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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0417
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Das Leiblhaus in Kutterling.

Die Kunde, die vor kurzem durch die Zeitungen ging,
daß das Leiblhaus in Kutterling bedroht sei, hat die Auf-
merksamkeit wiederum auf diesen eigenartigen Wohnsitz
eines unserer bedeutendsten Maler des 19. Jahrhunderts
gelenkt. Wie nur ganz wenige Künstler der Weltgeschichte
hat sich Leibl seiner Kunst zuliebe von dem lauten Tages-
treiben ständig in die Stille der Natur zurückgezogen,
um die oberbayrischen Bauern gleichsam mit dem
Erdreich, in dem ihre Wurzeln stecken, zu erfassen.
Glücklicherweise braucht man um das Leiblhaus in Kutter-
ling keine Sorge mehr zu haben: sein Erhalt ist ge-
sichert. — Wie prächtig echt bäurisch und bayrisch machl
sich dieses von Bäumen umgebene Häuschen, dessen
Lage Georg Gronau in seiner Leibibiographie aufs an-
schaulichste schildert: „Kutterling, Leibls letzter Wohn-
ort“, so heißt es dort, „setzt sich aus einigen Dorfhäusern
zusammen. Die Bevölkerung des Ortes zählt wenig
mehr als 50 Köpfe. Mitten in grünenden Wiesen, die
im Frühjahr wie ein Teppich mit Blumen dicht bestanden
sind, unter Bäumen liegt das Haus: in geringer Entfernung
hier und da aus dem Grün schauen die andern Häuser
hervor. Ueber den weißen Wänden läuft der Altan herum,
mit blühenden Pflanzen geschmückt; unter dem Dach
haben sich Schwalben angesiedelt. So behaglich, wie
von draußen, sieht Leibls Wohnhaus innen aus: die Dielen
und die Holzdecken sind gebräunt; Holzbänke ziehen
sich um dieWände; ein großer Kachelofen springt weit
vor; die alten Schränke zeigen primitive Bemalung, so
wie sie Jahrhunderte währende Tradition überliefert
haben mag. Durch die Fenster gewahrt man überall
das helle Grün, Wiesen und Obstbäume; dazwischen
hindurch die blauenden Linien der sich weitenden Land-
schaft.“ Von diesem Hause und der üppigen Gebirgs-
natur herum wissen die Bilder Leibls und ebenso die
seines Freundes Sperl immer wieder zu berichten. Hier-
her hatte sich Leibl zurückgezogen, da ihm sein erster
ländlicher Wohnsitz in Aibling am Ammersee noch zu
sehr an der Heerstraße zu liegen schien. Denn um nach
Kutterling zu gelangen, muß man erst durch Wiesen
seinen Weg suchen. Flier malte er mit unverdrossenem
Fleiß seine Meisterwerke, oder er schritt, die Büchse in
der Hand, auf die Jagd. Von dieser Epoche, die den
Namen Kutterling berühmt gemacht hat, bleibt das
Leiblhaus ein lebendiges Zeugnis, ebenso wie auch sein
Atelier und Wohnhaus in Aibling erhalten ist. R. O.

Reinekes Toilette.

Aus den Burgen Meister Reinekes wird alljährlich
zur Frühjahrszeit eine große Anzahl Jungfüchse ausge-
graben, von denen viele von Tierfreunden groß gezogen
werden. Auf den Bauerngehöften findet man hier und
da einen dieser bedauernswerten Roten vor der Hunde-
hütte an der Kette liegen, er verbringt hier in steter
Sehnsucht nach Freiheit ein trostloses Dasein und wird
niemals zahm, sondern bleibt immer der mißtrauische,
scheue Geselle, dessen einziges Trachten danach steht,
bei Gelegenheit seine Raubgier an den Hühnern des
Hofes zu betätigen. Ganz
anders aber entwickelt sich
der Jungfuchs, wenn er in
stetem Verkehr mit den
Menschen mit Sorgfalt und
Kenntnis erzogen wird. Die
anfängliche Scheu verliert
sich sehr bald, und es gibt
dann keinen lustigeren
Spielkameraden, als den
jungen Rotrock. Immer ist
er zum Tollen und Umher-
springen, Haschen und Ver-
steckspielen aufgelegt, er
läßt sich anfassen und strei-
cheln und niemals macht
er seinem Pfleger gegen-
über von seinem nadel-
scharfen Gebiß Gebrauch.

