MODERNE KUNST.
nferm ^ijfeffurm.
Von Hans Kraemer. [Nachdruck verboten/]
w er Paris betritt, hat die Sorgen zu Hause gelassen, im lärmenden Getriebe
der prunkenden Völkermesse ersterben alle Seufzer, und den Griessgrämigen
streicht Dame Lutetia, die nimmer alternde, mit kosender Hand die finsteren
Falten von der Stirn, sie, die für alle Anbeter ein heiteres, verheissendes
Lächeln, für jeden Schmachtenden einen koketten Blick übrig hat. Der
Mutter ähnelt das Kind — Pariser Blut pulsiert in den Adern der
Weltausstellung, Pariser Temperament giebt dem Leben und Treiben
zwischen Konkordienplatz und Marsfeld das eigenartige Kolorit. Hundert-
tausende aller Herren Länder strömen Tag für Tag in die Aus-
stellung und dennoch verliert sie niemals ihren spezifisch pariserischen
Charakter. Die Menschen freilich, die hundert
verschiedene Motive zusammengeführt haben,
passen zum guten Teil gar wenig zu dem
Rahmen, der sie umgiebt; aus tausend sprühenden
und stumpfen, nüchternen und glänzenden, schillernden
und dunkeln Farben setzen sich die Bilder zusammen,
die wie im Kaleidoskop im Augenblick sich gefällig
. gruppieren, um im nächsten Augenblick wie ein Phantom
zu zerflattern. Jeden Tag und jede Stunde
wechselt die Mischung des Publikums — das
Studium der Schaulustigen scheint darum
nicht minder interessant, wie jenes der
Wunderwerke der Künste und Gewerbe . . .
Acht Uhr früh: An den stolzen Portalen in der Nähe der herrlichen
Champs-Elysees herrscht tiefe Stille; das elegante Publikum schläft
noch oder flirtet hoch zu Ross in den kühlen Alleen des Bois de
Boulogne. In die Ausstellung eilen nur die unzähligen Angestellten,
die Wächter und Verkäufer, die Maschinisten und die Handwerker,
die noch immer fieberhaft an der Vollendung einzelner Schaustellungen
Himmelsrichtungen, und Franzosen aus der „Provinz“; biedere Gestalten, deren
Aeusseres wenig Sorgfalt verrät, rotwangige Frauen in einfachen Kleidern, die
vor den raffinierten Schöpfungen der Pariser Modekönige in fassungslosem
Entsetzen die Köpfe schütteln — der gute Mittelstand, der jedes Winkelchen
des Riesenterrains durchstöbern möchte, um „Alles“ gesehen zu haben, um
tausend Ueberraschungen zu erleben. Deutsche, englische, holländische Laute
einigen sich mit den französischen, in den weiten Hallen summt es wie in
berühmten Galerien an Sonn- und Festtagen, bewundernde Rufe kreuzen sich
mit spöttischen Urteilen; die ganze Aufmerksamkeit wendet sich aber in allen
Fällen den zur Schau gestellten Objekten zu. Ganz anders am Nachmittag.
Das Schauen und Betrachten ermüdet, die Julisonne treibt Männlein und
Weiblein aus den dumpfen Hallen hinaus an die kühlen Ufer der Seine und
in die Säulengänge der Marsfeldpaläste. Aus den Neugierigen werden rasch
Geniessende und den Gegenstand ihrer Schaulust bilden nicht mehr die
Produkte der Industrie, sondern das elegante Pariser und internationale Publikum,
das erst mit den Dämmerschatten des Abends auf der Bildfläche erscheint.
