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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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5. Heft
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Boerschel, Ernst: Deutsche Dichter als bildende Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0154
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MODERNE KUNST.





als Bildende Xünsller.

/tr können bei Goethe
anfangen und bei Ger-
hart Hauptmann aufhören: so
stark haben die Mächtigen des
dichterischen Wortes allezeit
nach dem greifbar Schöpfe-
rischen den Drang in sich ge-
fühlt. Das Reich der Phantasie
war ihnen zeitweilig zu sehr
Phantom, und sie stiegen mit
ihrem Schaffen wieder in den
Kreis der Wirklichkeiten, aus
dem der bildende Künstler
Natur und Gestalten nachbil-
det, sichtbar, körperlich und
ähnlich. Dieser Drang zur bildenden Kunst äußerte sich bei unsern Dichtern oft-
mals so, daß er ernsthaft als der Ausdruck ihrer künstlerischen Persönlichkeit in
Frage kam. Goethe, E. T. A. Hoffmann, Gottfried Keller, Fritz Reuter, Scheffel:
sie haben sich dann und wann als Maler und Zeichner sehr wichtig gefühlt. Weiter
noch bis zur neuesten Literatur hinauf, bis zu Wilhelm Raabe, Paul Heyse, Arthur
Fitger und Gerhart Hauptmann, hat die bildende Kunst sich ins Gemüt unserer
Dichter gedrängt. Bei vielen aus Liebhaberei, wie es Maler gibt, die vorzügliche
Musiker sind; bei vielen aber aus Bedürfnis. Von ihnen allen war Goethe der
objestivste, man kann nicht sagen, der begabteste. Goethe malte und zeichnete
gleichsam zur Ergänzung. Er suchte die Stimmungen, die er auf der Reise und
Wanderung oder bei stiller Beobachtung der Natur empfand, und die sich nicht

A. Fitger: Phaeton.

Goethe: Blick auf St. Peter in Rom von der Villa Pamfili.
gleich poetisch in ihm klären wollten, rein sinnlich durch den Zeichenstift oder
den Aquarellpinsel festzuhalten. Er hatte sich daran meist Genüge getan, denn
zur sauberen Ausführung brachte er die Skizzen späterhin fast nie. Der Maler
C. Lieber besorgte eine lange Zeit für Goethe diese Ausführungen, und der konnte
dann stundenlang mit dem Nachzeichner sich über das verschiedene Sehen und
die verschiedenen Auffassungen unterhalten. Das Merkwürdige bei Goethes
Zeichnungen war, daß er in den seltensten Ausnahmen es vergaß, die Skizzen
zu beleben durch einen Menschen, ein Tier oder bei Landschaften durch ein
Gemäuer, eine Hütte, eine Säule, ein Kastell. Darin liegt nun auch der Wert
der Goetheschen Zeichnungen: nicht im
Technischen, nicht in der Großartigkeit des
Motivs, sondern in der Aufsuchung des
Charakteristischen. Goethe hat seine Zeich-
nungen 1810 in einer Anzahl selber heraus-
gegeben ; es waren 22 Blatt. 1848 ergänzte
Chr. Schuchardt die Auswahl, und 1895
sammelte Karl Ruland die Goetheschen
Zeichnungen in einem starken Bande der
Schriften der Goethe-Gesellschaft.
Natürlich interessiert uns Goethe, der
Heros, auch als Zeichner ungemein, aber
in der bildenden Kunst lief er den andern
Dichtern den Rang nicht ab. Des Idyllen-
dichters Salomon Geßners Vignetten und
Illustrationen waren viel zarter und geist-
reicher als Goethes Skizzen, und auch der
unglückselige Maler Müller, der als Dichter
seines Maltalents wegen diesen Titel in
der Literaturgeschichte hat, war trotz des

