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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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19. Heft
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Pastor, Willy: Richard Wagner und die Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0575
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245

=» Richard Wagner und die Natur.

Von Willy Pastor.

ujScäfrst mit dem «Fliegenden Holländer" setzt die fiir das gesamte deutsche Volk
(nicht nur die städtischen Theatergänger) bedeutsame Lebensarbeit Richard
Wagners ein. Über die Vorgeschichte dieses Werkes hat Wagner selbst uns
unterrichtet. Am Anfang steht ein gewaltiger Natureindruck. Während einer
verzweifelten Sturmfahrt durch das Skagerrak wird in Wagners Erinnerung die Sage
vom fliegenden Holländer wieder lebendig, jene diistere Gestalt, in der sich fiir
die nordische Phantasie alle Schrecknisse des Meeres verdichten. Das unmittelbare
Mitleben mit der Natur läßt im Geiste des Künstlers die alte Sage eine ganz „be-
stimmte poetisch-musikalische Farbe gewinnen", und der Eindruck war stark genug,
um nocli nach Jahren bei der Ausfiihrung des Werkes vorzuhalten. Bis auf Kleinig-
keiten sogar. Bei der endlichen Annäherung an das Land hörte Wagner mit „un-
säglichem Wohlgefühl", wie das Echo der Granitwände einen kurzen, scharf rhyth-
misierten Schiffsruf der Mannsehaft wiederholte; er gab ihn getreulich bei der Sturm-
schilderung im ersten Akt wieder und formte ihn für die Hafenszene des Schlußaktes
um zum Thema des Matrosenliedes.

Es kann keinen, der mit germanischer Kunst und Kultur vertraut ist, irgend
wundernehmen, daß es gerade ein starker Natureindruck sein sollte, der den eigent-
lichen Künstler in Wagner zum Leben rief. Alle germanische Kunst wurzelt. tief in
der Natur, sie ist pantheistisch im weitesten, Sinne. Unsere Mystiker sind solche
Pantheisten gewesen, Iange bevor die Berufsphilosophen aus dieser Erkenntnis ein
System bereiteten. Die deut-
sche Mystik selbst ist wieder-
um Geist desselben Geistes,
der in unseren Legenden und
Märchen,Sagen undBalladen
lebt. Aus einem leidenschaft-
hch starken Miterleben mit
der Natur und ihren Gezeiten
hai ferner unser Volk seinen
uralten Festen Charakter und
Bedeutung geben können.

Aus derartigen Festen aber
hervorgegangen sind die Ur-
gestaiten unserer Poesie,
deren Wesen und Schicksal
beseelt scheint vom Atem der
freien Natur.

Volksbücher solcher Art,
die man verdichtete Natur
nennen könnte, sind es ge-
wesen, denen Wagner die
Anregungzu seinen nächsten
beiden Werken verdankt:

„Tannhäuser" und „Lohen-
grin". Es ist ergreifend, von
dem Heimweh zu lesen, das
Wagner in Paris beim Lesen
derTannhäusersage iiberfällt.

Auf der Rückreise nach
Deutschland strömt ihm bcim
Anblick der Wartburg neue
Gestaltungskraft zu. In der
freien Natur dann skizziert er
das Ganze. Er weilt längere
Zeit in der Nähe des roman-
tischen Schreckensteins bei
Aussig. „Bei einer Bestei-
gung der Wostrei“, erzählt
er in seiner großen Bio-
graphie, „überraschte mich
beim Umbiegen um eine
Talecke die lustige Tanz-
weise, welche ein Hirte, auf
eine Anliöhe gelagert, pfiff.

Ich befand mich sogleich
im Chor der Pilger, welche
an dem Hirten vorbei
durch das Tal ziehen, ver-
mochte es aber in keiner
Art, später mir die Weise
des Hirten zurückzurufen,
weshalb ich mir dafiir auf
die bekannte Art selbst zu
helfen hatte."

