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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Torn, Teo: Assessor Delorges: Humoreske
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Unsere Bilder, [10]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0333

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MODERNE KUNST.

156

häufig, Miss Kingsley beschwindelte, um — — um — sich ungestörter über ihn
ärgern zu können. Es war überhaupt empörend.

„Sie haben eine erbärmliche Figur gemacht!“ rief sie, indem sie sich jäh
erhob und die Grashalme von ihrem Kleide klopfte.

Wieder neigte der Assessor den Kopf nachdenklich zur Seite.

„Dass Sie das in der Eile bemerken konnten, ist eigentlich kolossal, mein
gnädiges Fräulein, aber meinen Sie wirklich, dass ich mich zwischen den Hörnern
des Stieres vorteilhafter gemacht hätte? Ich bin eigentlich schon seit Jahren
jeder Luftgymnastik abhold und weiss nicht, ob ich — sofern mir ein Absprung
überhaupt beschieden gewesen wäre — die vorgeschriebene turnerische Knie-
beuge noch mit der nötigen Elastizität und Grazie exekutiert hätte.“

Dabei hatte er sich erhoben und sah mit himmlischer Ruhe in das spöttisch
verzogene Gesicht der Kleinen. — „Und Ihr Hut?“ fragte sie.

„Erinnern Sie mich nicht an diese bodenloseste aller ,Behauptungen“. Ich
verzichte auf ihn.“

„Aber Sie werden mich doch nicht ohne Hut ins Dorf begleiten wollen.
Holen Sie ihn — ich wünsche es!“ Das klang so eigensinnig, dass der Assessor
sich abwenden musste, um ein übermütiges Lächeln zu verbergen.

Ada Berghoff zitterte vor Aufregung und Ungeduld. Was würde er thun?
In ihrem Köpfchen spukte noch die überspannte Romantik der Pensionsjahre,
pointiert durch ganz seltsame Gedanken, die in den letzten Tagen über sie

gekommen waren-namentlich abends, wenn sie vor dem Schlafengehen an

dem niedrigen, von blauen Klematis umrankten Fenster sass. Unter Herz-
klopfen träumte sie dann, den Rechten, den Einzigen und Unvergleichlichen
gefunden zu haben — — leider aber hatte er die Züge dieses schrecklichen
Menschen — die lustigen braunen Augen, die von einem tiefen Schmiss ver-
unzierte Nase und den moquanten Mund des Assessors von Weltzow. Leider!
Mit den erwähnten Aeusserlichkeiten hätte sie sich wohl abgefunden, ja — sie
gestand sich sogar, dass sie ihr gefielen — — sehr! Alles andere aber war
nicht nach ihrem Traum. Dieser Mensch hatte so gar nichts Kniefälliges, und
wie er mit ihr sprach, erweckte er das Empfinden, als würde er sie im
nächsten Moment auf den Arm nehmen und verlangen, dass sie „Papa“ zu ihm
sage. Und nun heute diese unritterliche Flucht! Er, mit dem sie den Begriff des
„Unvergleichlichen“ verband —r in ungeordnetem Rückzuge vor einem Rindvieh!

Klaus von Weltzow liess sein Monocle fallen, that einen tiefen Seufzer mit
einem Blick gen Himmel, wie jemand, der zum letzten Male atmet im rosigen
Licht, und machte eine Handbewegung, die frei nach Hutten sagte: Ich wag’s!
— „Wohlan, mein gnädiges Fräulein,“ sagte er, „ich werde meinen zertretenen
Hut holen. Nicht um meinetwillen oder des Hutes wegen! Ich schwör es Ihnen!

Der Hut ist mir gleichgültig — und wenn ich dieses junge Leben an ihn wende,
so geschieht es Ihnen zu Liebe und damit Sie sehen, welcher Thaten ein
preussischer Vize-Feldwebel der Reserve fähig ist, wenn er gereizt wird. Bitte

— funkeln Sie mich nicht so böse an — es ist mein heiliger Ernst: ich vollbring’

es! Nur zwei Bedingungen stelle ich: Gelingt es mir, die rohe Kraft des

Wächters meines Plutes zu überlisten, so müssen Sie gestatten, dass ich das
Objekt des ungleichen Ringens auch trage, gleichviel in welchem Stadium der
Verwüstung es sich befindet — es sei denn, dass die Ortspolizei das inhibiert.“