Goetheschen wegwerfenden
Urteils über ihn wuchtiger und
eigenwüchsiger als sein Kri-
tiker. Dann war unter den
Romantikern E. T. A. Hoff-
mann ein aus den Abgrund-
tiefen seiner Persönlichkeit
urkräftig hervorgewachsenes
malerisches Talent. Auch über
seinen Zeichnungen steht wie
über ihm selber in seiner
ganzen menschlichen und
künstlerischen Totalität das
schwere Wort seines Medar-
dus: „Ach wie oft war sonst
mein Lachen nur der konvulsivische Krampf der inneren herzzerreißenden
Qual“. Seine Karikaturen sprechen das wie seine Erzählungen mit erschüttern-
der Wahrhaftigkeit aus. Er fing mit dem Porträtieren an. Schade, daß wir keine
Porträte von ihm kennen. Wir hätten
sonst den Anfang des Weges vor uns,
der dann zur Karikatur führte, zur
fürchterlichsten Karikatur, die die
Malerei kennt. Es waren keine aus
Humor und Witz hingesetzten und
mit Ironie zugespitzten Gesichter
und Situationen, sondern verzerrte
Fratzen und mit grauenhaftem Zynis-
mus ausgemalte Stimmungen. Seine
phantastische Zeichnung „ Ausge-
arteter Phantasie grausenerregende
Bilder, des gärenden Hirns — des
Wahnsinns schreckhafte Kinder “
zeigt schon im Titel, aus welch
innerer Verstörtheit diese Zerrbilder
hervorquollen. Hoffmanns Zeichnun-
gen erklären uns fast noch schärfer,
man möchte sagen noch nackter als
seine Schriften die Unheimlichkeit
seines inneren Organismus. Der
Mann ward in furchtbarem Aufein-
anderprallen aller Gegensätze des
Genies zerrieben. Er hat selbst er-
zählt, daß er die Fratzen und Spuk-
gestalten, die unaufhörlich in seiner Nähe waren, leibhaftig herankriechen sah.
Die bekannte Weinstube von Lutter & Wegner in Berlin war sein Hauptarbeits-
feld. Kein Gast entging da seinem hohnlachenden Stift. Es sah zum Entsetzen
zerrissen und zerklüftet in diesem hochbegnadeten Dichter aus.
Aus dieser Zeit und den darauf folgenden Jahren wirken die Bilder und
•Skizzen August Kopisch’, Robert Reinicks, Eduard Mörikes und Gaudys wie
eine Erlösung, so wenig bedeutend sie künstlerisch auch sein mögen. Natürlich
verschont uns auch der stille Adalbert Stifter mit einer Aufregung, von dessen
hingehauchten Aquarellen Emil Kuh sagte: „Mehr als zu ahnen, wäre aber un-
möglich gewesen.“ Aber charakteristisch war bei ihm, daß er durch die Malerei
zum Dichter wurde, denn lange bevor seine erste Erzählung, der „Kondor“,
erschien, saß der in selige Verschollenheit sich verschließende Mann an den
Bergabhängen von Kremsmünster, immer
nur beobachtend und dann hintuschend, was
die Natur ihm ahndevoll verhüllte. Diese
Art der Naturanschauung war nicht für
jeden. Gottfried Keller als ehrlich füh-
lender und genießender Realist machte sich
nichts aus ihr und sog ganz anders seine
Kraft aus der Natur. Er ist als Maler der
bedeutendste unter unsern Dichtern und
hat das auch in klarem Selbstbewußtsein
für sich herausgefühlt. Ihm waren die
Aquarellfarben-zu blaß, und er malte in Ol.
Seine „Felsige Uferlandschaft“, seine „Aus-
sicht vom Susenberg ins Limmatal“ sind
groß und mit wirklichem malerischen Talent
hingeschriebene Landschaftsbilder, von
denen das eine, die „Felsige Uferland-
schaft“, in der ein Fischer am Ufer sitzt,
sich auf der vor fünf Jahren veranstal-
teten Jahrhundertausstellung der Berliner

Handzeichnung Scheffels einer Hauensteinerin
in der typischen Volkstracht.

3-)euf?die ^Did^er

XXVIII. 5. Z.-Z.

Selbstbildnis Scheffels in Hauensteiner Tracht mit einem Ilauensleincr
,, Meidli“ 1850.
 
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