Sieben Uhr: „Tout Paris“, d. h. soweit es nicht in der Sommerfrische weilt,
ist zur Stelle. Die ganze und halbe Welt flutet durch die lichtübergossenen
Alleen der Quais, die Herren im Frack, mit weissen Handschuhen und der
weissen Blüte im Knopfloch, zu Fuss, die Damen in hellen Sommertoiletten von
blendender Pracht, bedeckt mit echtem und falschem Schmuck, im Rollstuhl,
dem beliebtesten und beinahe einzigen Verkehrsmittel der Weltaus-
„ Stellung. Die elegante Pariserin mit den zierlichen weissen Schuhen,
» den seidenrauschenden Unterkleidern und spitzenbedeckten, duftigen
# Roben von unnachahmlichem Chic, geht keinen Schritt zu Fuss, sie
lässt sich von einem Ende des Parks zum anderen „schieben“, flirtet
und scherzt dabei wie bei den traditionellen Fahrten ins Bois de
Boulogne, kokettiert und moquiert sich bis allzufrüh die Lichter erlöschen.
Wäre die ganze Ausstellung von ebenen Strassen durchzogen, es gäbe nichts
Reizenderes als das sanfte Dahingleiten auf
reifen; aber ach! die Brücken und Stege, die
Rampen, die Uebergänge und Unterführungen,
grobe Seinekies! . . . Das Leben auf der
hat keinen eigentlichen Mittelpunkt, weder die
Fusse der Re-
bäude der frem-
weichen Gummi-
Treppen und
und ach! der
Weltausstellung
Uferstrasse am
präsentationsge-
den Staaten, noch
die amüsante Rue
de Paris mit den reizendsten
Tingel-Tangeln der Welt, bieten
zu arbeiten haben. Ueberall
ges Rühren, um zum
gerüstet zu sein. Zehn Uhr
Eröffnungsstunde: der Strom
Paris gekommen sind, um
neue Anregung zu finden,
wälzt sich langsam heran,
zumeist Ausländer aus allen
Geschäftigkeit, fleissi-
Empfang der Gäste
früh ■ - die offizielle
der Besucher, die nach
zu sehen, zu lernen
Ünferm Eiffelturm. 2>eicfynun<^ don E. Edel
soviel, dass das Publikum in
seiner Mehrheit dahin strömen
würde. Nur an einer Stelle wird
jeder Besucher immer wieder zu
finden sein: unter den gigan-
tischen Bogen des
Eiffelturmes.
Welch ein Ge-
misch von Völker-
typen! Die nahe Ko-
lonialausstellung ent-
sendet bezopfte Mongolen, braune Söhne der Wüste, schmutzige Serben und
ewig auf den Profit bedachte türkische Händler, Niggerdandys mit schwarzen
und weissen Bräuten, bärtige Tscherkessen und stolze, weissbärtige Leibkosaken
in prächtigen Pelzen, javanische Kellner mit Frisuren, um die jede Modedame
sie beneiden würde; dazwischen drängen sich falsche und echte Spanierinnen,
Bauchtänzerinnen aus dem Quartier latin und Bajaderen vom Montmartre in
grellbunten Kostümen — die Kultur des Abend- und jene des Morgenlandes
sind durch keine Schranke mehr getrennt, der Hunger nach Gold hat alle ge-
einigt. Der gelbe Sohn des Ostens erhebt seine Blicke dreist zur Pariser Lebe-
dame und die alten und jungen Boulevardiers blinzeln wohlgefällig den farbigen
Mädchen zu, die mit breitem Grinsen die schwarzen Angströhren der Herren
und die dünnen Taillen der Damen bespötteln.
Vorbei sind die schönen Zeiten, in denen man friedlich durch das Gewühl
der internationalen Ausstellungen wandern, in lauschiger Ecke mit eleganten
Schönen verschiedenen Teints soupieren, und unbeachtet sein Abenteuer erleben
konnte? Wehe! seit sie losgelassen, die furchtbare Schar der heimtückischen
Amateur-Photographen, die schleichenden Bildertiger, deren schwarzen Klapp-
apparaten nichts entgeht, was kreucht und fleucht, wandelt und fährt, weder die
excentrische Tochter Albions, noch der amerikanische Getreidejobber, den die
Börsendepeschen der Pariser Ausgabe des „New York Herald“ mehr fesseln,
als alle Reize der „worlds fair“, weder der Priester, der das Brevier in der einen,
den Führer in der anderen Hand, sehr weltliche Dinge besichtigt, noch das junge
Pärchen, das eifrig den Katalog zu studieren scheint, um desto ungestörter
sich zärtliche Worte zuraunen zu können. Alle Welt „knipst“, obwohl die Ge-
bühr selbst für Amateure eine unerhört hohe ist; die „Tagebücher auf Films“
sind nun einmal Mode . . .
