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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Steinweg, Walter: Berlin, das große Fremdenhotel
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Ertel, Jean Paul: Dilettanten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0086
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MODERNE KUNST.

Alles ist anders geworden, und der Berliner möchte nicht eingestehen, daß
vieles amerikanisch geworden ist. Natürlich ist auch die Küche auf der Höhe, und
man ißt in den verschiedenen Berliner feudalen Restaurants ebenso ausgezeichnet
wie in den ersten Pariser. Dabei zweifellos erheblich billiger. Auch die Auf-
machung läßt nichts mehr zu wünschen übrig. Die gepolsterte und vergoldete
Eleganz beim alten Dressei hat sich überlebt, wiewohl sie unsern vornehmen
Berliner Kreisen mehr behagte als der laute Luxus, der sich nicht mehr auf an-
heimelnde Stuben beschränkt, sondern sich in großen, festlich beleuchteten Sälen
auszubreiten trachtet. Das Wort Gemütlichkeit, auch im feinsten Sinne, kennt der
Ausländer nicht. Darum hat man ihm jetzt in Berlin große Hotelpaläste gebaut mit
herrlichen Speisesälen und kostbar ausgestatteten Terrassen.
Berlin freilich ist das nicht, sondern mehr Weltstadt. Berlin will der Aus-
länder auch gar nicht sehen. Er will die Weltstadt genießen. Keinem Amerikaner
wird es einfallen, zum Königstor nach dem Märchenbrunnen zu fahren oder, shoking,
die engen Gassen von Alt-Berlin zu durchwandern. Die Ladies, Misses and Gentle-
men schwingen sich auf einen der großen Rundfahrtenautos, die um 10 Uhr vor-
mittags und 3 Uhr nachmittags Unter den Linden stehen. Wie im Amphitheater
steigen die Sitze hinan, und wenn diese Kolosse, bis an den Rand besetzt, durch
die Straßen rollen, so blicken ihnen die Berliner vergnügt nach, denn es ist klar, daß
die Fremden von hier aus von Berlin nichts sehen. Im Fluge sausen die Wagen
dahin. Der Führer zeigt bald rechts, bald links, und vor lauter Köpferecken
kommt niemand dazu, einen Augenblick lang ein bestimmtes Bild in sich aufzu-
nehmen. Die Wagen vermeiden jegliches Charakteristische, denn Eile ist ihr Gebot.
Die Fremden sollen sich wohlfühlen in Berlin. Man kommt ihrem Luxus-
bedürfnis nach, aber man treibt auf der andern Seite keinen sogenannten Fremden-
nepp. In Berlin wird der Fremde in den soliden Hotels und Restaurants nicht
übers Ohr gehauen. Es gibt keine Fremdenpreise in Berlin. Selbst in Berlin bei
Nacht hat man überall, auch in den spezifischsten Nachtlokalen, Preise, die mäßig
sind. In Berlin geht es noch solide zu. Jeder Fremde ist erstaunt über das kolossale
Nachtleben in Berlin, das sich seit einigen Jahren keineswegs mehr auf die Friedrich-
stadt beschränkt, sondern sich im Westen, in der Gegend des Noliendorfplatzes,
neu und noch toller aufgemacht hat. Man braucht da bloß sicher aufzutreten und
zu wissen, bis zu welchem Grade man sich auf sich selber verlassen kann, und
wird nichts zu befürchten haben. Der Fremde genießt in Berlin überall ein ge-
wisses Gastrecht, das er selten verletzt finden wird.
Der Fremde hat Berlin zur Weltstadt gemacht. Die Geschäftshäuser nähern
sich dem amerikanischen Wolkenkratzerstil. Die großen Cafes mit dem Marmor-
und Goldluxus, zwei Musikkapellen und Betrieb bis 5 Uhr früh brauchte man für
die Berliner nicht zu bauen. Hinter dem nächtlichen Ballokal Palais de danse mit
dem Pavillon Mascotte steckt eine englische Gesellschaft, die auf das Amüsements-
bedürfnis der Berliner Kavaliere gewiß nicht ihre Aktien gegründet hat. Die ele-
ganten Kinos in der Friedrichstraße und im Westen, die Casinos und Bars können
von den Portokassen-Millionären nicht leben. Die ganze Entwicklung Berlins mit
seinen Verkehrsverhältnissen ist eine Weltstadtentwicklung. Eineinhalb Millionen
Fremde jährlich in Berlin, sie verlangen was, sie wollen bewältigt sein.
