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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Der neue Direktor des Kleinen Theaters
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O., R.: Der Schleier der Pierrette
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0096
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MODERNE KUNST.

^)cr neue 3i)ireljfor
Dr. George Altman hat mit Beginn dieser
Spielzeit die Leitung des Kleinen Theaters in Berlin
übernommen, dessen bisherigem Direktor Viktor Bar-
nowsky die schwere Verantwortung zuteil geworden
ist, im Lessing-Theater die Erbschaft Otto Brahms zu
verwalten. Der literarische Ehrgeiz, den Barnowsky
bekundet hatte, schließt auch für den neuen Herrn eine
bindende Verpflichtung in sich, wenn er die Tradition
der Bühne Unter den Linden, die einst von Reinhardt
ihre Prägung empfangen hat, würdig weiterführen will.
Aber man darf hoffen, daß in Dr. Altman der rechte
Mann gefunden ist, um so mehr, als er, aus dem Kreise
der Reinhardtschen Dramaturgen stammend, schon an
beachtenswerten Provinzbühnen in verantwortlichen
Stellungen Proben eines feinen literarischen Geschmacks
und eines sicheren dramaturgischen Blicks geliefert
hat. Altman promovierte in Jena mit einer Disser-
tation über ein Thema der Theaterpraxis unter dem
wissenschaftlichen Beistände Professor Euckens, der
einst auch Otto Brahm den Doktorhut aufgesetzt hatte.
Nach der Vorbereitungszeit bei Reinhardt hatte er
unter Dr. Karl Hagemann am Mannheimer Hof- und
Nationaltheater Gelegenheit, sich als Regisseur und
Dramaturg zu betätigen. Größere Aufmerksamkeit er-
regte er, als er die Leitung des Deutschen Theaters in
Hannover übernahm. Diese Bühne ist seit Beginn des
Jahrhunderts immer die eigentlich literarische Bühne
der Leine-Residenz gewesen, aber niemand hat
mit größerer Programmtreue und mit so bedeutendem
künstlerischen Gelingen wie der junge Dr. Altman ihr


Dr. George Altman.
Phot. Alice Matzdorff, Berlin.

des [{leinen 'flfeafers.
diese Stellung zu erhalten gesucht. In dreijähriger
aufreibender Tätigkeit hat er dort alle seichte Unter-
haltungsware nach Möglichkeit aus seinem Hause fern-
gehalten; und wer die hannoverischen Verhältnisse
kennt, weiß, was es bedeuten will, daß er dort seinen
größten Erfolg mit einem Werke wie „Anna Walewska“
errungen hat. Daß er nun, wo er den Schauplatz seines
künstlerischen Strebens nach seiner Vaterstadt Berlin
verlegt hat, in den bisherigen Bahnen weiter wandeln
wird, hat die Eröffnungsvorstellung bewiesen. Die
Wahl dreier Einakter von Herbert Eulenberg, dessen
Schöpfungen er eine ganz besondere Fürsorge zuzu-
wenden beabsichtigt, von Max Mell und von Anton
Wildgans („Paul und Paula“, „Der Barbier von Berriac“,
„In Ewigkeit, Amen!“) bekundete ebensowohl seinen
literarischen Feinsinn wie auch seinen dramatur-
gischen Instinkt, und die Mannigfaltigkeit der schau-
spielerischen Aufgaben, die durch ein kultiviertes Lust-
spielchen, eine Kostüm-Tragikomödie und eine Tragödie
gestellt waren, wurde von darstellerischen Kräften be-
wältigt, die sich bereits zu bemerkenswert fester En-
semblesicherheit zusammengefügt hatten. Ein Teil der
weiblichen Hauptrollen wird von des Direktors Gattin,
Frau Alice Altman-Hall, interpretiert werden, eine
Seebach-Schülerin, deren frische, unverkünstelte Be-
gabung schon vor einigen Jahren auf der Bühne unseres
Königlichen Schauspielhauses, z. B. als sie das „Kätchen
von Heilbronn“ spielte, aufhorchen machte. Seitdem
hat sie in Mannheim bei Hagemann und am Deutschen
Theater in Hannover sich noch reicher entfaltet, k.


