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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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- Grosse

ßerlinep Kunstausstellung 1901.

Von H. Vollmar.

Menn das Innere der Berliner Kunstausstellung im
Moabiter Palast mit dem Rahmen übereinstimmte,
den alljährlich die neu verjüngte Natur für diese Kunst-
schau schafft, so wäre es ein ungeteiltes Vergnügen,
drinnen das Grünen und Blühen weiter zu beobachten,
welches draussen den Besucher ohne Ansehen der Per-
son — just wie’s die rechte
Kunst auch thut — fröhlich
und festlich bewillkommt.

Leider aber bedeuten die
1695 Gemälde, 219 Skulptu-
ren, 415 Proben der Schwarz-
Weiss - Kunst, 159 Zeich-
nungen und Entwürfe der
Architekten, mitsamt den
Beiträgen des Kunstgewer-
bes ein Zuviel; und ob-
gleich diese Masse von
Kunstprodukten ein acht-
bares Stück ehrlicher Arbeit
ist, giebt doch das Ganze
kein treues Spiegelbild des
Kunstschaffens der Gegen-
wart. Das ist zwar eine
längst bekannte, viel be-
dauerte Thatsache, aber so
eindrucksvoll wie diesmal
haben die 57 Säle und
Kompartimente des Kunst-
palastes diese Wahrheit noch
niemals verkündet. Diese
Riesenausstellungen sind an
un.d für sich schon Massen-
begräbnisse der Kunst, wenn
nun aber, wie in diesem
Jahre, nicht viel des Guten
und Bedeutenden eingelie-
fert wurde und die Jury not-
gedrungen äusserste Milde
walten liess, dann wird der
Kunstgenuss- zur schweren
Arbeit, gilt es doch, aus
viel Spreu einige goldene
Körner auszuscheiden.

Um mit den stetig wech-
selnden, durch kundige Ver-
anstalter gebotenen immer-
währenden Kunstausstellun-
gen zu rivalisieren, bedarf
es anderer Anstrengungen,
als jene, welche die Aka-
demie der Künste und der
Berliner Künstlerverein in
den letzten Jahren für Ber-
lin NW. aufwandten. Nur
eine Künstlerschaft, die in
geschlossener Einheit da-
heimvorginge und draussen,
von der Regierung des Lan-
des unterstützt, durch kluge
Vertreterin den Werkstätten
der Künstler. Umschau hal-
ten liesse, um Interessantes
und Gutes zu gewinnen,
könnte die vorhandenen
Darbietungen der rührigen
Kunsthandlungen überbie-
ten und wirklich einen Ein-
blick in das Kunstleben der
Gegenwart gewähren, der
fern von aller Einseitigkeit
wäre. So wie die Sachlage
jetzt ist, bedeutet die jähr-
liche Grosse Kunstausstellung den Kundigen lediglich
einen Ausschnitt des zeitgenössischen Kunstschaffens,
dessen Studium mit viel Schwierigkeiten verknüpft ist,
während sie doch Hunderttausenden, die aus dem All-
tagsleben kommend, nur den Sonntag oder Spät-
nachmittag frei haben, stets die einzige Vermittlerin der
Kunst von heute bleiben wird. Dass die Kunstliebe von
diesem Durcheinander in den verschiedensten Sälen
ebensowenig Förderung hat, wie das Kunstverständnis,
ist sicher; denn wer kann diese tausende von Bildern
ohne Ermüdung ansehen, wer vermag aus dieser merk-
würdigen Mischung von Gutem und Schlechtem einen
richtigen Eindruck von dem Kunstschaffen der Gegen-

[Nachdruck verboten.]

vorbei, was da in 22 Räumen unter dem Dach der
Maschinenhalle in plastischen Wiedergaben und genialen
Zeichnungen vereint ist, trägt ein durchaus anderes
Gepräge. Dass alle diese Museen, Genesungsheime,
Kranken- und Irrenhäuser, diese Volksbäder, Feuer-
wehrstationen, Krippen, Standesämter, Lehrerwohnungen,