In hundert Idiomen, in tausend Dialekten wird geplaudert und gescherzt,
gelobt und verurteilt; nichts ist so bizarr, dass es nicht einen Bewunderer,
nichts so schön, dass es nicht einen
Spötter fände. „Kein Vergleich zu
Chicago!“ knurrt ein arroganter Sohn
Uncle Sams; „die Leipz’cher war och nich von Pappe!“ hält ihm stolz
ein biederer Alter vom Pleissestrand entgegen. Nur die Berliner sind
diesmal ziemlich still, und heimlich nur hört man manchmal murmeln:
„Siehste, Mutter, jerecht muss man sind, so ’ne Ausstellung, det kennen wir
doch noch lange nich!“ Und werden es nie lernen . . . Paris hat seine alte
Tradition auch auf dem Gebiet des Ausstellungswesens, nur in dieser Stadt der
ewigen Freude ist eine wahre „Welt“-Ausstellung möglich! . . .
Neun Uhr! Wie ein Riesenzelt aus tiefblauem Sammet, besetzt mit silbernen
Füttern und funkelnden Steinen, wölbt sich der klare Himmel über dem Werke, das
nur im Bilde die kurzen Sommermonate überdauern wird. Matt schimmernd heben
die weissen Bauten sich von dem dunkeln Hintergrund ab, in hellem Lichterglanze
spiegelt sich Alt-Paris in den rauschenden Fluten der Seine, aus allen Kneipen tönt
heitere Musik, klingen exotisch-wilde Tanzweisen; die Pforten der Ausstellungshallen
sind geschlossen, Marsfeld und Invalidenesplanade scheinen verödet, nur auf den
Quais und über die Brücken schiebt und drängt sich ein murmelnder Menschen-
strom. Sein Ziel ist der Platz zwischen Eiffelturm und Trocadero, die sanft an-
steigende Strasse, die sich im Fluge mit tausenden von Stühlen bedeckt hat. Fast
im Flüsterton wird die Unterhaltung geführt, in atemloser Spannung erwarten die
Schaulustigen aus allen Teilen der Welt den Augenblick, in dem die Elektrizität
ihre Wunder enthüllen soll. Jetzt flammt es auf, zuerst an den Füssen des Riesen-
turmes, dann schiesst es hinauf bis zu der Spitze, eine Sekunde genügt, um den
ragenden Bau in all seinen herrlichen Linien aus strahlenden Flammen neu er-
stehen zu lassen, wie eine goldene Leiter steigen die Eisenrippen zum Himmel
empor. Bald blitzt es rechts und links, nah und fern auf: der Trocadero schwimmt
in einem Meer von Licht, Kaskaden aus glühendem Gold wälzen sich zu seinen
Füssen über die granitnen Stufen den in hundert Farben schillernden Fontänen
entgegen, die in feenhafter, überwältigender Pracht vor dem Zauberschloss des
Chateau d’eau himmelanschiessen — eine Orgie des Lichts, wie sie berückender
noch nie in die Erscheinung trat. Still
und andächtig folgt das tausendköpfige
Publikum dem unvergesslichen Schau-
spiel, das alles übertrifft, was Märchen-
phantasie je zu erträumen wagte.
Verstummt ist aller Spott, ver-
stummt sind alle hämischen Reden,
was des Tadels wert war, deckt mit-
leidig der Schleier der Nacht, sie mil-
dert die Gegensätze der Nationen, ver-
wischt die Unterschiede der Völker —
in allen Sprachen der Welt erklingt
das Lob der „ville lumiere“ und ihrer
Tochter, der „Grossen Ausstellung“ . . .
nferm ^ijfeffurm.