•Oer Schleier der pierrette.


[Nachdruck verboten.]

Es könnte zunächst wundernehmen, Artur Schnitzler als Autoren einer Panto-
mime zu sehen, denn der Wert seiner Bühnenstücke beruht ja zum größten
Teil auf dem Worte — dem blankgeschliffenen, dabei schlicht und natürlich an-
mutenden Dialoge, der gleich glitzernden Lichtstrahlen auf grünen Hecken spielt.
Trotzdem liegt seiner Dichtung auch das Element zugrunde, das die wortlose
schlichte Kunst der Pantomime zu ihrer Wirkung braucht: Einfachheit der Cha-
raktere und Empfindungen. Der Mann, die Frau und der Liebhaber, oder der
Mann, die Geliebte und die Frau, das sind die beiden Dreiecke, um die sich
Schnitzlers Dichtung gleichsam wie um Urformen des Empfindungslebens bewegt.
Schon in einem früheren Stück „Der tapfere Cassian“, das er selbst Puppenspiel
zubenennt, hat er diese
Figuren auf allgemein
gültige Typen zurück-
geführt, wie ja schließ-
lich auch sein Anatol eine
Art Sammelfigur ist: der
junge reiche verliebte
Mann im Verhältnis zu
dem armen süßen Mädel.
Ja, als Schnitzler vor die
Frage einer Pantomime
gestellt wurde, brauchte
er nur auf eines seiner
Werke zutückzugreifen:
aus dem „Schleier der
Beatrice“ löste er jetzt
den „Schleier der Pier-
rette“ mit einer neuen
Schlußvariante heraus.
Die Italienerin der Re-
naissance Beatrice steht in
seinem Drama mit ihrer
Liebe zwischen einem
Dichter und dem Fürsten,
dem sie sich vermählt.
Heimlich eilt sie während
des Festes zu dem Dich-
ter zurück, ohne aber für
seine Aufforderung, mit
ihm den Giftbecher zu

leeren, den Mut zu finden. So trinkt er allein den ewigen Schlaf. Aber der Fürst
hat ihr Ausbleiben bemerkt, um so mehr als sie den Schleier bei dem Toten zurück-
ließ. So läßt er sich von ihr zu dem Dichter führen, an dessen Leiche Beatrice
von ihrem Bruder erstochen wird. In Schnitzlers Pantomime „Der Schleier der
Pierrette“ ist der Fürst — Arlechino und der Dichter — Pierrot geworden. Die
Charaktere haben sich also in allgemein gültige Typen verwandelt, die Handlung
aber erfuhr folgende Umgestaltung: als Arlechino Pierrettes Schleier vermißt,
erscheint ihr der tote Pierrot, der ihr mit eben diesem Schleier winkt, so daß sie
ihm willenlos folgt. Auch Arlechino geht ihr nach, und um seine Rache an ihr zu
kühlen, schließt er die schaudernde Pierrette mit dem Toten ein. Nun offen-
bart sich ihr ausbrechen-
der Wahnsinn in einem
angstgefolterten Tanze,
bis sie an der Seite des
toten Pierrot gleichfalls
tot niedersinkt. So ver-
knüpft Schnitzlers Pan-
tomime, der das Berliner
Deutsche Opernhaus eine
ausgezeichnete Darstel-
lung bereitet hat, in der
ihm eigenen romantischen
Weise Tod und Leben
miteinander. Die Musik,
die Ernst von Dohnanyi
auf dieser Grundlage ge-
schrieben hat, entspricht
dem Wesen dieser Kunst-
gattung vortrefflich, cha-
rakterisiert die Vorgänge,
ja fast jede Bewegung
aufs glücklichste, ohne
dabei ins kleinliche zu
verfallen und ist durch-
aus geistreich. Eine aus-
gezeichnete Darstellerin
hatten Dichter und Kom-
ponist in Elsa Galafres
gefunden, die unsere Ab-
bildung darstellt. R. O.


XXVIII. 3. Z.-Z.

Elsa Galafres in Artur Schnitzlers Pantomime „Der Schleier der Pierrette",
Phot. Becker & Maaß, Berlin.
 
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