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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Heigel, Karl von: Brummells Glück und Ende, [9]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0705

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MODERNE KUNST.

heute dem Küchenmeister Dessins zur Hand.“ Brummei hatte vormittags seinen
früheren Diener im Gasthause getroffen. Der Franzose hatte wie sein Vor-
gänger Robinson seine Ersparnisse in Wein und Delikatessen angelegt und lieh
nur heute und freiwillig, zum Ruhme Frankreichs dem bedrängten Gastwirt
seine Dienste.

„Selegue hat manches von mir gelernt“, fuhr Brummeil fort; „Ihr werdet
heute Nacht einen Punsch trinken, wie ich ihn in Carlton-House zu brauen pflegte.
Und der Maraschino drin ist aus meinem Keller.“ Das war richtig, Brummeil
hatte seine letzte Flasche eines vorzüglichen Maraschino dem Gastwirt über-
liefert. — ,Alles für den König!*

„Bravo, Brumm! Ich halte jede Wette, unser Allergnädigster erräts, nach
wessen Rezept der Punsch gebraut ist, und wenn alles nach meinen Wünschen
geht, schliesst der König Frieden mit Ihnen. Und wir feiern ein fröhliches
Wiedersehen in London.“

„Alvanley, Ihnen will ichs gestehen: Es wäre mir — sehr — es wäre mir
lieb. Ich schreibe mich jedenfalls ein, doch um eine Audienz bitten — wie?
das geht nicht!?“

„Ja nicht! Damit wäre alles verschüttet. Majestät muss anfangen. Der
König hat Sie gesehen — ich weiss es; dann liest er Ihren Namen, und dann
riecht und schmeckt er Ihren Maraschino — ich lasse mich hängen, wenn er
nicht weich wird. Wir alle wollen Ihnen wohl. Erskine hat in solchen Dingen
nicht mitzureden — tluits auch nicht — alter Gentleman! und dem Stänker
Tickell trumpfe ich auf, wenn er muckst!“

Der Beau lächelte — im Schweisse seines Angesichts. „Sie sind ein lieber
Mensch, Alvanley.“

Da klopft es wieder und Jean erschien mit der Einladung, ein Gläschen
von Herrn Leleuxs Aepfelwein zu trinken. Alvanley sprang auf und warf die
Zigarre in den Kamin. „Nach Wind und Wogen Aepfelwein? — Fliehen wir,
Brummeil!“ sagte er auf Englisch. „Ich schlage einen Spaziergang durch Ihre
Residenzstadt vor, und dann — bis vier Uhr bin ich Freiherr — irgendwo einen
Imbiss, ein Dutzend Austern, ein Glas Portwein — ich bin mit allem zufrieden,
wenn Sie mir Gesellschaft leisten, Brumm!“

Jean wurde mit freundlichem Dank zurückgeschickt. Als die Freunde
das Zimmer verliessen, warf Alvanley einen flüchtigen Blick auf die Ein-
richtung. „Auf Boulemöbel und rosenfarbige Kerzen halten Sie noch immer,
Sie Sybarit!“

Auf der Treppe fiel dem Beau ein, dass er seine Dose vergessen. Er eilte
in seine Wohnung zurück. Die Dose war ein Vorwand, er trug sie in der
Tasche; er ging zurück, um wegen des Tabaksrauches in seinem Zimmer ein
Fenster zu öffnen. Dabei zitterten ihm die Hände vor innerster Erregung!

Die Freunde schlenderten durch die Strassen. Alle Welt grösste den Beau.
Welche feine Unterschiede er machte, wenn er dankend den Hut zog oder auch
nur mit der Hand winkte oder nur nickte!

Ein bummelnder Engländer wie Alvanley und Brummeil, doch weniger
anmutend, eilte über den Fahrdamm und strich grüssend an Brummell vorüber,
indem er den Spazierstock an die Hutkrempe drückte und ein Auge zukniff.
Er hatte ein feistes, rotes Gesicht, trug Ohrringe, eine gleissende dicke Uhrkette
und eine Halsbinde von Atlas mit Stickerei und Weinflecken.