Er gewöhnt sich auch in
der Nahrung an alles, was
auf den Tisch seines Herrn
kommt, und es ist durchaus
nicht nötig, ihn nur mit
Fleisch zu ernähren, es ist
ihm sogar viel dienlicher,
wenn er gemischte Kost er-
hält. Besondere Sorgfalt
muß aber der Pfleger auf
dieToilette seines Lieblings
verwenden, vor allem muß
der schöne, langhaarige Pelz
immer sauber und glatt ge-
halten werden, und wenn
sich Reineke auch zuerst
nicht recht an das Kämmen
und Bürsten gewöhnen will,
schließlich läüt er es doch

geduldig über sich ergehen, wie es unsere Abbildung
vorführt. In solchem gepflegtem Zustande sieht der rote
Bursche schmuck genug aus, so daß sich sein Herr wohl
mit diesem Ilausfreunde sehen lassen kann. Dr. St.

Berliner F\onzerfsaison.

(I. Vierteljahrsbericht.)

Diesmal trieb es Polyhymnia noch viel ärger als
sonst mit uns. Und das kam so: Ein neues sehr rüh-
riges Konzertbureau, Emil Gutmann, hat sein Domizil

Reinekes Toilette.

von München nach Berlin verlegt, und nicht nur alle
verfügbaren Säle der Residenz an den einzelnen Abenden
in Beschlag genommen, sondern auch neue große Extra-
konzerte verdanken wir ihm. Zunächst einmal die so-
genannten Trutzkonzerte in Fürstenwalde, außerhalb der
Felix Weingartner gezogenen Bannzone. Viermal
pilgerten die Berliner nach dem bekannten Vorort Berlins,
um dort einen Stabmeister allererster Ordnung Beet-
hoven dirigieren zu sehen und zu hören. Das waren
in der Tat Genüsse seltenster Art; denn einmal ist
Weingartner der geborene Beethoveninterpret, und
dann verstand er aus dem Blüthnerorchester mit jeweils

zwei Proben Dinge herauszuholen, die ein anderer nicht
mit vier Proben erreichen würde. Darin zeigte sich
eben sein Genie, daß er mit einem durch die Umstände
— der größere Stamm der Kapelle ging in das Char-
lottenburger Opernhaus über — neu arrangierten und
deshalb gar nicht eingespielten Orchester, diese unbe-
streitbaren Wunderdinge vollbringen konnte. Die neun
Sinfonien Beethovens in seiner Darstellung werden als
quasi authentische Interpretation unvergeßlich bleiben.

