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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Brandenfels, Hanna: La fioraja: Novellette
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Unsere Bilder, [12]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0386

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iSo

fa fioraja nennt man sie überall. Niemand weiss, wie sie heisst. Auch die
Nachbarn nicht. Sie lebt weit draussen vor der Stadt in einem baufälligen
Hüttchen, dessen ärmliches Aussehen von einer poesiedurchhauchten, düfte-
schweren Welt von Rosen, Myrten, Magnolien und Orangeblüten verdeckt wird.

In diesem Hüttchen hat sie ihre sechszehn Lenze verlebt — allein mit der
Nonna. Die Mutter ist gestorben. Von dem Vater hat man ihr nie gesprochen.

Einmal fragt sie nach ihm. Da verzieht sich jäh das freundliche Runzel-
antlitz der Nonna — wortlos wendet sie sich ab — und als die glühroten Lippen
die Frage nach dem padre dringender wiederholen, da murmelt der zahnlose Mund
etwas —- kaum fünf Worte, von denen die fioraja zwei versteht: „tedesko“

„pittore“. Ein Deutscher — ein Maler ihr Vater-sie fragt nie wieder nach ihm.

In den Strassen Roms verkauft sie Blumen, die fioraja — Veilchen und
Cyprusrosen, Magnolien, Geranien und Orangeblüten —• alles taufrisch und
köstlich duftend wie sie selber die junge Menschenblume.

Kein schützendes Mutterauge hält treue Wacht an der Seite des immer schöner
erblühenden Römerkindes, das ungewarnt an Sünde und Laster vorbei schreitet.

Der fioraja Lippen in dem schmalen gelblichen Antlitz blühen wie die Gra-
naten in ihrem Korbe und die tiefblauen, schwarz bewimperten Augen leuchten in
reizvoller Schönheit unter dem rabenschwarzen Gelock.

Die junge Römerin lebt in einer Traumwelt — ihre Fantasie blüht und
glüht wie die Kinder des Südens, die sie feilbietet und ihr nach innen schauender
Blick sieht es wie eine märchenhafte Fata Morgana am Himmel ihrer Zukunft
aufsteigen. Darum ist ihr Auge blind, ihr Ohr taub, wenn die Versuchung ver-
führerisch lockend winkt — sie träumt — der Lockruf weckt sie nicht! —

„Deutsche Veilchen! Herrgott!! wie mich das anheimelt! Gieb sie her du
schönes Römerkind! alle, alle — — bist ja selber so ein süsses Veilchen! Herr-
gott! was das Wurm für Augen hat! Fabelhaft! wirklich fabelhaft!"

Gross und fragend, seltsam rätselhaft geht der Blick der fioraja zu dem
Sprecher hinauf. Hoch, schlank, hellblond mit übermütig und leichtsinnig
blickenden hellen Augen steht er lächelnd vor ihr — in jedem Zug seiner
lustigen Miene die Freude über ihren Anblick. Die fioraja löst halb unbewusst
vorwärts tastend den Fuss vom Grunde des Traumlandes und setzt ihn zögernd

auf das staubige Pflaster der belebten Strasse — sie ist erwacht! —--

In den Sälen der grossen Berliner Kunstausstellung wogt ein sehr angeregtes
Publikum auf und ab.

Der Name eines Münchner Malers ist es, der in allen Tönen genannt wird;
an einer Stelle bewundernd, an der andern ironisch, hier mit rückhaltloser An-
erkennung, dort mit scheelem abfälligem Blick und Wort. Aber alle wollen das
Bild sehen, von dem „man“ am meisten spricht.

„La fioraja“ hat der Maler sein Werk genannt.