Von Hans Kraemer. [Nachdruck verboten/]
w er Paris betritt, hat die Sorgen zu Hause gelassen, im lärmenden Getriebe
der prunkenden Völkermesse ersterben alle Seufzer, und den Griessgrämigen
streicht Dame Lutetia, die nimmer alternde, mit kosender Hand die finsteren
Falten von der Stirn, sie, die für alle Anbeter ein heiteres, verheissendes
Lächeln, für jeden Schmachtenden einen koketten Blick übrig hat. Der
Mutter ähnelt das Kind — Pariser Blut pulsiert in den Adern der
Weltausstellung, Pariser Temperament giebt dem Leben und Treiben
zwischen Konkordienplatz und Marsfeld das eigenartige Kolorit. Hundert-
tausende aller Herren Länder strömen Tag für Tag in die Aus-
stellung und dennoch verliert sie niemals ihren spezifisch pariserischen
Charakter. Die Menschen freilich, die hundert
verschiedene Motive zusammengeführt haben,
passen zum guten Teil gar wenig zu dem
Rahmen, der sie umgiebt; aus tausend sprühenden
und stumpfen, nüchternen und glänzenden, schillernden
und dunkeln Farben setzen sich die Bilder zusammen,
die wie im Kaleidoskop im Augenblick sich gefällig
. gruppieren, um im nächsten Augenblick wie ein Phantom
zu zerflattern. Jeden Tag und jede Stunde
wechselt die Mischung des Publikums — das
Studium der Schaulustigen scheint darum
nicht minder interessant, wie jenes der
Wunderwerke der Künste und Gewerbe . . .
Acht Uhr früh: An den stolzen Portalen in der Nähe der herrlichen
Champs-Elysees herrscht tiefe Stille; das elegante Publikum schläft
noch oder flirtet hoch zu Ross in den kühlen Alleen des Bois de
Boulogne. In die Ausstellung eilen nur die unzähligen Angestellten,
die Wächter und Verkäufer, die Maschinisten und die Handwerker,
die noch immer fieberhaft an der Vollendung einzelner Schaustellungen
Himmelsrichtungen, und Franzosen aus der „Provinz“; biedere Gestalten, deren
Aeusseres wenig Sorgfalt verrät, rotwangige Frauen in einfachen Kleidern, die
vor den raffinierten Schöpfungen der Pariser Modekönige in fassungslosem
Entsetzen die Köpfe schütteln — der gute Mittelstand, der jedes Winkelchen
des Riesenterrains durchstöbern möchte, um „Alles“ gesehen zu haben, um
tausend Ueberraschungen zu erleben. Deutsche, englische, holländische Laute
einigen sich mit den französischen, in den weiten Hallen summt es wie in
berühmten Galerien an Sonn- und Festtagen, bewundernde Rufe kreuzen sich
mit spöttischen Urteilen; die ganze Aufmerksamkeit wendet sich aber in allen
Fällen den zur Schau gestellten Objekten zu. Ganz anders am Nachmittag.
Das Schauen und Betrachten ermüdet, die Julisonne treibt Männlein und
Weiblein aus den dumpfen Hallen hinaus an die kühlen Ufer der Seine und
in die Säulengänge der Marsfeldpaläste. Aus den Neugierigen werden rasch
Geniessende und den Gegenstand ihrer Schaulust bilden nicht mehr die
Produkte der Industrie, sondern das elegante Pariser und internationale Publikum,
das erst mit den Dämmerschatten des Abends auf der Bildfläche erscheint.