Berlin hat sich die Welt erobert; auch der sprödeste Amerikaner kommt wieder,
war er einmal hier. Man ist sehr höflich gegen die Fremden. An den großen
Verkehrszentren hat der Polizeipräsident Schutzleute postiert, die english spoken und
frangais parlieren. Auch wenn die Gäste nicht in der Luxuskabine aus der 5. Avenue
zu uns herübergekommen sind, sondern nur 4. Klasse aus Freienwalde, so werden sie
doch zuvorkommend behandelt, wie das Mütterchen vom Lande, das auf unserm Bilde
der Schutzmann sorglich über die im Verkehr wogende Straße schiebt.
Berlin ist nicht mehr das Berlin vor dreißig Jahren, das nicht sehr viel anders
als Potsdam aussah, mit Soldaten und echten Berliner Bürgern. Jetzt ist der richtige
Berliner nach einem Scherzworte aus Schlesien. Das heißt, aus dem ganzen Reiche
sammeln sich in ungehemmtem Zuzuge Angehörige aller Berufe in Berlin. Berlin
dröhnt in Arbeit und ist durch sie der Konzentrationspunkt Deutschlands geworden.
Mit Deutschlands Bedeutung in der Welt ist es zur Weltstadt geworden. Die Fremden
sind gekommen, und die in Kraft und Arbeit stampfende Weltstadt tritt ihnen ent-
gegen als komfortables, gastliches und schmuckes Welthotel.
Old England staunt ob der Entwicklung, und wenn es den Ladies and Gentle-
men beim Gange durch Berlin gar über den Köpfen saust und sie in stolzem Fluge
Luftschiffe und Flieger über sich dahinrattern hören, dann reißen sie wohl erst recht
die Augen auf, und der Gentleman muß zur Beruhigung einen Whisky genehmigen.
Es ist deutsche Eigentümlichkeit, sich das Air eines gewissen Weltbürgertums zu
geben. Deutschland ist schnell groß geworden, und Berlins Entwicklung zur Welt-
stadt ist geradezu staunenswert. Man ist als Berliner stolz auf dieses Emporblühen
und möchte es aller Welt gern zeigen. Niemals ist der Berliner Magistrat liebenswürdiger,
und niemals sind die Berliner Behörden zuvorkommender, als wenn sie ausländischen
Abordnungen und Gesellschaften die Stadt und ihre öffentlichen Institute zeigen können.
Unsere großen Industrie-Unternehmungen schließen sich dem Willkommen erfreut an,
ja bis hinaus nach Buch zu dem großen städtischen Alters- und Siechenheim oder
nach Oberschöneweide zur Elektrizitätsquelle Berlins werden die Fremden geschleppt.
Blendende Gastmähler mit überquellenden Toasten auf die fremden Gäste schließen
solche Besuche ab. Nicht selten kommen dann noch nach Jahresfrist aus London
oder Paris oder Stockholm Telegramme nach Berlin, in denen der schönen Tage in
der deutschen Reichshauptstadt dankbar gedacht wird. — Na, und klopft der Berliner
auf seinen Beutel, so kann er sich sagen, daß darin mancher Dollar und manches
Pfund Sterling ihm entgegenklingt. Auch er lebt nicht bloß vom deutschen Idealismus.


Von Dr. Paul Ertel.
- —-— - [Nachdruck verboten.]
'^KfKerachtet mir die Dilettanten nicht,“ schrieb einmal ein Großer, und er
.sjlmj&f hatte damit im Sinne, dem heute arg heruntergekommenen Stand und
(seinem Kunstausdruck eine höhere Weihe zu geben. Das jetzt so ominöse
Wort hatte ursprünglich eine gutartige und ernste Bedeutung, die sich aus dem
italienischen Wort „dilettare“ gleich ergötzen ergibt. Sie ähnelt der französi-
schen Redewendung „Amateur“, die „Liebhaber“ bedeutet und heut als Fachaus-
druck für nicht berufsmäßiges Photographieren gebraucht wird. Jeder kennt den
„Amateur-Photographen“. Selbstverständlich gibt es Dilettanten und Amateure
in jeder Kunstausübung. Ob es sich um Malerei, Bildhauerei, Musik oder Schrift-
stellerei handelt, überall begegnen wir einer Menschenklasse, die diese Künste
nur sozusagen zu ihrem Vergnügen, und nicht berufsmäßig betreibt. Da haben
wir sogar schon den Hauptinhalt der Definition. Der Dilettant (Amateur) steht
im Gegensätze zu dem berufsmäßigen Künstler. Malerei und Musik sind seit
langem die großen Felder, die die Dilettanten schlecht und recht beackern.
