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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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r

Kaiserin Friedrich und die Jurist.

[Nachdruck verboten.]

Am 6. Februar 1858 war es, als „Prinzess Vicky“
an der Seite des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preussen
ihren Einzug in Potsdam hielt, jubelnd begrüsst von
einer tausendköpfigen Menge, die bis zum späten Abend
das Marmorpalais umwogte, um noch einmal den Prinzen
und seine schöne, liebliche Gemahlin zu sehen.

Vor wenigen Tagen, nach Jahren der Abwesen-
heit, ist sie wieder eingezogen in die alte Residenz-
stadt der preussischen Könige aber als tote Frau,
um an der Seite ihres edlen hochherzigen Gatten
von einem Leben auszuruhen, das die Wappen-
blumen Englands, welche einst auch ihren Braut-
schleier schmückten, die Rose, das Kleeblatt und
die Distel, treffend symbolisieren.

Ueber ihr Wesen lag ein sonnig heller, ein
farbenfroher warmer Reiz ausgegossen, ein zarter
sinniger Duft voll Poesie und erquickender Frische
ging von ihr wie von der Königin der Blumen
aus. Glückverheissend und nutzbringend wie der
Klee war ihr Wirken im Hause als Herrscherin
über Tausende, als Wohlthäterin der Armen und
Bedrängten, als Förderin der Künste und Wissen-
schaften. Und dennoch schloss den Kranz ihres
Lebens in scharfer stachliger Tragik die Distel
ab. Sie sah trotz zärtlichster Pflege, hingehendster
Liebe den kaiserlichen Gatten in einem Alter, da
ihn, den Weitschauenden, rastlos auf das Wohl
seiner Unterthanen Bedachten, noch grosse Pläne
■ beschäftigten und sein Geist noch die volle Spann-
kraft besass, sie auszuführen, einer tückischen
Krankheit erliegen. Der Tod entriss ihr Brüder,
Schwestern, die Mutter und endlich musste sie
selber mit ihm einen langen schmerzlichen Kampf
: \ Bk bestehen.

Das Volk wird lange noch zu erzählen wissen,

^^kvie die Hingebung und Liebe zum Gatten, die
ÄLefsr;* ifepfern.le Pflege, die aufmerksamste mütter-
Me Erziehung der Kinder, diese Herrscherin
/n Vorbild des echten deutschen Weibes machten.
WW’nBP ^ fragte sie nach fürstlichen Traditionen, nach
^' tikctte, wenn es galt die Kinder selbst zu
■F Häb-n, ihre Spiele, ihr geistiges Gedeihen zu
iibei-achen, bei Krankheit ihre bcsfe Pflegerin
j zu Sln. Die Gutsherrin von Bornstedt, die

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eigen waren. Schon als Sechszehnjährige hatte sie gründ-
lich die englische Litteratur studiert. Ganze Scenen aus
den bekanntesten Shakespeareschen Dramen wusste sie
auswendig und für Byrons Lyrik schwärmte sie; sie hatte
die Werke der bedeutendsten Belletristen gelesen und
doch dabei auch die philosophischen Strömungen ihrer
Zeit aufmerksam verfolgt. Am meisten neigte ihr Kunst-
interesse der Malerei und Plastik zu. Schon bei dem

ihrem hohen Verlobten entgegenbrachte. Die Malkunst

der Fürstin wurde reifer, als Meister wie Angeli, Menzel
und ganz besonders Anton v. Werner sie in die Ge-
heimnisse ihres Könnens und Schaffens einweihten. Die
Kronprinzessin war oft und gern bei Anton v. Werner
zu Gaste. Es war ihr ein Bedürfnis in dem anregenden
Kreise von Malern, denen sich auch Gelehrte und Künstler

Meinung mit Gegen-

der lr

auf andern Gebieten zugesellten,

meinung zu messen. Oft war auch der Kronprinz
da. Der Zwang der höfischen Etikette wurde bei

rsorge für ihre Leute unermüdlich, bei
jedem Unglück mit Rat und That zur Hand
war, Lr für ein neues Schulhaus, dort für
eine K.Jerbewahranstalt sorgte, wird in der
Ueberlietrung VOn Mund zu Mund, von Herz
zum Iieimn noch lange fortleben. Und in der
grossen Gschichte des Vaterlandes ist ein wich-
tiges Bl^*’f dem Aufrufe der Kronprinzessin Victoria
gewidmet, de .sie bei Beginn des deutsch-französischen
Krieges an de deutschen Frauen erliess, sich der
Pflege der Verwundeten nach Kräften anzunehmen.
Spricht man jedccl. von dem Ringen der Frauen nach
Selbständigkeit und geistiger Gleichberechtigung mit
dem Mann, so darf auch auf diesem Gebiete Kaiserin
Friedrich als Mtempferin der Emancipation des
Weibes im edf^^R Sinne nicht vergessen werden.
Denn das Victor^^yceum, der Lette-Verein, das Pesta-
lozzihaus, der Verein für häusliche Gesundheitspflege,
das Heimathaus für 1

Kaiserin Friedrich.

Voigt, Homburg, phot.