Sieben Uhr: „Tout Paris“, d. h. soweit es nicht in der Sommerfrische weilt,
ist zur Stelle. Die ganze und halbe Welt flutet durch die lichtübergossenen
Alleen der Quais, die Herren im Frack, mit weissen Handschuhen und der
weissen Blüte im Knopfloch, zu Fuss, die Damen in hellen Sommertoiletten von
blendender Pracht, bedeckt mit echtem und falschem Schmuck, im Rollstuhl,
dem beliebtesten und beinahe einzigen Verkehrsmittel der Weltaus-
„ Stellung. Die elegante Pariserin mit den zierlichen weissen Schuhen,
» den seidenrauschenden Unterkleidern und spitzenbedeckten, duftigen
# Roben von unnachahmlichem Chic, geht keinen Schritt zu Fuss, sie
lässt sich von einem Ende des Parks zum anderen „schieben“, flirtet
und scherzt dabei wie bei den traditionellen Fahrten ins Bois de
Boulogne, kokettiert und moquiert sich bis allzufrüh die Lichter erlöschen.
Wäre die ganze Ausstellung von ebenen Strassen durchzogen, es gäbe nichts
Reizenderes als das sanfte Dahingleiten auf
reifen; aber ach! die Brücken und Stege, die
Rampen, die Uebergänge und Unterführungen,
grobe Seinekies! . . . Das Leben auf der
hat keinen eigentlichen Mittelpunkt, weder die
Fusse der Re-
bäude der frem-
weichen Gummi-
Treppen und
und ach! der
Weltausstellung
Uferstrasse am
präsentationsge-
den Staaten, noch
die amüsante Rue
de Paris mit den reizendsten
Tingel-Tangeln der Welt, bieten
zu arbeiten haben. Ueberall
ges Rühren, um zum
gerüstet zu sein. Zehn Uhr
Eröffnungsstunde: der Strom
Paris gekommen sind, um
neue Anregung zu finden,
wälzt sich langsam heran,
zumeist Ausländer aus allen
Geschäftigkeit, fleissi-
Empfang der Gäste
früh ■ - die offizielle
der Besucher, die nach
zu sehen, zu lernen
Ünferm Eiffelturm. 2>eicfynun<^ don E. Edel
soviel, dass das Publikum in
seiner Mehrheit dahin strömen
würde. Nur an einer Stelle wird
jeder Besucher immer wieder zu
finden sein: unter den gigan-
tischen Bogen des
Eiffelturmes.
Welch ein Ge-
misch von Völker-
typen! Die nahe Ko-
lonialausstellung ent-
sendet bezopfte Mongolen, braune Söhne der Wüste, schmutzige Serben und
ewig auf den Profit bedachte türkische Händler, Niggerdandys mit schwarzen
und weissen Bräuten, bärtige Tscherkessen und stolze, weissbärtige Leibkosaken
in prächtigen Pelzen, javanische Kellner mit Frisuren, um die jede Modedame
sie beneiden würde; dazwischen drängen sich falsche und echte Spanierinnen,
Bauchtänzerinnen aus dem Quartier latin und Bajaderen vom Montmartre in
grellbunten Kostümen — die Kultur des Abend- und jene des Morgenlandes
sind durch keine Schranke mehr getrennt, der Hunger nach Gold hat alle ge-
einigt. Der gelbe Sohn des Ostens erhebt seine Blicke dreist zur Pariser Lebe-
dame und die alten und jungen Boulevardiers blinzeln wohlgefällig den farbigen
Mädchen zu, die mit breitem Grinsen die schwarzen Angströhren der Herren
und die dünnen Taillen der Damen bespötteln.
Vorbei sind die schönen Zeiten, in denen man friedlich durch das Gewühl
der internationalen Ausstellungen wandern, in lauschiger Ecke mit eleganten
Schönen verschiedenen Teints soupieren, und unbeachtet sein Abenteuer erleben
konnte? Wehe! seit sie losgelassen, die furchtbare Schar der heimtückischen
Amateur-Photographen, die schleichenden Bildertiger, deren schwarzen Klapp-
apparaten nichts entgeht, was kreucht und fleucht, wandelt und fährt, weder die
excentrische Tochter Albions, noch der amerikanische Getreidejobber, den die
Börsendepeschen der Pariser Ausgabe des „New York Herald“ mehr fesseln,
als alle Reize der „worlds fair“, weder der Priester, der das Brevier in der einen,
den Führer in der anderen Hand, sehr weltliche Dinge besichtigt, noch das junge
Pärchen, das eifrig den Katalog zu studieren scheint, um desto ungestörter
sich zärtliche Worte zuraunen zu können. Alle Welt „knipst“, obwohl die Ge-
bühr selbst für Amateure eine unerhört hohe ist; die „Tagebücher auf Films“
sind nun einmal Mode . . .