Besonders hat die Kunst der Musik hier eine Unzahl von Vertretern dieses
Genres, weil sie in der Form der Hausmusik in die größten Schichten der
Bevölkerung eingedrungen ist. Das Klavier, besonders in der kleineren und

MODERNE KUNST.

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Kalke: Die Fremden in Berlin. Besteigung des Rundfahrtautobus.
billigeren Abart des Pianinos, ferner seit einem Jahrzehnt auch das Harmonium als
Orgelersatz und neuerdings das Pianola sind die Hauptinstrumente des Haus-
gebrauchs geworden. Daneben finden wir freilich auch Menschen, die sich auf der
Flöte, Klarinette, Trompete, sowie auf der Geige und dem Violoncell „ergötzen“,
und in einigen Gegenden taucht als typisches Dilettanteninstrument die Zither,
die Mandoline usw. auf. Und schließlich darf man des Gesanges, der in allen
Arten im Hause geübt wird, auch nicht vergessen. Man sieht, daß der Betätigungs-
kreis der Musikdilettanten, von denen wir in erster Linie hier sprechen wollen,
recht groß ist. Mich hat es nicht weiter gewundert, als ich in der Wohnung des
Portiers des Llauses, in das ich vor einigen Jahren zog, ein Pianino vorfand, daß
ich erst neulich in einer Gesellschaft zwei Leutnants sehr hübsch Flöte und Trom-
pete blasen hörte, daß ich einen Landrichter wegen seiner Fertigkeit auf der
Violine bewunderte; „bewunderte“, weil ich ihm, als einem Laien in der Kunst
diese Fertigkeit gar nicht zugetraut hatte. Denn gerade hierin liegt das richtige
Unterscheidungsmerkmal zwischen Dilettant und Künstler. Der Berufskünstler
muß seine Kunst verstehen; das ist ja doch die selbstverständliche Voraus-
setzung für seinen Beruf. Das Wort Künstler und Kunst kommt von „Können“;
wer also etwas in seinem Berufe „kann“, der ist ein Künstler. Der berühmte
Franz Schubert pflegte immer, wenn ihm ein „neuer Mann“ genannt wurde,
kurz zu fragen: „Kann er was?“ Wie weit nun das Können gehen muß,
ist schwierig zu sagen. Sicherlich wäre es verfehlt, nur den als Künstler zu
bezeichnen, dem die gütige Natur den Funken des Genies in die Wiege gelegt

hat. Denn das ist nur die verschwindend kleine Potenz der Künstler. Ein
Künstler ist ohne Frage auch schon der, der allen wichtigeren künstlerischen
Erfordernissen genügt, ohne darum als ein „Eigener“ über alle anderen her-
vorzuragen. Im übrigen wird es nicht immer leicht sein, die genaue Grenze
zwischen Dilettantismus und wahrer Künstlerschaft festzustellen. Nannte man
nicht z. B. Richard Wagner, als sein Genie aufzusteigen begann, allerdings
wohl aus Gehässigkeit, auch einen „Dilettanten“? Überhaupt pflegen gute
liebe Freunde mit diesem ominösen Wort gern bei der Hand zu sein, wenn
es gilt, den Konkurrenten in der Meinung anderer herabzusetzen. Dabei ent-
scheidet auch die musikalische Richtung. Ich kenne einen sehr guten Musiker,
der die leichte Schwäche hat, jeden anderen Musiker „von der Gegenpartei“
kurz und bündig als Dilettanten zu bezeichnen. In unseren heutigen Zöit-
läuften platzen die Gegensätze nur so aufeinander: Wir haben bekanntlich
einen Ilypermodernismus, der sich darin gefällt, mit den greulichsten Disso-
nanzen Fangeball zu spielen. Wir haben den „Futurismus“ nicht nur in der
Malerei, sondern auch in der Musik. Neues, Unerhörtes soll geschaffen
werden, soll die Welt aus den Angeln heben. Da wir diese sonderbare Art
„Kunst“ in uns nicht aufzunehmen vermögen, so tun wir sie sofort mit dem
Worte „Dilettantismus“ ab. Wir sagen dies aus unserer vollen Überzeugung,
nicht etwa aus Böswilligkeit wie einst bei Wagner, weil wir der sehr be-
stimmten Meinung sind und aus guten Gründen auch sein dürfen, daß eine
solche Kunstbetätigung eben nun einmal mit wirklicher Kunst, wie sie den
Beruf heiligt, nicht in Einklang zu bringen sei. Freilich können wir irren;
denn schließlich ist es denkbar, daß die künftige Generation ganz anderen
Anschauungen huldigt, daß sie das, was heute als Dilettantismus verworfen
wird, am Ende später einmal als wirkliche Kunst höherer Ordnung bewertet.