War es die Bekennerpose des Assessors mit der auf der Brust gespreizten
Rechten oder die Eventualität, den im übrigen so patenten Mann mit einem

durchgestossenen Strohhut einherwandeln zu sehen-jedenfalls war jetzt an

Fräulein Ada Berghoff die Reihe, sich abzuwenden. Ihre Schultern zuckten
verräterisch. Klaus von Weltzow fuhr jedoch unbeirrt fort:

„Für den andern Fall aber, mein gnädiges Fräulein, dass das böse Tier mir
irgendwelche Hindernisse in den Weg legen sollte, bitte ich Sie, sich abzuwenden

— denn es wird fürchterlich. Ich werde keinen Pardon geben, und da es wahr-
scheinlich ist, dass ich eventuell auch keinen bekomme —-ich sehe

mit Betrübnis, dass Sie lachen — der Moment ist ernst! — Hier deponiere ich
meine Uhr, ein mir teures Erbstück, das ich nicht in den Kampf mitnehmen will.
Hier mein Portemonaie, dessen Inhalt ich für die guten Leute bestimme, die
sich mit dem Aufsammeln meiner einzelnen Bestandteile, soweit dieselben mit
blossem Auge noch erkennbar sind, zu befassen haben werden. Dann meine

Brieftasche-diese aber kann ich nur in Ihre Hand legen, Fräulein Ada —

nehmen Sie! Es ist da ein Bild, das ich vorgestern aus Miss Kingsleys Album
gemaust — ob sie’s schon gemerkt hat, weiss ich nicht — jedenfalls will ich mit
reinem Gewissen aus dieser schnöden Welt. Deshalb überreiche ich Ihnen auch
des weiteren den linken Handschuh, welchen Sie neulich vermissten, diese
weisse Schleife von Ihrem Sonnenschirm und schliesslich — nein, bitte schlagen
Sie mich nicht! — die Ansichtskarte an Ihre Freundin in Elberfeld, welche ich
bewusst unterschlug, weil sie Ihren Namen trägt und Sie die Marke selbst auf-
gepappt haben-So — und nun rasch, ehe das Rindvieh wiederkehrt“-

Der Stier hatte sich thatsächlich etwas zurückgezogen, und zweifellos wäre
es dem Assessor geglückt, die formlosen Reste seines Strohhuts zu erwischen,
wenn nicht ein gellender Schrei das Tier darauf aufmerksam gemacht hätte,
dass neben dem frevlen Manne auch die junge Dame mit der rotseidenen Bluse
wieder sein Gebiet betreten. Mit gesenktem Kopfe galoppierte er heran. Da ihm
die beiden aber wiederum — diesmal allerdings mit knapper Not — entwischten,
spiesste er wenigstens den Hut auf und glotzte unter diesem seltsamen Haupt-
schmuck wütend auf das Paar — das sich fest umschlungen hielt.

sei^e

vi/iiiv/yit merkwürdiger Uebereinstimmung in allen Gegenden des Reiches
wächst das Interesse an den Männern, welche in trüber Zeit für
Preussens und damit für Deutschlands Ehre eingestanden sind. Zu jenen gehört
vor allem Ferdinand von Schill, der an der Spitze seines Husarenregimentes
am 28. April 1809 ohne Wissen seines Fürsten Berlin verliess, um den König
und die preussische Armee zum Kampfe gegen Frankreich fortzureissen. Es ist
bekannt, dass sein kühner Plan durch die Teilnahmlosigkeit seiner Zeitgenossen
scheiterte und dass er nach tapferster Gegenwehr in den Strassen Stralsunds
im Kampfe gegen Holländer und Dänen fiel. König Jeröme von Westfalen,
Napoleons jüngster Bruder, hatte einen hohen Preis demjenigen versprochen,
der ihm den Kopf Schills überbringe. Infolgedessen wurde Schills Haupt nach
seinem Tode vom Rumpfe getrennt und nach Kassel an den Hof Jerömes
gebracht. A. Hering hat in seinem neuesten Bilde die Scene, in der Jeröme
das Haupt des preussischen Patrioten erhält, künstlerisch ausgestaltet. An
Jerömes Hof in Kassel herrschte eine grauenhafte Sittenverderbnis. Das in
Napoleonshöhe umgenannte Lustschloss Weissenstein war das JCrömesche
Capua. Hier, sowie in Schönfeld und Katharinenthal, wurden jene Bälle in
„paradiesischer Toilette“, jene verworfenen Orgien gefeiert', welche der König,
bis zur Ohnmacht übersättigt, mit den drei einzigen deutschen Worten, die er
sprechen gelernt hatte, zu beschliessen pflegte: „Morgen wieder luschtik!“
Während einer solchen Festlichkeit präsentiert man ihm Schills Haupt. Mitten
in die Sekt- und Konfekt-Atmosphäre hinein wird der durch Säbelhiebe ver-
unstaltete Kopf des unglücklichen Majors gebracht, der für die Rettung seines
Vaterlandes sein Leben opferte. Kann man sich grössere Gegensätze denken!
Die galanten Herren Franzosen fanden, wie aus jener Zeit berichtet wird, an
den Kasseler Schönen, die so schwer eben nicht zu besiegen waren, „etwas so
Artiges und Apartes“, dass sie sich im Tanz und Liebesgeplänkel nicht stören
Hessen. Nur die um den „König—morgen—wieder—luschtik“ versammelte Gruppe
wurde durch den Anblick gestört. Entsetzt springt der König auf und seine
Lustigkeit scheint für diesen Abend wenigstens dahin zu sein. Nun, er wird ja
morgen wieder lustig sein! Und das morgen hat sich wiederholt bis zu jenem
Oktobertage 1813, der unter dem Kanonendonner der Schlacht bei Leipzig auch
der lustigen Majestät einen beschleunigten Abgang verschaffte.