In hundert Idiomen, in tausend Dialekten wird geplaudert und gescherzt,
gelobt und verurteilt; nichts ist so bizarr, dass es nicht einen Bewunderer,
nichts so schön, dass es nicht einen
Spötter fände. „Kein Vergleich zu
Chicago!“ knurrt ein arroganter Sohn
Uncle Sams; „die Leipz’cher war och nich von Pappe!“ hält ihm stolz
ein biederer Alter vom Pleissestrand entgegen. Nur die Berliner sind
diesmal ziemlich still, und heimlich nur hört man manchmal murmeln:
„Siehste, Mutter, jerecht muss man sind, so ’ne Ausstellung, det kennen wir
doch noch lange nich!“ Und werden es nie lernen . . . Paris hat seine alte
Tradition auch auf dem Gebiet des Ausstellungswesens, nur in dieser Stadt der
ewigen Freude ist eine wahre „Welt“-Ausstellung möglich! . . .
Neun Uhr! Wie ein Riesenzelt aus tiefblauem Sammet, besetzt mit silbernen
Füttern und funkelnden Steinen, wölbt sich der klare Himmel über dem Werke, das
nur im Bilde die kurzen Sommermonate überdauern wird. Matt schimmernd heben
die weissen Bauten sich von dem dunkeln Hintergrund ab, in hellem Lichterglanze
spiegelt sich Alt-Paris in den rauschenden Fluten der Seine, aus allen Kneipen tönt
heitere Musik, klingen exotisch-wilde Tanzweisen; die Pforten der Ausstellungshallen
sind geschlossen, Marsfeld und Invalidenesplanade scheinen verödet, nur auf den
Quais und über die Brücken schiebt und drängt sich ein murmelnder Menschen-
strom. Sein Ziel ist der Platz zwischen Eiffelturm und Trocadero, die sanft an-
steigende Strasse, die sich im Fluge mit tausenden von Stühlen bedeckt hat. Fast
im Flüsterton wird die Unterhaltung geführt, in atemloser Spannung erwarten die
Schaulustigen aus allen Teilen der Welt den Augenblick, in dem die Elektrizität
ihre Wunder enthüllen soll. Jetzt flammt es auf, zuerst an den Füssen des Riesen-
turmes, dann schiesst es hinauf bis zu der Spitze, eine Sekunde genügt, um den
ragenden Bau in all seinen herrlichen Linien aus strahlenden Flammen neu er-
stehen zu lassen, wie eine goldene Leiter steigen die Eisenrippen zum Himmel
empor. Bald blitzt es rechts und links, nah und fern auf: der Trocadero schwimmt
in einem Meer von Licht, Kaskaden aus glühendem Gold wälzen sich zu seinen
Füssen über die granitnen Stufen den in hundert Farben schillernden Fontänen
entgegen, die in feenhafter, überwältigender Pracht vor dem Zauberschloss des
Chateau d’eau himmelanschiessen — eine Orgie des Lichts, wie sie berückender
noch nie in die Erscheinung trat. Still
und andächtig folgt das tausendköpfige
Publikum dem unvergesslichen Schau-
spiel, das alles übertrifft, was Märchen-
phantasie je zu erträumen wagte.
Verstummt ist aller Spott, ver-
stummt sind alle hämischen Reden,
was des Tadels wert war, deckt mit-
leidig der Schleier der Nacht, sie mil-
dert die Gegensätze der Nationen, ver-
wischt die Unterschiede der Völker —
in allen Sprachen der Welt erklingt
das Lob der „ville lumiere“ und ihrer
Tochter, der „Grossen Ausstellung“ . . .