Da man nicht wissen kann, ob der „lachende Stern“ schon geboren ist, so
müßte man demnach mit dem Ausdruck „Dilettantismus“ immerhin in solchen
extravaganten Fällen vorsichtig sein. Wie dem nun sei, ob wir dabei irren
oder nicht, als typischer Unterschied muß die berufsmäßige Ausübung der
Kunst von der nur vergnüglichen aufrechterhalten werden. Dabei kann es
aber zu peinlichen Resultaten kommen.
Es ist nämlich unleugbar, und jeder Fachmann weiß es aus Erfahrung,
daß es leider zahlreiche „Berufsmusiker“ gibt, die im Amte tätig sind und
dennoch den künstlerischen Anforderungen, die wir an sie stellen müssen,
schlecht genügen. Dann dürfen wir freilich nicht zögern, sie trotz ihrer Be-
rufsausübung dennoch unter die Dilettanten einzureihen, so unangenehm diese
„Herabsetzung“ auch für sie sein mag, weil ihre Kunst eben ihr alleiniger
Beruf ist. Dazu gibt uns die Tatsache, daß sie die wirksamen Elemente ihrer
Kunst nicht richtig oder nicht genügend in sich aufgenommen haben, voll-
kommen das Recht. Nur müssen wir uns davor hüten, einen wirklichen
Künstler einen Dilettanten zu nennen.
Dabei kommen wir auf die allmählich entwickelte Bedeutung dieses
Wortes. Ursprünglich — und das ist vielen sprachlichen Benennungen so
ergangen — hatte der Worttyp „Dilettant“ durchaus nichts Geringschätziges
an sich; er ehrte im Gegenteil seinen Besitzer. Musikfreunde (im Gegensätze
zum Berufsmusiker) hat es frühzeitig mit der gewaltigen Entwicklung der
Musik gegeben. Beide vereinigten sich friedlich z. B. in den sogenannten
Collegia musica und den „Liebhaberkonzerten“. Insbesondere war es im Aus-
gange des 18. Jahrhunderts die Kammermusik, die die oft fürstlichen Di-
lettanten mit großer Liebe pflegten. Was hätte z. B. den berühmten Kom-
ponisten Boccherini im Jahre 1768 anderes veranlassen können, seine ersten
Streichquartette mit der Widmung: Ai veri dilettanti e cognoscitori di musica
(den wahren Dilettanten und Kennern der Musik) zu versehen? Es geht
daraus unzweifelhaft hervor, wie hoch der berühmte Autor die Dilettanten
der damaligen Zeit bewertete. Weiterhin ist es bekannt, welche bedeutsame
Rolle die Mitglieder des hohen Wiener Adels in der Beethoven-Zeit spielten.
Allerdings darf als sicher angenommen werden, daß diese Dilettanten guten
Künstlern gleichgekommen sind, wobei auch nicht zu übersehen ist, daß damals
die Musikausübung auch nicht annähernd in einem so hohen Prozentsätze wie
heute stand. Die Musik war noch ein internes Familiengeheimnis. Allmählich
aber, mit dem fast explosiven Eindringen unserer Kunst auch in die weniger
begüterten Familien verflachte der Kunstboden, und es bildete sich jene ober-
flächliche, ungründliche Spezies aus, die wir heute mit dem geringschätzenden
Namen „Dilettanten“ bezeichnen. Die Anfänge dieser Scheidung lassen sich schon,
am Ende des 18. Jahrhunderts (in Wien und in London) erkennen.
Selbstverständlich darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten..
Denn noch heute existieren in den Berufskreisen der gebildeten Stände, besonders
bei den Medizinern und Juristen, viele kunstbegeisterte Leute, die durchaus
„etwas Rechtes“ bei einem anerkannten Fachkünstler gelernt haben, und deshalb
in ihrem „Nebenberufe“ wirkliche Künstler sind. Ganz auffallend ist z. B. die
merkwürdige Tatsache, daß die berühmtesten Komponisten Rußlands einen zu-
weilen ganz hohen zivilen oder militärischen Hauptberuf gewählt haben. Auch
hörten wir schon so manchen Instrumentalsten und Sänger, der im musi-
kalischen Nebenberuf ein weit über den Durchschnitt ragendes Können offen-
barte. Daneben bleibt nun freilich die andere Tatsache bestehen, daß gerade
dieser Nebenberuf fernab von jeder wahren Kunst sich betätigt, und da dies
in der Mehrzahl der Fälle geschieht, so hat schließlich der einst so ehren-
werte „Dilettant“ sich in einen erschrecklichen Gegensatz zu dem „Künstler“
 
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