.
„Haben Mylady nicht geklingelt?“
„Nein, Tom. Sie täuschten sich.“
Der Alte zauderte. Er blickte im erleuchteten Zimmer umher, auf den
Tisch, auf dem das Theegeschirr stand, auf Mylady, die, ein Buch in der Hand,
an einem anderen Tisch sass.
„Es geht auf Elf. Meinen Mylady nicht, dass ich oder irgendwer von den
Leuten im Klub nach dem gnädigen Herrn fragen soll?“
„Sie haben doch nicht Angst?“
„So lang ist Mylord noch niemals ausgeblieben.“
„Aber, Tom, wir sind ja nicht auf dem Lande, sondern in London. Sie
sollten doch die Londoner Lebensweise kennen.“
„Eben weil wir in London sind. — Unser Herr ist kein Nachtschwärmer,
kein Spieler.“
„Sie werden mich mit ihrer Furcht anstecken .... Horch! ein Wagen —
er hält. — Es ist der Herr!“
Lord Townshend reichte seiner Frau zärtlich beide Hände.
G. Kuehl: Hamburg.
f [Fortsetzung-]
in Wagen hielt an; eine Stimme rief: „Brummell!“ Der Kronprinz. Unser
Beau schritt nicht zu langsam, nicht zu hastig, den Hut handhoch über
dem Kopf haltend, an den Kutschenschlag.
„Worüber sannen Sie denn eben?“
„Ich -bin über einer Hymne auf A'.bions neuen Herrscher, Georg den
Schweiger.“
„Ah, wissen Sie es schon? Ja, ich musste mich Knall und Fall ent-
schliessen. Leicht ward es mir nicht. Zwischen uns bleibt es beim alten.“
„Ich bin Ihnen für dies Wort dankbar, mein teurer Wales. Die Anrede
des neuen Königs an Sir John machte mir immer Herzweh:
Ich kenn’ Dich, Alter, nicht!“
„Ja, siehst Du, George“, versetzte der Kronprinz gemütlich, „das kann ich
zu Dir schon deshalb nicht sagen, weil Du ein Jüngling bist gegen mich. Und
wie heisst es weiter im Text:
Den Leib vermindre!
Selbst ein Feind könnte Dir das nicht gebieten: denn dazu fehlt Dir das
Zeug. Ueberhaupt: Seine Majestät der König hat nicht liebevoll an mir
gehandelt, aber Gott erhalte ihn noch lange, lange! Wo wollen Sie hin, Brummell?
Ich setze Sie ab.“ — „Wohin lahren Sie, Wales?“
„Wo werd ich hinfahren! Zu Davidson und Schweitzer.“
Der Beau kam in rosigster Laune im Klubhause an. Er
trällerte vor sich hin, als man sich zum Spiele setzte. „Kinder,“
sagte er, „ich habe heute meinen Glückstag, ich werde Euch
aussacken.“ Und zufällig traf seine Voraussagung ein.
„Sie müssen ein Vermögen gewonnen haben“, sagte
Tickell beim Aufbruch zu dem glücklichen Spieler.
„Zu einem bescheidenen Rittergut reichts.“
Als sie in das Freie traten, dämmerte der Tag. Tickell,
der verloren hatte, meinte mürrisch: „Tausende wackrer
Männer gehen jetzt an die Arbeit — nur um das trockne Brod.“
Der Beau tippte ihn leicht, ganz leicht auf die Schulter:
„Verzeihung, lieber Tickell! In den Augen der Gerechten wie
vor Ihrem eigenen Urteil sind Sie ein eben solcher Lump
wie ich, wie wir alle. Seien Sie also um Himmelswillen nicht
sentimental! Eine lustige Betschwester und ein empfindsamer
Lebemann sind geschmacklos.“
X.
Brummell sass in Fortunas Schoss. Er hatte Glück im
Spiel und in der Liebe. Der Prinzregent machte zu den
kleinen Scherzen, die der Beau nicht lassen konnte, gute
Miene. Allerdings sprach er mit dem Beau niemals von ernsten
Angelegenheiten, doch davon sprach er ja auch mit den
Ministern nur notgezwungen. Er verlieh dem tapfern Tafel-
genossen weder Amt noch Titel, aber Brummell erhob auch
keinen Anspruch darauf, sondern war zufrieden, nicht sowohl
in der Nähe seines Fürsten zu atmen, als gesehen zu werden.
Die Beständigkeit Georgs, der sonst so wetterwendisch war,
setzte Brummell anfangs in Erstaunen, nach und nach wiegte
er sich im Glauben, dem Prinzregenten unentbehrlich zu sein.
Nicht nur Brummell, alle Welt dachte so. Die Gesellschaft
schmeichelte dem Günstling, die Geschäftsleute gewährten
ihm unbegrenzten Kredit. Diese rechneten mit der Freund-
schaft eines fürstlichen Schlemmers, und Brummell mit den
Einnahmen aus dem Spiel. Beides eine unsichere Rechnung.
Wie sollte ein Mann, dem alles lachte, nicht guter Laune
sein, wie nicht schneidig, da jeder Witz von ihm alsbald von
Mund zu Munde ging! Brummell sprach sozusagen nur noch
geflügelte Worte.
Ganz ohne Verdienst war er nicht. Er besass wirklich
das undefinirbare Etwas: guten Geschmack und gab den Ton an.
„Leider sind wir Trinker und Spieler“, sagte er. „Doch
für diese Laster ist nicht der Dandy verantwortlich; sie
scheinen in der Luft zu liegen. Sheridan ist kein Dandy, ist
ein grosser Staatsmann und trinkt und spielt wie wir.“ . . .
Die Schwachen sind um Beispiele nie verlegen. Man hätte
das Beispiel sofort mit einem Beispiel schlagen können, man
brauchte nur Townshend zu nennen. Allerdings war Townshend
kein berühmter Mann.
„Was giebt es, Tom?“ fragte Lady Louisa den Diener,
der in ihr Zimmer trat. Es war der alte Diener aus ihrem
elterlichen Iia^ise. Sie hatte ihn nach dem Tode ihrer Mutter
[Nachdruck verboten.]
zu sich genommen, die hübsche Betty dagegen war noch vor der italienischen
Reise verabschiedet worden.
„Haben Mylady nicht geklingelt?“
„Nein, Tom. Sie täuschten sich.“
Der Alte zauderte. Er blickte im erleuchteten Zimmer umher, auf den
Tisch, auf dem das Theegeschirr stand, auf Mylady, die, ein Buch in der Hand,
an einem anderen Tisch sass.
„Es geht auf Elf. Meinen Mylady nicht, dass ich oder irgendwer von den
Leuten im Klub nach dem gnädigen Herrn fragen soll?“
„Sie haben doch nicht Angst?“
„So lang ist Mylord noch niemals ausgeblieben.“
„Aber, Tom, wir sind ja nicht auf dem Lande, sondern in London. Sie
sollten doch die Londoner Lebensweise kennen.“
„Eben weil wir in London sind. — Unser Herr ist kein Nachtschwärmer,
kein Spieler.“
„Sie werden mich mit ihrer Furcht anstecken .... Horch! ein Wagen —
er hält. — Es ist der Herr!“
Lord Townshend reichte seiner Frau zärtlich beide Hände.
G. Kuehl: Hamburg.