MODERNE KUNST.
201
|§Q5
omenpod.
Von Alfons Watzlawik.
.ruckheim war eine Stadt — es ist bei der Raschheit unserer heutigen
Verkehrsmittel nötig, dies besonders hervorzuheben, da sonst ein
etwa dorthinreisender Leser, der bei dem einen Thore hineinfährt, schon
wieder beim anderen draussen ist, ehe er merkt, dass er sich in einer
Stadt befinde; und das wäre schade, denn erginge dadurch des Genusses
verlustig, den Mittagskorso in Bruckheim mitzumachen und die landes-
gerichtsrätliche Familie mit ihren vier Töchtern zu bewundern.
Tag für 'Pag pendelte diese zwischen den 30 Häusern der linken
Seite des Stadtplatzcs auf und ab, täglich begrüssen sie lächelnd die-
selben Gesichter, täglich fällt ihnen genau bei der Apotheke eine wichtige
Neuigkeit ein, worauf sie die Köpfe zusammenstecken, leise kichern, und
punkt zwölf Uhr zehn Minuten verschwinden, um abends gegen sechs
wieder aufzutauchen. — An einem schönen Maitage jährte es sich nun
gerade zum sechsten Male, dass die
Familie mit Fräulein Margarete am Korso
teilnahm; dieser Tag war für die Familie
noch von anderer Bedeutung, denn an
ihm hatte vor 28 Jahren die älteste
Tochter das Licht der Welt erblickt; in
den ersten Quinquennien wurde dieser
Tag stets feierlich be- in den folgenden
stillschweigend übergangen und an oben-
erwähntem Maitage konnte Frau Landes-
gerichtsrätin sogar nicht mehr umhin,
leise zu seufzen.
Wenn Frau Landesgerichtsrätin aber
seufzte, wurde Herr Landesgerichtsrat
immer sehr unruhig, denn er wusste,
dass diese Gefühlsäusserung die Ein-
leitung zu einer ernsthaften Unterredung
war, die sich alljährlich an diesem nun
schon zum dritten Mal erwähnten Tage
genau um 2 Uhr 15 (zu welchem Zeit-
punkt er sich gerade die Cigai're an-
zündete) abspielte und regelmässig mit
der dringenden Aufforderung schloss, für
die Aelteste etwas zu thun.
Nichts aber war schwerer als das,
denn Frau Landesgerichtsrätin hatte über
die Wahl des Gatten jedes Jahr andere
Ansichten. Als er, vor Jahren schon,
einen jungen Mann ins Haus lud, der in seinem Bureau thätig resp. unthätig
war, rümpfte Madame die Nase und erklärte decidiert, ihre Tochter dürfe
nur einen Adligen heiraten —•
zwei Jahre später gipfelten ihre
Ansprüche in der Forderung
„Offizier“, wieder einen glei-
chen Zeitraum nachher wurde
schon der „Beamte“ für würdig
erachtet und an jenem nun
schon genügend oft erwähnten
Tage überraschte Madame ihren
Gemahl mit der bemerkens-
werten Ansicht, man könne
auch mit einem Kaufmann oder
ähnlichen gutsituierten Herrn
vorliebnehmen.
Verzweifelt liess der Rat
alle Kaufleute der Stadt und
ihrer Umgebung im Geiste
Revue passieren, um sie als
zuerst mit seiner
Atelier Viktoria, Berlin, phot.
Graf und Gräfin Axel von W achtmeister-Eixen.
Einleitung
[Nachdruck verboten.]
Kundschaft und
dann im geeig-
neten Momente
mit seiner Toch-
ter zu beehren:
leider musste
einer nach dem
andern aus
irgend einem
gewichtigen
Grunde von der Kandidatenliste wieder gestrichen werden und niemand
blieb als der Sohn eines Butter- und Käsehändlers — diese Verbindung
wurde aber von Frau Rätin als zu anrüchig mit Entrüstung abgelehnt.
In sehr gedrückter Stimmung begab sich der
Herr Rat abends in sein Stammlokal; seine lang-
jährigen Tischgenossen, die das Geheimnis des
ominösen Maitages kannten, ehrten seinen Schmerz
durch möglichste Passivität; nach den obligaten ein-
silbigen Bemerkungen über das Wetter begnügten
sie sich damit, ins Glas zu starren und dichte
Rauchwolken zu erzeugen, so dass die Lampe kaum
im stände war, durchzudringen, nichts störte die
Ruhe als das Klappern der Uhr und der Bierdeckel.
Der Sparkassabuchhalter hatte gerade sein
müdes Haupt auf dem Tische bequem untergebracht,
des Stadtarztes Kopf war gerade im Begriffe, auf
die Brust zu sinken, da ertönte draussen Pferdc-
getrappel und Wagenrollen, die Thüre wurde ge-
öffnet und mit einem unendlich liebenswürdigen
„Guten Abend“ trat ein elegant gekleideter junger
Mann ein, verbeugte sich nach allen Seiten, nannte
einen Namen, den niemand verstand, schüttelte alle
Herren die Hände und liess sich endlich an der
Seite des Landesgerichtsrates, wo gerade ein Platz
frei war, nieder.