Schulen, welche das feinste
Verständnis für die Bestim-
mung der Gebäude, ihre
Lage im Strassenzuge und
durchaus richtiges Verhältnis
zu dem Stadtbilde bekun-
den, einen einzigen Urheber
haben, ist kaum glaublich.
Solch eine Fülle von ernstem
Schaffen, welches, praktisch
und vornehm zugleich, bei
allem Reichtum der Ge-
danken strenge Sachlichkeit
walten lässt und in jeder
einzelnen Baulichkeit durch
eine neue Lösung der Auf-
gabe überrascht, ist wirk-
lich bewundernswert. Dieser
Stadtbaumeister, der nur in
der Künste schön vereintem
Streben das Heil erblickt,
der wie keiner seiner Vor-
gänger die Bildhauer und
Maler als Helfer am Werk
herbeiruft, giebt sich in sei-
ner überraschenden Sonder-
ausstellung die als „clou“
der Ausstellung von 1901
gelten muss, als eine künst-
lerisch vollwichtige Persön-
lichkeit zu erkennen, welche
während der vier Jahre, die
Hoffinann nun hier weilt,
ein Programm in Thaten
umgesetzt hat, die hohe
Bewunderung verdienen.

Aber auch die Ausstel-
lungen der Architektur,
welche im Palast selbst unter-
gebracht wurden, haben viel
des Anziehenden, schon die
schmucke, dekorative Aus-
stattung der Räume giebt
ihnen ein festlicheres Ge-
wand als sonst. Die Zeich-
nungen und Aquarelle, in
welchenBodo Ebhardt mit
schöner Begeisterung die
Wiederherstellung der Hoh-
königsburg schildert, ziehen
jetzt den Blick besonders an,
daneben entwickelt sich in
zahlreichen Darstellungen
ein Bild der regen Bauthätig-
keit, wie sie durch das
Königlich preussische
Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten in Stadt
und Land geübt wurde.

Die Abteilung für das
Kunst ge werbeüberrascht
den Laien durch einige ele-
gante Einbauten, in welchen
die Herren Ki m b e 1, W e r 1 e,
Gessner, Siedle Zimmer-
einrichtungen, die zum Teil
von Paris her bekannt sind,
bieten; jedoch bei aller Anerkennung einzelner gediege-
ner Leistungen geben sie nicht entfernt ein Bild von
unserer jetzt so rührigen, angewandten Kunst und ihrer
Ziele. Einer privaten Ausstellungsleitung könnte solche
flüchtige Einseitigkeit der Beschickung zugute gehalten
werden, jedoch von zwei so bedeutenden Körj erschaffen,
wie sie die Leitung der grossen Kunstausste lungen
bilden, muss mit Fug und Recht Bessei cs erwartet wer-
den; bei ihren Darbietungen müssen andere Prinzipien
als der Zufall walten, dessen Resultate dem Publikum
ein durchaus ungenügendes verschobenes Bild von der
herrschenden Bewegung auf dem Gebiet des Kunst-
gewerbes vermitteln.

wart zu gewinnen? Dass München allmälig in ähnliche
Lage gekommen ist, vermindert in nichts den bei uns
immer fühlbarer werdenden Notstand.

Die wohlthuenden Ueberraschungen der diesjährigen
Kunstausstellung liegen nicht auf dem Gebiet der
Malerei und Skulptur, sondern allein in den Dar-

bietungen der Architektur und das eindruckvollste
Wort spricht hier die Stadt Berlin durch ihren neuen
Stadtbaurat Ludwig Hoff mann. Lange genug schwieg
die Reichshauptstadt in der Künste Chor, ihre Nutz-
bauten kamen allerdings bei den Ausstellungen der
Hygiene und Wohlfahrtsbestrebungen zur Geltung, jedoch
Verdienste, welche sich die Stadtverwaltung um Hebung
und Förderung der Kunst erworben, traten nur sehr
vereinzelt hervor. Ueber merkwürdig unschönen
Brückenanlagen, langweiligen uniformen Schulgebäuden
etc., die auch den duldsamsten Bürger zum Widerspruch
reizten, wurde das wenige Gute naturgemäss über-
sehen. Jetzt aber ists mit dieser öden Zeit endgiltig

XV. 21. B. 1.


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