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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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17. Heft
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Skribanowitz, Theodor: Peter Behrens' Deutsches Botschaftspalais in St. Petersburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0497

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214

MODERNK KUNST.


gab für Petersburg jene Orundtöne an,
und die Formel „groß und schlicht"
hat in der Hauptsache aucli wirklich das
Stadtbild bestimmt. Sie ldingt durch in
den breiten, geraden, fast stets auf ein
point de vue gerichteten Straßen, in den
als Straßenwandungen sehr geschlossen
utid flächig wirkenden Fassaden der
Reihenhäuser, in den weiträumigen,
offenen Plätzen, in den auf große Linien
und klare Gliederung gestellten Monu-
mentalbauten. In diesen städtebaulichen
Qrundakkord fügt sich auch die neue
Schöpfung Peter Behrens’ ein.

Das Gebäude der deutschen Botschaft
bildet die Ecke des Isaaksplatzes und
der Morskaja-(See-)Straße. Seine Haupt-
fassade ist dem Platz zugekehrt.

DieserPlatz — derTeil einesgrößeren
Raumganzen — hat den ausgeprägten
Charakter eines Vorplatzes, dessen be-
herrschender Bau die Isaakskirche ist.

Dank der Schrägstellung seiner Ostwand
wächst er in die Breite, je mehr er sich
der Kirche nähert: seine Wände scheinen
vor dem ernsten Riesenbau, dessen gra-
nitne Massen freien Spielraum brauchen,
respektvoll zuriickzuweichen. Eine Wir-
kung, wie sie mit gleichen Mitteln
Michelangelo bei der Anlage der Piazza

del Campidoglio in Rom anstrebte, ist hier als neu gelungen zu betrachten.

Diesem ausgesprochenen Charakter des Platzes ordnet sich die Fassade des
Botschaftsgebäudes genügend unter. Zusammen mit der Nachbarfront des alten
schönen Monferrandschen Hauses bildet sie die Westwand des Platzes. Mit feinem
Takt ist die Einheit dieser Wand gewahrt worden. Trotzdem baupolizeilich bei der
Breite des Platzes eine bedeutendere Höhe zulässig gewesen wäre, ist die mäßige
Höhe des Nebenhauses nicht überschritten und so die Blockeinheit der beiden Häuser
zu starker kubischer Wirkung gesteigert worden. Die Wandeinheit mit der Neben-
front, die durch ihre vornehme Geschlossenheit wirkt, war aber auch in der Be-
handlung der Fassadenfläche des Neubaues durchzuführen. Wie Peter Behrens dieses
gelungen ist, wie er es zustande gebracht, trotz der vierzehn starken durch alle drei
Geschosse reichenden dorischen Hälbsäulen, der Fassade den Eindruck ruhiger Fiächig-
keit und Ebenheit zu geben und sie so in ein Ensemble mit der Nachbarfassade
harmonisch hineinzustimmcn — das zeugt von einem eminenten Feingefühl für das
Zusammenspiel aller architektonischer Faktoren. Gerade indem Behrens nicht mit drei
oder vier Säulen die Fassade irgendwie „schmückte", sondern vierzehn Halbsäulen in
ganz gleichen Abständen aneinanderreihte und sie mit zwei gleich tiefen Pilastern
und dem Architrav umrahmte, — ließ er sie gleichsam zu einer neuen vorgelagerten
Fläche zusanrmenklingen; und
diese Fläche bildet nun die
eigentliche Platzwand. Nicht
springen die Säulen vor —
man beachte, wie auch die
drei Balkons nicht aus der
Fläche heraustreten, sondern
zwischen den Säulen stecken
bleiben —, aber die Fenster-
flächen treten dafiir zurück.

Die engsprossige Fenstertei-
lung ist unverständigerweise
viel bespöttelt worden, ja man
meinte, es hätten ungeteilte
Spiegelscheiben in die Fenster-
öffnungen eingesetzt werden
sollen. Wäre das geschehen,
so hätten die Fensteröffnungen
wie große leere Löcher ge-
wirkt und den geschlossenen,
festen Charakter der Fassade
zerstört.

Wie die kleinen Fenster-
kreuze, so dient auch die Ver-
gitterung im untersten Stock-
werk — die, nebenbei bemerkt,
in den Palazzi Pitti, Medici,

Strozzi u. a. edelste Vorbilder
hat — zur Verstärkung und
Betonung des geschilderten
Grundcharakters der Fassade.




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Die deutsche Botschaft zu St. Petersburg: Thronsaal.

Ohne eigner Individualität bar zu sein, wächst so die Fassade des deutschen Bot-
schaftspalais mit der Frontfläche des Nebenhauses zu einer einheitlichen Wand
zusammen, die im iibergeordneten Ganzen des Piatzes die Aufgabe hat, den Raum
nach Westen zu schließen und, ohne die Blicke auf sich abzulenken, dem alles über-
ragenden Isaaksdom Rahmen und Folie zu sein.

Schließli.ch ist vom städtebau-ästhetischen Standpunkt noch die schlichte, winkel-
strenge Gestaltung der Hausecke zu rühmen. Sie ist von höchster Bedeutung für die
Raumeinheit der Morskaja, die vom Isaaks- und Marienplatz in zwei sehr ungleich-
artige Straßenhälften gespalten wird. Eine Abrundung der Ecke, wie das leider beim
Neubau an der Ostseite geschehen ist, oder eine stärkere ornamentale Hervorhebung
würde den ruhigen Fluß des Straßenzttges an dieser Stelle aufhalten, wiirde die seine
Einheit gefährdende Unterbrechung noch betonen. Jetzt hilft die Bofschaftsecke den
präzisen Zusammenschluß der beiden Straßenhälften fiir das Auge der Passanten her-
zustellen, die Fortdauer der Straße über den Platz hinaus sichtbar zu machen.

Zeigt so der Botschaftsbau alle Vorzüge taktvoller Einfügung in ein gegebenes
Bautenensemble, so ist er dennoch von starker eigner Individualität. Gerade die hier
erreichte Verschmelzung der scheinbar entgegengesetzten Tendenzen: Einordnung in
ein bestimmtes Städtebild und Behauptung selbständigen kiinstlerischen Wertes — ist

eine Leistung ersten Ranges!

Es ist bekannt, daß die
sekundären Faktoren der ästhe-
tischen Genüsse, die wachge-
rufenen Assoziationen, gerade
im Genießen architektonischer
Kunstwerke (wie in derMusik)
eine bedeulsame Rolle spieleti.
Bei der Betrachtung des
Botschaftsgebäudes als eines
Ganzen auf seine Gesamt-
wirkung hin werden Ideen-
verbindungen stärkster Wir-
kung lebeudig.

Der Betrachter gewinnt
den Eindruck von etwas Mäch-
tigem, Ernstem, Starkem und
Stolzem. Die klaren, unkom-
pliziertenLinien derSilhouette,
die monumentale Einförmig-
keit der Gliederungen, das
ruhige Gleichgewicht der hori-
zontalen und vertikalen Kräfte,
die markigen Säulen, endlich
das harte, kernige Material —
roter finnischer Granit —
alle diese Faktoren, erzwingen
in jedem Betrachter den er-
wähnten allgemeinen Ein-
druck. DiesichtbareZerteilung
des Gebäudes in Bureauhaus

Die deutsche Botschaft zu St. Petersburg: Teezimmer,
Phot. Ernst Wasjnuth A. G., Eerlin.
 
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