Ohne erst die bei diesen Anlässen üblichen
Fragen abzuwarten, begann er mit grosser Lebhaftig-
keit zu schildern, woher er käme, dass er gedenke,
sich längere Zeit in Bruckheim aufzuhalten und
dass es ihn ausserordentlich freue, die Bekanntschaft
der Herren gemacht zu haben. Dann wandte er sich
an die einzelnen, sprach mit dem Oberbuchhalter über Raiffeisenkassen,
erzählte dem Doktor einen ganz ungeheuerlichen, aber sehr interessanten
medizinischen Fall, den er zur Vorsicht sich in Amerika abspielcn liess,
schilderte dem Buchdruckereibesitzer Still die immensen Vorteile einer
Typesetting-Maschine, versicherte dem Redakteur des Bruckheimer Boten,
schon zu wiederholten Malen sein Blatt zitiert gelesen zu haben, was
diesen ausserordentlich freute und empfahl sich um zehn Uhr, als er
merkte, dass einige Herren ängstlich auf die Uhr sahen, nicht ohne die
Bitte vorzubringen, man möge ihm gestatten, den folgenden Abend wieder
in einer so anregenden Gesellschaft zuzubringen.
Die Herren waren entzückt und bedauerten nur, nicht erfahren zu
haben, was der reizende junge Mann in der Stadt wolle .... der Rat
aber hatte in selbiger Nacht einen absonderlichen Traum, in welchem
seine Tochter und der junge Mann eine hervorragende Rolle spielten ....
die Tochter, die im Zimmer nebenan schlief, behauptete, der Papa habe
im Traume wohl ein Dutzendmal „Ja doch . . . . Aber Ja“ ausgerufen.
*
Der ehrsame Wirt des berühmten Hotels zur Post war nicht wenig
erstaunt als am anderen Morgen die Herren zu ihm gestürzt kamen und
das Fremdenbuch verlangten. „Karl Griess aus Wien“ stand dort nicht
mehr und nicht weniger; der Name war nicht sonderlich interessant,
Sellin & Co., Berlin, phot.
Gräfin Irma von Kanitz.
B. Bieber, Berlin, phot.
Frl. Margarete von Bock und Polach.
XV. 51.
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omenpod.
Von Alfons Watzlawik.
.ruckheim war eine Stadt — es ist bei der Raschheit unserer heutigen
Verkehrsmittel nötig, dies besonders hervorzuheben, da sonst ein
etwa dorthinreisender Leser, der bei dem einen Thore hineinfährt, schon
wieder beim anderen draussen ist, ehe er merkt, dass er sich in einer
Stadt befinde; und das wäre schade, denn erginge dadurch des Genusses
verlustig, den Mittagskorso in Bruckheim mitzumachen und die landes-
gerichtsrätliche Familie mit ihren vier Töchtern zu bewundern.
Tag für 'Pag pendelte diese zwischen den 30 Häusern der linken
Seite des Stadtplatzcs auf und ab, täglich begrüssen sie lächelnd die-
selben Gesichter, täglich fällt ihnen genau bei der Apotheke eine wichtige
Neuigkeit ein, worauf sie die Köpfe zusammenstecken, leise kichern, und
punkt zwölf Uhr zehn Minuten verschwinden, um abends gegen sechs
wieder aufzutauchen. — An einem schönen Maitage jährte es sich nun
gerade zum sechsten Male, dass die
Familie mit Fräulein Margarete am Korso
teilnahm; dieser Tag war für die Familie
noch von anderer Bedeutung, denn an
ihm hatte vor 28 Jahren die älteste
Tochter das Licht der Welt erblickt; in
den ersten Quinquennien wurde dieser
Tag stets feierlich be- in den folgenden
stillschweigend übergangen und an oben-
erwähntem Maitage konnte Frau Landes-
gerichtsrätin sogar nicht mehr umhin,
leise zu seufzen.
Wenn Frau Landesgerichtsrätin aber
seufzte, wurde Herr Landesgerichtsrat
immer sehr unruhig, denn er wusste,
dass diese Gefühlsäusserung die Ein-
leitung zu einer ernsthaften Unterredung
war, die sich alljährlich an diesem nun
schon zum dritten Mal erwähnten Tage
genau um 2 Uhr 15 (zu welchem Zeit-
punkt er sich gerade die Cigai're an-
zündete) abspielte und regelmässig mit
der dringenden Aufforderung schloss, für
die Aelteste etwas zu thun.