Kinde offenbarte sich ein mehr als gewöhnliches Talent.
In den Sammlungen des Königs Eduard finden sich
Zeichnungen aus dem 12. und 13. Lebensjahre der Prin-
zessin. Sie versuchte damals einige Freundinnen zu
porträtieren. Wenn auch die nur skizzenhaft gehaltenen
Bilder die Personen nicht gleich erkennen lassen, so
sind doch die Technik und der künstlerische Ernst der
Anlage ehrende Zeugnisse ihrer Begabung. Aus der
Brautzeit der Prinzessin sprechen mehrere sehr gelungene
Versuche, den Bräutigam zu zeichnen von der innigen,
fast schwärmerischen Neigung, die Prinzess „Vicky“

solchen kleinen Künstlerfesten ganz ausser acht ge-
lassen. Einzig in seiner Fröhlichkeit war das Tauf-
fest, als die Kronprinzessin eins der Wernerschen
Kinder als Pathin über die Taufe 'gehalten hatte.

Nicht das Porträt, die Historienmalerei allein
befriedigten den Schönheitssinn der hohen Frau,
auch Farben und Linien der freien Natur wollte
sie wiedergeben. Hier wurde/ der Hamburger
Lutteroth ihr Lehrmeister und manches der vielen
Bildchen, welche die Kronprinzessin und spätere
Kaiserin für wohlthätige Zwecke schuf, zeugt
von ihrer Kraft, Beobachtetes stimmungsvoll
wiederzuschaffen. Von der Malerei wandte sie
sich der Bildhauerei zu und Reinhold Begas
wurde ihr Lehrmeister. Nicht lange dauerte es, so
hatte sie auch das Wesen dieser Kunst ergründet,
der sie noch bis zu den letzten Monaten vor
ihrem Tode treu blieb. Viele der von ihr ge-
schaffenen Statuen und Büsten, der Reliefs aus
der deutschen und englischen Geschichte bleiben
auch dann noch wahre Kunstwerke, wenn sie nicht
aus der Hand einer Kaiserin hervorgegangen \yären.

Bei ihrem scharf ausgeprägten Sinn* und
feinem Blick für das Schöne, bei ihrem so tiefen
Wissen von Geschichte und Wesen der künst-
lerischen Produktion und ihrer Hauptvertreter
machte sich der Einfluss der hohen Frau auf alle
Zweige der deutschen Kunst bemerkbar. Sie
und ihr Gemahl förderten die Ausgrabungen
zu Olympia, sie schufen der neueren Malerei, im
Gegensatz zu der klassischen und älteren, in der
Nationalgalerie eine Heimstätte und das im Bau
begriffene Kaiser Friedrich-Museum ist zum Teil
auch auf den Wunsch der Kaiserin Friedrich zu-
rückzuführen, den der Sohn bereitwilligst erfüllt
Das Kunstgewerbe darf der nunmehr verstorber ej
Fürstin seine neue Blütezeit mit verdanken. Sil
war es, die ihr künstlerisches Können in de:
Dienst des Gewerbes stellte und den empfindliche
stolzen Künstlern mit gutem Beispiel voran
ging, indem sie selbst manche Vorlagen fü
Stickereien, Gefässe, Schnitzereien schuf, die nocl
heute einen Schatz des Berliner Kunstgewerbe
Museums bilden.

Anderen und sich selbst zur Freude lebte und
webte sie in der künstlerischen Idealwelt, und als sie
sich zurückzog aus dem grossen Wirkungskreise, da
schuf sie sich aus ihrem Besitztume Friedrichshof einen
Tempel der liebevollen Erinnerung an ihren heiss-
geliebten Gemahl, an die glücklichsten Zeiten ihres
Zusammenlebens mit ihm in einem Schlosse, welches
die ganze Seele einer ernsten, weihevollen Kunst atmet.
Der königliche Hofbaurat Ihne hat es in ihrem Geiste
und nach ihren Angaben gebaut. Seine Bauart vereinigt
den maassgebenden Stil der Rhein- und Mainebene

mit dem des unteren

höhere Töchter, das
Feierabendhaus für
Lehrerinnen und das
Victoriahaus — sämt-
lich Anstalten, denen
sie ihre werkthätige
Unterstützung lieh .—
chen beredt für
rr eifriges Bestreben,
le Frau mit allen
Waffen für den Kampf
um das tägliche Brot
auszurüsten.

Die Charakteristik
jtlieser edlen Fürstin,
^Gattin und Mutter ge-
winnt für den feinen
Menschenkenner auch
ohne viel patriotische
Schwärmerei an Ori-
ginalität und Seelen-
grösse durch die Ehr-
furcht, das ernste, tiefe
Verständnis für alle

LZweige der Kunst, die
dieser seltenen Frau

-

Neckarthals und der
Wetterau. Taunus-
quarzit ist das Material
der Mauern, für deren
Schmuck bayerischer
Sandstein und rheini-
scher Basalt verwandt
wurden. In diesem Bau,
von herrlichen Park-
anlagen umschlossen,
hatte die einsame Frau
alle die grossen und
kleinen Schätze der
Erinnerung und Liebe
aufgespeichert, mit
künstlerischem Sinn
geordnet und lebte
mitten unter ihnen
mehr der Vergangen-
heit als der Gegen-
wart bis die tückische \
Krankheit sie auf das
lange Schmerzenslager
warf, von dem der
Tod sie endlich er-
löst hat. Eug.Neisser

Schloss Friedrichshof bei Cronberg.

Voigt, Homburg, phot.

XV. 26. B.
 
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