Eine Schaar geputzter Damen drängt sich eben davor. La fioraja! Lieber
Himmel ein Blumenmädchen! Welch unendlich verbrauchtes Motiv! Zahllose

[Nachdruck verboten,]

Blumenmädchen hat man in den Kunstsalons bewundern können. Der junge
Meister hätte seine Künstlerhand nachgerade an etwas Originelleres legen

können-und dann — so grosse, gramverlorene, sehnsuchtskranke Augen,

aus deren Tiefen eine so frierende, glückshungrige Seele hervorglüht, werden
die Blumenverkäuferinnen Italiens auch wohl kaum machen, wenn sie Sträusse
feil bieten. —

Das Geschwätz vor dem Bilde verstummt — ein grosser schlanker Mann
kommt näher. Der Schöpfer steht vor seinem Werk . . .

Ein zärtlicher Schimmer tritt in sein Auge und dann verdunkelt sich der
helle Blick in Trauer und Wehmut —

Ja das ist sie, die schlanke feingliedrige fioraja, wie sie da in lebensvoller
Plastik aus dem Rahmen heraus zu treten scheint. Das ist die unnachahmlich
graciöse Haltung des schwarzen Köpfchens, das sind die Lippen, die glühen wie
die Granaten in ihrem Korbe — kleine süsse fioraja — —• immer mehr ver-
dunkelt sich sein Blick und vor seinem Geiste zieht es noch einmal vorüber,
was sie ihm gewesen:

Zuerst ein liebliches Rätsel, dessen Lösung ihn angenehm beschäftigt —
dann ein reizendes Spielzeug, das er „sehr lieb“ gehabt und dann — halb un-
bewusst — zerbrochen. — Er hat die schlafende Seele des jungen Römerkindes
wach geküsst und sich an ihrer blumensüssen Schönheit gefreut, bis ihn der
Schnee der deutschen Heimat aus Italiens farbenglühendem Frühling heimwärts
rief. Beim Abschied hatte er sich damit getröstet, dass sie ihn bald vergessen
würde, die kleine träumerische fioraja . . .

Zwei Jahre später machte er seine Hochzeitsreise nach Italien und eines
Abends in Rom kam ihm die merkwürdige Idee, nachzuforschen was aus dem

kleinen Blumenmädchen geworden-Wie er die Thür des blumenum-

gürteten Hüttchens öffnete und ihm von dem schmalen Bettchen her ein Paar
Augen entgegen brannten — sehnsuchtskrank und todestraurig — und wie es

dann aufglühte darin in wahnsinniger Freude bei seinem Anblick-— seine

warmen lebensvollen Finger schlossen sich um ein eiskaltes schmales Händchen
— ein gestammeltes Liebeswort glitt an sein Ohr und dann war es mit einem
Male still — herzbeklemmend still . . .

In einem Winkel hockte die Nonna und nickte stumm vor sich hin, dann
erhob sich die Greisin mühsam, nahm eine kleine Pappschachtel und legte sie
in das schmale Bett neben die Enkelin — die hatte es sich erbeten, dass die
Nonna ihr die kleinen Schätze mitgebe ins Grab — — kleine wertlose Sächelchen
lagen darin — die er ihr einst geschenkt — — jetzt plötzlich wusste er es,
woran sie gestorben war — arme kleine süsse fioraja! . . .

Um die Lippen des Malers zuckt es — seine Augen sehen nicht das lieb-
liche Römerkind da auf der Leinewand — sie sehen ein schmales Bett und
ein kleines weisses überirdisch schönes Gesichtchen zwischen einer duftenden
Fülle von Rosen, Veilchen und Orangeblüten ....

-fe

jfa fioraja.

Novellette von Hanna Brandenfels.