„Ein Landsmann“, sagte Alvanley, „früher Gewürzkrämer — Cheaypside,
Colcman-Street oder Finsbury-Square — durch den dritten Bankerott Rentner.“
„Ungefähr stimmts“, versetzte Brummeil. „Vulgärer Mensch!“ Da wurde
er am Rock gezupft. Es war der „vulgäre Mensch“ und mit freundlichem
Grinsen, mit offenbar berechtigter Vertraulichkeit sagte er: „Nicht vergessen,
Brummei, um vier Uhr Gänsebraten! um vier Uhr Gänsebraten!“

„Ja, wenn Sie solche Genüsse erwarten —!“ rief Alvanley belustigt. Obwohl
Brummell lachte, war es für den „Vulgären“ doch gut, dass Wünsche nicht
Thaten sind. „Indiskreter Kerl!“ sprach er. „Was wollen Sie, Alvanley! Der
Mann ist ein Knote, immerhin ein Landsmann. Meine alten Bekannten sah ich
nur hin und wieder, nur auf Stunden, und das Jahr ist lang . . . .“

Alvanley lachte auch, doch der kleine Vorgang zeigte ihm mit eins die wahre
Lage Brummells. Mylord bedauerte Brummell, doch mit dem Bedauern fängt
die Geringschätzung an . . . Sie kehrten in einer Austernstube ein, assen, tranken
und plauderten, allein der alte herzliche Ton wollte nicht mehr aufkommen.
Und so hell und freundlich die Stube war, für Mylord lag auf Brummell ein
Schatten, und der gebadete, geschniegelte und parfümierte Beau roch ihm nach
Armut. Für Brummell aber schmeckten nicht nur die Austern nach Meerwasser.
Ach, die Prüfungen waren für ihn noch nicht zu Ende. Beim letzten Glase
begann Alvanley: „Nun ja, durch Besuche und die Londoner Zeitungen sind Sie
immer auf dem Laufenden, Eins wird Ihnen doch neu sein: Eine Ihrer vielen

Flammen, Anna Fitzroy, hat sich vorige Woche mit Lord Cardcross, unserem
Fred verlobt. Bei ihrer masslosen Koketterie war es sehr wahrscheinlich, dass
sie sitzen bleiben werde. Auch zeigte sie Anlagen fett zu werden wie Lady
Townshend — Louisa, auch eine Flamme von Ihnen. Doch jetzt ist Anna Fitzroy
wieder schlank — schlank wie ihre Mama und schöner als je und wird in diesem
Winter Lady Cardcross. Sie sehen etwas grau aus, Brummell! Fühlen Sie sich
unwohl? Gargon, die Rechnung! Sapristi, zehn Minuten auf Vier!“

Sobald Brummell wieder zu Hause war, schickte er Jean zu dem Landsmann,

der ihn schon vorgestern und heute wieder zum Gänsebraten eingeladen hatte,
und liess sich wegen plötzlicher Erkrankung entschuldigen. Es däuchte ihm
unmöglich, den kritischen Abend in Gesellschaft zu verbringen. Doch auch
daheim war es unbehaglich. Er nahm ein Buch — die Buchstaben tanzten ihm
vor den Augen; er begann einen Brief, kam jedoch nicht über die Anrede; sogar
zu einer Patience fehlte ihm die Sammlung. Die aussergewöhnliche Unrast
im Herzen der Stadt steigerte seine Pein. Um Neun dröhnte ein Kanonenschuss
von der Citadelle, Trommeln wirbelten, Trompeten schmetterten und in diese
militärische Musik fielen die Kirchenglocken mit dem Angelus ein. Das war
sonst der Uebergang zur zehnstündigen Waffenruhe, wenigstens für die innere
Stadt. Nicht so heute. Das Geräusch der Fusstritte und das Wagengerassel hörte
nicht auf. Und dann brachten die Hornisten der Besatzungstruppen dem könig-
lichen Gaste vor Dessins Hotel ein Ständchen. Sie bliesen drei Stücke, in einem
eiligen Tempo; eine Es-Trompete hatte die Führung. Brummell hörte das Konzert
ganz deutlich. Es erinnerte ihn an seine Dienstzeit in Brighton. Wenn der
Kronprinz in der Offiziersmesse tafelte, widmeten ihm die Trompeter der
10. Llusaren ähnliche Serenaden. Und danach brachte der Oberst und Komman-
deur des Regiments einen Toast auf Seine königliche Hoheit aus, und die Trom-
peten und Hörner bliesen Tusch — wie jetzt! Doch damals war Brummell mit
im Saal, und die Sporen klangen, wenn er aufsprang, um mit seinem Freunde
Lord So und So anzustossen .... Er trat an ein Fenster. Britische und fran-
zösische Matrosen, die im Hafen Brüderschaft getrunken, zogen johlend durch
die Strasse. Vor zehn Jahren haben sich Briten und Franzosen gegenseitig wie
Gift und Tod gehasst — warum? Heute umarmen sie sich — warum? Ein
ewiger Wandel, alles ohne Plan!