JjÖ. Wierusz Kowalskis Bild: „Auf Leben und Tod“ führt in die
Wälder Russlands, in denen noch die Wölfe hinter den Schlitten der Reisenden
herhetzen und eine gute Pistole das nötigste Reiserequisit ist. — Einer rührenden
Empfindung giebt E. Faurels Bild: „Barrys Tod“ eine anziehende Darstellung.
Auf Russlands Eisfeldern hat beim grossen französischen Rückzug 1812 mancher
sein Leben gelassen. Auch manches Kriegsross und mancher anhängliche Hund
sind der russischen Winterskälte erlegen. Unser Bild zeigt, wie ein französischer
Grenadier, der dem Tode des Erfrierens entgegen geht, seine letzte Kraft benutzt,
um seinem treuen Hund den Todesstoss zu geben, damit er nicht dem elenden
Hinsterben in Kälte und Schnee verfalle. — Einen humoristischen Ton schlägt
dagegen E. von Blaas’ Bild: „Früh übt sich . . .“ an; der junge Galan scheint

das Zeug zu einem richtigen Don Juan in sich zu spüren.

%

*

Wimmers interessantes Bild der Königin „Semiramis“ giebt der
seltsamen Persönlichkeit eine künstlerische Veranschaulichung. Die legendenhafte
Herrscherin von Assyrien, die man sich vielleicht sogar als eine Göttin zu denken
hat, war nach der persischen Sage eine Gemahlin des Onnes, der unter Ninus,
dem König Assyriens, Feldherr war. Sie lebte etwa ums Jahr 2000 v. Chr.
Semiramis zeigte dem Ninus bei der Belagerung von Baktra den Weg, wie er
in die Stadt gelängen könnte. Nachdem sich ihr Gatte das Leben genommen
hatte, wurde sie die Gemahlin des Ninus, und nach dessen Tode übernahm sie
die Regierung für ihren Sohn Ninyas. Die Sage berichtet von ihr, dass sie in

Afrika und Indien Kriege geführt und in Babylonien eine Menge Kanäle, Strassen

*

und Städte erbaut habe. Nach langer, 42jähriger Regierung wurde sie durch
ihren Sohn ermordet.

* *

*

Deila Corte: „Kokett“. O sie weiss, dass sie schön ist, und sie
lässt sich keinen ihrer Vorzüge entgehen! Wie wirkungsvoll hat sie ihr reiches
lockiges Haar zum Knoten geschlungen, doch so, dass es auch noch in weichen
Wellen in den Nacken fällt und doch nicht den Schmuck des Ohres verdeckt.
Sie weiss es längst — der Spiegel hat es ihr des öfteren gesagt — wie lebhaft
das Weisse ihres Auges glänzt, darum blickt sie gern zur Seite, weil der Glanz
dann besser zur Geltung kommt. Ach, und die Perlenzähne darf sie nicht mit
den Lippen verdecken und seien sie noch so frisch und rot! St.
 
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