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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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2. Heft
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Buss, Georg: Tres in una
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0065
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• Tres in una. --

ie Meister der Antike, Renaissance und Neuzeit: sie alle dienen der Kunst.
Zwar das Schönheitsideal wechselt mit Völkern und Zeiten, aber der
lebendige Kraftmotor in der menschlichen Brust, der unverwüstliche Drang zur
Kunst, dem jedes Schönheitsideal sich mehr oder weniger mühelos in Marmor oder
Farben entringt, bleibt immer derselbe. „Tres in una“ — drei Frauengestalten,
geeint zu vielsagender Gruppe, hat der gedankenreiche Künstler geschaffen, dar-
stellend jene vorerwähnten Epochen. Geschwisterlich wie die Chariten halten sie
zueinander, denn die Kunst ist ihnen gemeinsame Mutter. Diese echte Kunst wurzelt
in der unvergänglichen Natur, der Spenderin des nährenden Saftes, dem ewig
erfrischenden Jugendquell, von dem wie von der Weltesche das Leben strömt.
Nach solcher Kunst hat die Antike gestrebt — ihr Schönheitsideal richtete sich
auf das Typische „in der Erscheinungen Flucht“, auf das Bleibende, das dem
Zufall entrückt ist, und ihre Meisterwerke, die Schöpfungen eines Phidias, Skopas,
Praxiteles, Lysippos, zeugen, wie nahe sie dem Gipfel der Vollendung gekommen
ist. So steht sie, zielbewußt, ernst und hoheitsvoll blickend, das Haupt gekrönt
mit dem Diadem, zwischen den beiden Schwestern, ihnen gütig eine Stütze ge-
während. Zu ihrer Rechten sinnt über das Mysterium des Transzendentalen, doch
den weltlichen Freuden nicht abhold, die Renaissance, und zu ihrer Linken
schaut lebensfroh und zukunftsfreudig die Neuzeit, prangend in vollster Jugend-
schönheit. Hier Blumen zu den Füßen und in der Hand, dort die kunstvoll ge-
triebene, edelgeformte Kanne im Arm, und bei ihr, der Unvergleichlichen, der
Antike, das Marmorkapitell von den Tempeln der Götter Griechenlands.
Der wohltuende Gedanke, daß die verschiedenen Kunstepochen trotz ihrer
Besonderheiten von einem gemeinsamen Bande umschlungen werden, ist ver-
ständlich zum Ausdruck gebracht. Die Köpfe sind angemessen charakterisiert.
Auch ist fein auf den näheren
Zusammenhang der Renais-
sance mit der Antike und auf
die freiere Stellung der Neu-
zeit hingedeutet. Dazu der
gefällige Fluß der Linien und
die Schönheit der Formen
der beiden äußeren Gestalten.
All diese anerkennenswerten
Vorzüge helfen über die et-
was steife Haltung der Mittel-
figur, der Antike, hinweg.
Leicht ist die Aufgabe
des hochbegabten Künstlers
nicht gewesen. Vergangene
Kunstepochen plastisch zu
allegorisieren, bringt die Ge-
fahr des Eklektizismus nahe,
läßt die eigene Persönlich-
keit wie bei einem Trans-
lator nicht recht zur vollen
Äußerung gelangen und neigt
leicht zur Tendenz, unter
der die reine Kunst getrübt
wird. Werden solche Klip-
pen mit Talent umschifft, so
mag der aufrichtige Beifall
nicht fehlen.
Der Aufbau der Kom-
position läßt die Erinnerung
an das vielbehandelte Motiv
der Chariten lebendig wer-
den — der Grazien, der an-
mutigen Gefährtinnen der
Aphrodite, welche die ältere
griechische Kunst langge-
wandet und erst die spätere
unbekleidet darstellte. Noch
bekleidet sind sie auf dem
alten Altar im Louvre zu
sehen, der sich ehemals in
der Villa Borghese befand,
und den Winckelmann für
einen hetrurischen erklärte.
Anders jedoch die berühmte
halbgroße Marmorgruppe im
Dom zu Siena, die angeblich
Raffael als Objekt für seine
ersten Zeichenstudien nach
der Antike benutzt hat. Und

