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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Prasch, Alois: Das Theater auf der Pariser Weltausstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0131

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54

MODERNE KUNST.

Scenenbild aus „La Main“ von LI. Bereny.

2)as "jheaier au/ der pariser V^ltaussiellung(

H. Bereny.

Von Aloys Prasch.

[Schluss.] *'-

jein Begleiter hatte beim Eintritt in das
Theätre des auteurs gais mir das Ver-
sprechen abgenommen, keinen Blick in das Pro-
gramm zu werfen. Jetzt richtete er das Ersuchen
an mich, ich möchte nicht nach dem Orchester
meine Blicke richten, sonst könne ich mich Um-
sehen, wo und wie es mir beliebe.

„Nein,“ lachte ich. „Was Sie alles für Be-
dingungen an diese Vorstellung knüpfen!“

„Wir Franzosen,“ rief Mortier, „sind nun ein-
mal in Euren Augen drollige Geschöpfe. Ihr
müsst uns hinnehmen mit unsern Vorzügen und
unsern Fehlern, sonst wird zwischen uns beiden
Nachbarvölkern niemals eine vernünftige Vereini-
gung möglich sein! Nun können Sie sich um-
drehen und auch den Kapellmeister, der gleich-
zeitig den Klavierpart übernommen hat, und neben-
bei der Komponist des Werkes ist, beaugapfeln.“

An dem Orchester war nun nicht viel zu
erblicken. Am Klavier sass ein anscheinend noch
junger, schlanker Mann mit üppigem Haar, der eben das Zeichen zum Beginn
gab. Neben ihm ein Harmonium. Auf der andern Seite zwei Geiger. Nicht mehr
als drei Musiker. Das war das ganze Orchester. Nach einer kurzen Introduktion
geht der Vorhang in die Höhe, und die Handlung von „La Main“ beginnt,

Wir erblicken das Boudoir einer Tänzerin. Die Ausstattung lässt alles
zu wünschen übrig. Die ganze Bühne kann mit acht Schritten der
Breite und Tiefe nach abgemessen werden. Es ist ganz dunkel
auf der Bühne. Durch das einzige Fenster des Zimmers wirft
der Mond sein fahles Licht. Es schlägt 12 Uhr. Der Cam-
brioleur, von Severin, der in Berlin durch seinen Marchand
d’habits bestens bekannt ist, trefflich dargestellt, steigt mit
einer Blendlaterne vorsichtig herumleuchtend durch das
Fenster ins Zimmer. Leise schleicht er auf den Zehen
umher und prüft die einzelnen Möbelstücke. Es gelingt
ihm, einen Schrank zu öffnen. Aber o weh! Welche
Enttäuschung! Bänder, gemachte Blumen, falsche Haare
bilden den Inhalt der einzelnen Schubladen. „Hinter
dem Vorhang muss das Bett sein. Dort schläft der Eigen-
tümer des Zimmers, und ihn will ich mundtot machen, ehe
ich von neuem ans Werk gehe!“ Der Cambrioleur streift
die Rockärmel zurück, schlägt die Portiere auseinander und will
sich auf sein Opfer stürzen. Das Bett ist leer. Der Eigentümer der

[Nachdruck verboten.]

Wohnung ist noch nicht zu
Hause. Wo mag er wohl sein?

Der Blick des Gauners fällt
auf ein Oelgemälde, das eine
Dame vom Ballet im Tanz-
kostüm darstellt. „Ah, eine
Künstlerin! Um so besser!

Wenn sie jung und hübsch
ist, so wird es mich freuen,
nicht nur die Bekanntschaft
ihrer Juwelen und Diamanten,
sondern auch ihrer Persönlich-
keit zu machen. Einstweilen
aber will ich forschen, wo
die ersteren verborgen sind.“

Der Dieb macht sich wieder-
um an die Arbeit. Verge-
bens versucht er verschiedene
Schlüssel. Mit Hilfe eines
Wachsabdrucks hat er endlich
den richtigen Dietrich gefun-
den. Da ertönen Schritte auf
der Treppe. „Die Tänzerin

kommt nach Haus. Verdammt!“ Es bleibt dem Dieb nichts anderes übrig,
als das Feld zu räumen und sich hinter einer Portiere zu verstecken.
— Vivette, die Tänzerin, kommt am Arme des Barons. Vergebens
bittet der Baron, sie möge ihm noch ein Plauderstündchen
schenken. Sie erwidert, dass sie gerne seine Begleitung an-
genommen, ihn aber nunmehr bitten müsse, sie allein zu
lassen. Es ist spät in der Nacht und Zeit, schlafen zu
gehen. Vergebens wendet der Baron alle möglichen Ver-
führungskünste an. Vergebens zieht er einen Brillant-
schmuck aus der Tasche, um die junge Künstlerin will-
fähriger zu machen. „Ich brauche Ihre Juwelen nicht
Bitte, sehen Sie selbst, dass ich genug solchen Krims-
krams habe.“ Mit diesen Worten öffnet Vivette die Schub-
lade eines Tischchens und zeigt ihre Schätze. Die Por-
tiere schiebt sich zurück, und der Cambrioleur verschlingt
mit gierigen Augen die ihm bald zufallende Beute. „Kann
ich denn gar nichts für Sie thun? Kann ich nicht mehr für
Sie sein, als ein Mann, der Ihnen bei schlechtem Wetter seine Be-
gleitung anbietet?“ Nach einigem Nachdenken erwidert die Tänzerin

Frau Charlotte Wiehe.

Scenenbild aus „La Main“ von LI. Bereny.
 
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