•Ss-Ss* (3t)SCPC

ozarts letzte Augenblicke.“ Die Arbeit an seinem Requiem hatte
Mozart ungewöhnlich erregt; er „verschrieb" sich daran manchmal bis
spät in die Nacht und wies in jener Zeit — es war im Herbst 1791 — alle
Kompositionsangebote zurück. Er achtete der körperlichen Erschöpfung nicht,
als er der Empfindung des Ewigen ein künstlerisches Denkmal setzten wollte,
als er seinen Schwanengesang, sein Requiem schuf. Er sprach oft vom Tode
und sagte mit Thränen im Auge zu seiner treuen Gattin: „Ich weiss wohl, das
Requiem schreibe ich für mich!“ Bald darauf wurde er bettlägerig. Am Nach-
mittage des 5. Dezember liess er sich die Partitur ans Bett bringen. Der Tamina
von der Truppe Schikaneders, die kurze Zeit vorher die „Zauberflöte“ aufgeführt
hatte, sang die Sopranstimme, Sarastro den Bass, Mozarts Schwester Hofer den
Tenor und Mozart selbst mit schwacher Stimme den Alt. So waren sie durch
die ersten Sätze bis zum Lacrimosa gekommen, als Mozart plötzlich die Thränen
über die Wangen rollten und er stumm in die Kissen sank. Die Vorstellung der
in. dieser Komposition so wunderbar ausgedrückten allerbarmenden ewigen Liebe
und das Gefühl des herannahenden Todes machten sein Herz überquellen.
Süssmayer blieb an seinem Bette und Mozart setzte ihm die weitere Aus-
arbeitung des Requiems auseinander. Als er mit dem Munde den Klang der
Pauken andeuten wollte, verlor er das Bewusstsein. Gegen Mitternacht richtete
er sich nochmals auf, sah starr umher und verschied dann ruhig als wäre er
eingeschlummert. In unendlichem Schmerze warf sich seine Gattin nieder.
Während in seiner Seele die hehren Klänge des Requiems nachhallten, war
er hinüber geschlummert in das Gefilde der ewigen Harmonien.

* *

*

ehr humoristisch nennt Plans Dahl sein in diesem Hefte veröffentlichtes
Bild: „Fuchs und Gänse“. Die Gänse sind in diesem Falle die jungen Mädchen,

Jfildei3.

die der Schlaumeier auf dem Lande mit lächelnder Miene und süssem Apfel-
angebot an sich zu locken versucht. Aber „se heissen heute nich“, sie lassen
sich nicht betümpeln, sie kennen ihn schon, den Herrn Fuchs, gondeln fröhlich
lachend ab und lassen ihn mit seiner Sehnsucht allein.

* *

*

urt vonRozinskis schönes Bild personifizirt die „Quelle“ in Gestalt
eines anmutigen Mädchens. Wie Waldesduft und Quellfrische weht es von ihr
her; tief, brunnentief scheinen die Augen zu sein, klar und rein ihre Seele
und wie weiche, schmiegsame Wasserwogen fliesst das Gewand an ihren
Gliedern hinab. Mit bestem Gelingen sind die Reize einer Naturerscheinung in
einem Kunstwerke symbolisiert, das so dem aufmerksamen Beschauer einen un-
getrübten Genuss bereitet.

.1:**

wald Thieles Bild: „Die Berliner Siegesallee im Winter“ ge-
winnt der oft besprochenen künstlerischen Anlage eine neue Seite ab. Tiefe
Stille lagert über dem Thiergarten, nur wenige Menschen wandeln die schweig-
samen Wege. Ein einziges Menschenpaar, das von einem Balle bei „Krolls“
nach Hause schreitet, geht vorüber; in der Ferne verhallen die gleichmässigen
Schritte des einsamen Schutzmannes, der Wacht hält bei den Vorfahren Kaiser
Wilhelms. Stille Sterne blinken vom Himmel herab; der Schein des elektrischen
Lichtes bricht sich matt auf dem Golde der Viktoria, die von der hohen Sieges-
säule herab schaut — es bricht sich klar und scharf in den funkelnden Schnee-
kristallen, gegen deren blendendes Weiss der Marmor verbleicht. Die steinernen
Fürsten schauen seltsam fremd aus den Schneemützen heraus, die ihnen der
Winter aufgesetzt hat. Der Anblick der schweigenden Marmorstatuen drängt
sich so tief in die Seele ein, dass die Erinnerung daran nicht verlöscht.


 
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