Warum soll mein Leben nicht wie ein Lustspiel heiter schliessen!?

Es war Zwei und in den Strassen ganz still geworden, als Brummell zu
Bett ging. Dann jedoch schlief er fest und traumlos und erwachte erst, als Jean
die Schokolade brachte. Auf der Platte lag ein Brief. Sicherlich von Alvanley!
Doch der lästige Zeuge! Brummell legte das Schreiben mit gutgespielter Gleich-
giltigkeit beiseit.

„Was macht Herr Leleux?“

Jean lachte verschmitzt. „Mein Herr war gestern lange aus. Bis heute
früh. Er liegt wie Mr. Brummell noch in den Federn.“

„Ich bin schon lange wach, mein Junge.“

„Dann haben Sie den Lärm ja gehört. Aber ich bin dabei gewesen! Eine
Reihe Kutschen, jede mindestens ein Viererzug, der Wagen mit dem König und
unserm Prinzen sogar mit Achten! Und Vorreiter! und hintenauf die schottischen
Sansculottes! Und sämtliche Postillons bliesen. Die Dienerschaft des Hotels
und das frühe Volk, Bäckerjungen und Grünfrauen, schrieen: Es lebe der König!
aber ich als halber Engländer rief: hip, hip, hurräh! Die Ursache der unver-
hofften Abreise Seiner Majestät ist wie mir schien sogar dem Herrn Oberkellner
unbekannt. Man wollte mir allerlei weismachen, aber ich bin nicht dumm.“
Er schielte nach dem Brief. „Wahrscheinlich steht alles da drin, denn der
Brief kommt aus dem Hotel.“

„Wahrscheinlich“, sagte Brummell, „aber mir eilts nicht.“

„Wenn Herr Leleux ausgeschlafen, kommt er jedenfalls herunter.“

„Eilt mir auch nicht.“

.... Brummell horchte, bis die Thür des Vorzimmers zufiel. Endlich! . . .
Der Umschlag, den er trotz seines Schreckens über die Nachricht, trotz'seiner
Begierde nach Aufklärung in dunkler Ahnung behutsam öffnete, enthielt ein
Schreiben und eine Ilundertpfundnote. Jenes lautete:

Lieber Brummell, noch bei Tisch empfing der König Botschaften aus Deutschland,
worauf er sich sofort nach der Tafel zurückzog. Der Himmel weiss, was für philo-
sophische Ideen den guten Deutschen zu Kopf gestiegen! Sie löcken wider den Stachel.
Es wird so schlimm nicht sein, allein der König nimmt seine Nachrichten sehr ernst
und hat die Abreise schon morgen früh um Sechs befohlen. Ich schreibe Ihnen,
während mein Diener packt. So haben uns die vertrackten Teutonen um den Maras-
chinopunsch gebracht und unsere schönen Pläne für Sie vereitelt. Die Zeichen waren
günstig, da Majestät kurz vor der Tafel gegen Armstrong Ihrer abermals erwähnte.
Leider geht die Rückreise über Rotterdam. Dc.h geh ich die Hoffnung rächt ruf
Phönix Brummell in London zu begrüssen.

Ueber die Wendung verdricsslich, für den heiteren Nachmittag Ihnen um so
dankbarer,

Ihr Alvanley.

Brummell sank ächzend und schwer in die Kissen zurück. Wohl ihm, dass
er sich jetzt nicht im Spiegel erblickte! So alt, so verfallen sah er aus.

Endlich richtete er sich auf und betrachtete tiefsinnig die Banknote. ..Hundert
Pfund Schmerzensgeld, wenig! wenig! .... Tausend Franken soll ich Leleux
geben — Sagen wir fünfhundert! — Nach diesem Schicksalsschlag fünfhundert?
Unmöglich! Dreihundert sind auch genug. Wenn Leleux nur Geld sieht —
Dreihundert Franken Leleux. Somit erspare ich zweihundert Franken und kann
mir endlich bei Dabert — Paris, Rue de la Paix — eine Dose — Gold mit
Schmelzmalerei! — bestellen.“

Epilog.

In der freundlichsten Stadt der Nieder-Normandie, in Caen kam an einem
wetterschwülen Augusttage ein englisches Ehepaar an, vornehme Leute mit
eignem Wagen, Dienerschaft und grossem Gepäck, auf der Fahrt von Paris nach
 
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