[Nachdruck verboten.]
dann die in voller Körperschönheit prangenden Grazien der Epigonen: die edel-
geformten Thorwaldsens, des nachgeborenen Griechen, und die raffiniert eleganten
Canovas. Ja, raffiniert und doch in Stellung und Bewegung außerordentlich
glücklich, lebendig und wechselvoll, denn in Reih und Glied sind die drei
graziösen Schwestern nicht gestellt.
Canovas Grazien sollen eine Apotheose des Nackten sein. Im Grunde ge-
nommen, verfolgt Richer mit seiner Gruppe „Tres in una“ den gleichen Zweck.
Er schneidet dabei nicht schlecht ab. Daß er in einer Zeit, deren Skulptur das
Feigenblatt noch nicht völlig überwunden hat, dem Nackten eine gebührende
Reverenz macht, ist in hohem Maße erfreulich. Leider stellt sich den Künstlern,
die das Heil der Skulptur ebenfalls im Darstellen des Nackten sehen, ein gewichtiges
Hindernis entgegen — der Mangel an guten Modellen. Es gibt Modelle mit
schönen Einzelheiten, mit einer vorzüglich gepflegten tadellosen Hand, schön
geformten Armen, elegant geschwungener Nackenlinie, fein und fest gewölbter
Brust, aber nur wenige, die alle Vorzüge besitzen, und gerade darauf kommt
es an. Das Korsett hat schon seit vielen Jahrzehnten degenerierend auf den
weiblichen Körper gewirkt und wirkt in zerstörender Weise noch immer weiter.
Hinzukommt als erschwerender Faktor das aufreibende Leben der Großstadt.
Noch kräftiger als bisher muß der Sport unter dem weiblichen Geschlecht
werbend auftreten, damit eine erfreuliche Besserung auch im Interesse der
Kunst erfolgt. Wenn Dannecker mit seiner Ariadne auf dem Panther, dem
herrlichen Besitz der Bethmannschen Familie in Frankfurt a. M., so gewaltige
Wirkung erzielte, so gebührt ein Teil des Dankes dem ausgezeichneten Modell,
der schönen Hofschauspielerin Fosseta, und wenn Canova mit seiner Venus alle
Welt entzückte, so konnte er dankend auf sein brillantes Modell hinweisen —
die klassisch-anmutige Pau-
line Bonaparte, Gemahlin
des Fürsten Borghese und
Schwester des großen Kor-
sen. Die Makart, Feuerbach,
Rubens, Tizian, sie und viele
andere Meister vornehmsten
Ranges legten auf ein tadel-
loses Modell den höchsten
Wert. Rubens fand solches
in seiner jugendfrischen Gat-
tin Helene Fourment, Tizian
in seiner Tochter Lavinia,
Palma in seiner Tochter
Violante, Fra Filippo Lippi
in der schönen Nonne Lu-
crezia Buti, seiner späteren
Gattin, Raffael in der For-
narina . . . Doch genug der
Beispiele. Sie beweisen auch,
daß die damaligen Frauen
selbst weit gehenden Forde-
rungen der Kunst entgegen-
kamen.
Gewiß, der Genius ist
das bestimmende Element
beim Schaffen des Künstlers.
Daß er auch für Richers
„Tres in una“ den Ausschlag
gegeben hat, sei hervorge-
hoben. An Beifall hat es
dem Werke nicht gefehlt —
eine erfreuliche Tatsache, die
den begabten Plastiker zu
neuenfruchtbaren Leistungen
anspornen wird. Ihn immer
mehr in seiner ganzen Eigen-
art kennen zu lernen, ist eine
vielversprechende Perspek-
tive, besonders wenn er un-
entwegt dem Grundsätze treu
bleibt, daß die vornehmste
und dankbarste Aufgabe der
Skulptur ist, das edelste Ge-
bilde der Schöpfung, den
Menschenleib, in voller na-
türlicher Schönheit zu schil-
dern und das Vergängliche
zur reinen Höhe der Kunst
emporzuheben. Georg Buß.



P. Richer: Tres in una. Antike, Renaissance und Moderne Kunst.

XXVIII. 2. Z.-Z.
 
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