Nichts aber war schwerer als das,
denn Frau Landesgerichtsrätin hatte über
die Wahl des Gatten jedes Jahr andere
Ansichten. Als er, vor Jahren schon,
einen jungen Mann ins Haus lud, der in seinem Bureau thätig resp. unthätig
war, rümpfte Madame die Nase und erklärte decidiert, ihre Tochter dürfe
nur einen Adligen heiraten —•
zwei Jahre später gipfelten ihre
Ansprüche in der Forderung
„Offizier“, wieder einen glei-
chen Zeitraum nachher wurde
schon der „Beamte“ für würdig
erachtet und an jenem nun
schon genügend oft erwähnten
Tage überraschte Madame ihren
Gemahl mit der bemerkens-
werten Ansicht, man könne
auch mit einem Kaufmann oder
ähnlichen gutsituierten Herrn
vorliebnehmen.
Verzweifelt liess der Rat
alle Kaufleute der Stadt und
ihrer Umgebung im Geiste
Revue passieren, um sie als
zuerst mit seiner
Atelier Viktoria, Berlin, phot.
Graf und Gräfin Axel von W achtmeister-Eixen.
Einleitung
[Nachdruck verboten.]
Kundschaft und
dann im geeig-
neten Momente
mit seiner Toch-
ter zu beehren:
leider musste
einer nach dem
andern aus
irgend einem
gewichtigen
Grunde von der Kandidatenliste wieder gestrichen werden und niemand
blieb als der Sohn eines Butter- und Käsehändlers — diese Verbindung
wurde aber von Frau Rätin als zu anrüchig mit Entrüstung abgelehnt.
In sehr gedrückter Stimmung begab sich der
Herr Rat abends in sein Stammlokal; seine lang-
jährigen Tischgenossen, die das Geheimnis des
ominösen Maitages kannten, ehrten seinen Schmerz
durch möglichste Passivität; nach den obligaten ein-
silbigen Bemerkungen über das Wetter begnügten
sie sich damit, ins Glas zu starren und dichte
Rauchwolken zu erzeugen, so dass die Lampe kaum
im stände war, durchzudringen, nichts störte die
Ruhe als das Klappern der Uhr und der Bierdeckel.
Der Sparkassabuchhalter hatte gerade sein
müdes Haupt auf dem Tische bequem untergebracht,
des Stadtarztes Kopf war gerade im Begriffe, auf
die Brust zu sinken, da ertönte draussen Pferdc-
getrappel und Wagenrollen, die Thüre wurde ge-
öffnet und mit einem unendlich liebenswürdigen
„Guten Abend“ trat ein elegant gekleideter junger
Mann ein, verbeugte sich nach allen Seiten, nannte
einen Namen, den niemand verstand, schüttelte alle
Herren die Hände und liess sich endlich an der
Seite des Landesgerichtsrates, wo gerade ein Platz
frei war, nieder.
Ohne erst die bei diesen Anlässen üblichen
Fragen abzuwarten, begann er mit grosser Lebhaftig-
keit zu schildern, woher er käme, dass er gedenke,
sich längere Zeit in Bruckheim aufzuhalten und
dass es ihn ausserordentlich freue, die Bekanntschaft
der Herren gemacht zu haben. Dann wandte er sich
an die einzelnen, sprach mit dem Oberbuchhalter über Raiffeisenkassen,
erzählte dem Doktor einen ganz ungeheuerlichen, aber sehr interessanten
medizinischen Fall, den er zur Vorsicht sich in Amerika abspielcn liess,
schilderte dem Buchdruckereibesitzer Still die immensen Vorteile einer
Typesetting-Maschine, versicherte dem Redakteur des Bruckheimer Boten,
schon zu wiederholten Malen sein Blatt zitiert gelesen zu haben, was
diesen ausserordentlich freute und empfahl sich um zehn Uhr, als er
merkte, dass einige Herren ängstlich auf die Uhr sahen, nicht ohne die
Bitte vorzubringen, man möge ihm gestatten, den folgenden Abend wieder
in einer so anregenden Gesellschaft zuzubringen.
Die Herren waren entzückt und bedauerten nur, nicht erfahren zu
haben, was der reizende junge Mann in der Stadt wolle .... der Rat
aber hatte in selbiger Nacht einen absonderlichen Traum, in welchem
seine Tochter und der junge Mann eine hervorragende Rolle spielten ....
die Tochter, die im Zimmer nebenan schlief, behauptete, der Papa habe
im Traume wohl ein Dutzendmal „Ja doch . . . . Aber Ja“ ausgerufen.
*
Der ehrsame Wirt des berühmten Hotels zur Post war nicht wenig
erstaunt als am anderen Morgen die Herren zu ihm gestürzt kamen und
das Fremdenbuch verlangten. „Karl Griess aus Wien“ stand dort nicht
mehr und nicht weniger; der Name war nicht sonderlich interessant,
Sellin & Co., Berlin, phot.
Gräfin Irma von Kanitz.
B. Bieber, Berlin, phot.
Frl. Margarete von Bock und Polach.
XV. 51.