Den Hauptrang unter den sinfonischen Darbietungen
nehmen nach wie vor die Konzerte der Königlichen
Kapelle (Dr. Richard Strauß) und die großen phil-
harmonischen Abende (Prof. Artur Nikisch) ein.
Strauß ist natürlich der Alte, oder richtiger gesagt, an
Frische der Junge geblieben. Es wird viel über ihn
und seine Stabmethode gesprochen. Gutes und Schlechtes,
aber wenn es darauf ankommt, machts ihm doch keiner
nach; denn Richard Strauß ist nun einmal eine so
gestaltete künstlerische Persönlichkeit, daß er seine
ganz bestimmten Intentionen hat, ja haben muß, und
diese auch selbst in einer vom Hergebrachten ab-
weichenden Form umsetzen darf. Quod licet Jovi, non
licet bovi! Aber gerade das wollen viele nicht ein-
sehen. Überdies hat Strauß bei so mancher Beethoven-
wiedergabe, deren Zeitmaße gewöhnlich die Gemüter
erregen, bewiesen, daß es noch eine andere großzügige
Art gibt, um einen klassischen Meister den Herzen nahe
zu bringen. Novitätenreich war dieses erste Vierteljahr
kaum, denn das I. Konzert (am 18. Oktoberj war her-
kömmlich den Klassikern Haydn, Mozart, Beethoven ge-
widmet, und es folgten weiterhin an modernen Werken
die schön gearbeitete Lustspielouvertüre von Paul
Scheinpflug, die satt und angenehm klingende „Wald-
wanderung“ von Leo Blech, Tschaikowskis „Romdo et
Juliette“, die E-dur-Sinfonie Bruckners, Strauß’ „Don
Quichote-Variationen“. Alles andere wurde von den hc-
kannten alten Meistern bestritten. Erwähnt sei nur noch,
daß am 20. Dezember im Beethovenkonzert, das zu
dieser Zeit traditionell ist, der neue Konzertmeister Leo
Premyslav das Violinkonzert ganz vortrefflich vor-
getragen hat.

Die Nikischkonzerte erfreuen sich andauernder Be-
liebtheit mit Recht; denn dieser feinnervigste unserer
Dirigenten ist au fait wie nur jemals. Was man von
gewisser Seite gegen ihn spricht, von Ermüdung usw.,
kann nur als große Reklame für ihn dienen, voraus-
gesetzt, daß überhaupt ein Meister vom Range eines
Nikisch solcher Mittel noch bedarf. In Wahrheit liegt
es umgekehrt. Nikisch ist in diesem Semester bei Novi-
täten wagemutiger als früher. Mochte auch das eine
oder das andere Werk einmal nicht einschlagen, dank-
bar muß ihm die Zentrale des deutschen Musiklebens
auf alle Fälle sein, daß er nicht, müfiig die Hände in
den Schoß legend, bequem auf den alten Paradepferden
herumreitet, sondern bedacht ist, die Berliner auch mit
der wertvollsten zeitgenössischen Produktion bekannt zu
machen. Ich hörte außer dem wiederaufgenommenen
„Zarathustra“ von Richard Strauß im II. Konzert eine
Ouvertüre zu einem gascognischen Ritterspiel von
Mandl, ein die Absichten der Großsprecherei ganz gut
illustrierendes Orchestergemälde, das nur nicht the-

matisch bedeutend genug
gefaßt ist und in der sonst
sehr geschicktenlnstrumen-
tation allzuviele Klingelei-
effekte bringt. Im Foyer
kursierte der beißende
Witz, daß der Autor kein
„Mann“, sondern eben nur
ein „Mandl“ sei. Na, ganz
so schlimm ist es nicht mit
ihm. Er kann schon immer-
hin viel, genau so wie
Braunfels mit seiner auf
ähnlicher Grundlage be-
ruhenden Karnevalsouver-
türe (III. Konzert), die aber
deswegen nicht sehr be-
deutend erscheint, weil sie
das dem Komponisten vor-
schwebende Bild Richard
Strauß’ denn doch in zu
sklavischer Weise imitiert.
Braunfels wird sicher noch
Eigeneres schaffen. Ganz
eigentümlich steht es um
die Schauspielouvertüre des
16jährigen E.W.Korngold
(V. Konzert). Die musi-
kalische Frühreife dieses
jungen Menschen ist ebenso
erstaunlich wie beängsti-
gend. Man fragt sich: Was
soll nun noch werden? Das
Orchester beherrscht der
junge Korngold bereits jetzt
schon recht gut. Aber eines
kann doch aus ihm hof-
fentiich noch werden: Ein

XXVII. 14. ß.

Das Leiblhaus in Kutterling.

Phot. H. A. Joos, Aibling.
 
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