[Nachdruck verboten.)

Haben im „Tannhäuser“ noch all die Wald- und Burgszenen, die in romantischer
Fülle an uns voriiberziehen, etwas von dem lockeren Beieinander der typischen Friih-
kunst, so fiihlen wir in der Naturschilderung des „Lohengrin" bereits in aller Klarheit
den großen Zug eines reifen, zusammenfassenden Kunstschaffens.

Im „Lohengrin“ entsendet zum ersten Male der Gral sein mild beseeligendes
Licht. Ist dieser Gral nichts anderes als ein christlich-kirchliches Symbol? Wagner
selbst wendet sich in der „Mitteilung an meine Freunde“ mit Heftigkeit gegen eine
solche Deutung, ja, er sagt unmittelbar, daß das hineingetragen Christliche im
Lohengrinmythus ilm lange störte und er es erst sich fortdenken mußte. Wäre der Gral
nur eine Erfindung der Christenmission gewesen, so hätte die Phantasie des heid-
nischen Nordens nimmer dieses Sinnbild mit einem solchen Nimbus von Sagen und
Wundern umgeben. Nein, wie Lohengrin selbst nur ein nordischer Helios ist (in
Krauses „Tuiskoland“ mag man näheres dariiber lesen), so auch konnte der Gral nur
deshalb denen im Norden etwas sein, weil er als Sinnbild der allbelebenden Sonne
cmpfunden wurde, der uralt heidnischen Gottheit. Wagner hat in seiner Musik dcm
Gral diesen freien Naturcharakter wiedergewonnen, und das gibt seinem Werk eine
solche wunderbare Leuchtkraft, vom Vorspiel an, wo das strahlende Licht, aus himm-
lischen Höhen herabschwebend, sich langsam niedersenkt und die breiten Massen an-
fiillt mit seiner Wunderkraft. —

Mit seinem „Tristan" ist Wagner vollends der alten Oper entwachsen. Verglichen

mit sämtlichen friiheren Er-
scheinungen der Opernlite-
ratur ist dies das erste Werk,
das wie jene altheidnischen
Tempel ohne eine trennende
Bedachung offen daliegt
unter freient Himmel. Einen
Pantheisten mutet es fast
unsinnig an, daß er hier im
besonderen herauslösen soll,
was als Naturschilderung zu
gelten habe. Wenn „Tristan"
mit Recht das hohe Lied der
Liebe und der Leidenschaft
genannt wird, dann sind liier
Liebe und Leidenschaft ele-
mentariseh groß empfunden.
Es ist Kraft derselben Krait,
was die Menschenherzen zu-
sammentreibt, was durch
die Meere und die Wälder
rauscht oder im sinkenden
Tage verdämmert.

Im zweiten Akt ist dieses
Hin undWieder von mensch-
licher Leidenschaft und Ele-
mentargewalt, deren eins das
andcre charakterisiert, am
stärksten. Die Naturschil-
derung ünterscheidet sich
luer von allen früheren Bei-
spielen besonders darin, daß
sie me kühl sachlich, sondern
immer nur durch das Wcsen
oder die Stimmung der Per-
son gegeben ist, auf die sie
gerade einwirkt. Gleich zu
Anfang zeigt sich das, als
lsolde und Brangäne dem
fern abziehenden Hörner-
klang nachlauschen. Mit
Isolde deuten wir den Klang
äls fliisterndes Laub, init
Brangäne als Hornruf, bis
er dann endlich übertönt
wird vom murmelndenQuell.

Nach der walddurch-
rauschten großen Szene zwi-
schen Tristan und Isolde
schweift dann im dritten Akt
der Blick übers Meer. Über
das Gestein der zerfallenden
Burg leiten die Klänge hin-
weg in die kalte Helle des

XXVII. 62.

Seymour M. Stone: Parsifal mit dem heiligen Gral.
 
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