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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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7. Heft
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Buss, Georg: Eines Hochedlen und Hochweisen Raths Verneuerte Kleider-Ordnung und Verboth der Hoffarth
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Buss, Georg: Der gedeckte Tisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0217
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MODERNE KUNST.

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begleitung den ganzen Tag öffentlich ansstellen. Einigen Edelleuten ließ er sogar die
Hosen am Gürtel aufschneiden, so daß sie herunterfielen — ein Schauspiel, an dem
sich das Volk sattsam erbaute. Ähnliche Geschichten sind auch anderswo nicht selten
gewesen. Vereidete Rüger lagen unaufhörlich auf der Lauer, um Sünder und Sünde-
rinnen wider die Kleiderordnungen und die gute Sitte abzufangen.
Neben den von den Städten erlassenen Verboten und Ordnungen kommen die
landesherrlichen in Deutschland während des Mittelalters selten vor. Das Reich als
solches hat sich um die Auswüchse der Tracht herzlich wenig gekümmert. Sie traten
seit dem 14. Jahrhundert auf und sind vornehmlich als Zattelkleidung, Schellentracht,
Schnabelschuhe, geschnittene Kleider und Pluderhosen bekannt. Selbst das Wahn-

sinnigste in der mittelalterlichen Mode: Röcke und Gürtel mit zahlreichen klingenden
Schellen oder mit mehreren Schock Knöpfen zu garnieren und die Schuhe bis auf
mehr als einen halben Meter so spitz zulaufen zu lassen, daß ihre Enden an Schnüren
oder Kettchen hochgezogen werden mußten, hat beim Reich keinen Widerstand ge-
funden. Manche Kaiser, wie Maximilian, machten gewisse tolle Moden, wie das weite
Entblößen der Brust, sogar mit. In Sachen der Tracht waren die Städte souverän und
sie machten von dieser Machtvollkommenheit den weitgehendsten Gebrauch. Aber die
ewig jugendfrische Königin Mode blieb triumphierende Siegerin. Sie schüttelt heute
mehr noch als früher ihr funkelndes, gleißendes und prächtiges Gewand, aller Kleider-
ordnungen, Strafpredigten, Spottreden und Protestmeetings spottend. Georg Btiß.


Von Georg Rhenanus.

[Nachdruck verboten.]


^erren Köche haben Ursache, erbost zu sein, denn ihre Verdienste
werden nicht genug gewürdigt. Sie mögen glänzende Leistungen voll-
bringen, mögen die Suppen aus Känguruhschwänzen und Trepang mit
feinstem Wohlgeschmack versehen, mögen den Taima-Forellen und den Saiblingen
aus dem Starnberger See oder dem Sterlet aus der Wolga die kostbarsten Saucen
hinzufügen, mögen die Pfauen Indiens oder die Kanvasbacks-Ducks aus der
Chesapeake-Bai noch so brillant trüffein und braten, hilft alles nichts: jeder Gast
der Festtafel heuchelt eine Bekanntschaft mit diesen Leckerbissen, als seien sie
sein tägliches Brot, ja, hält es sogar für besonders vornehm und fein, mit Worten
des Lobes zurückzuhalten.
Früher fanden die Herren Köche mehr Anerkennung. Der Philosoph von
Sanssouci, der mit seinem Hofküchenmeister Joyard, später Noel, persönlich zu
verhandeln liebte, ließ auf der Speisekarte seiner königlichen Mittagstafel jedem
Gericht den Namen des Koches voransetzen. Da waren groß und breit die
Namen von Henaut, Pfund, Gausset, Dionisius, Schilger, Grebedinckel, Voigt und
Blesson zu lesen. Hatte dem großen König ein Gericht geschmeckt, so merkte
er das mit einem Kreuzchen an — für den betreffenden Koch eine ehrenvolle
Belohnung und ein Ansporn zu neuen Leistungen. Ähnlicher Brauch waltete an
anderen Fürstenhöfen. Heute ist er fast ganz verschwunden — nur der Prinz-
regent Luitpold in München hielt noch an ihm fest, wie denn der alte Herr
gleich dem Philosophen von Sanssouci seine gastronomischen Wünsche dem
1 lofküchenmeister mündlich mitzuteilen liebte.
Ein Koch, der keine beifälligen Worte hört, verliert die Lust, sein Genie
leuchten zu lassen. Genie? Ja, Genie! Denn welcher profane Mensch wäre
erleuchtet genug, Hahnenkämme und ITahnennie'ren mit Trüffeln, grillierten
Rheinlachs mit englischem Gurkensalat, grüne Spargelspitzen mit Champignons,
Artischockenböden mit gebackenen Austern zu verbinden? Welcher gewöhnliche
Mensch käme darauf, die scheinbar heterogensten Substanzen derart harmonisch
zu Saucen zu mischen, daß der berückendste Wohlgeschmack erregt wird?
Gastronomische Offenbarungen sind es, die nur bevorzugten Naturen zuteil
werden. „Einen genialen Koch“, sagte Napoleon, „ziehe ich einem Dutzend
genialer Ärzte vor, denn der Koch dient dem Gesunden, der Arzt dem Kranken
— und krank zu sein ist scheußlich!“ Der Feinschmecker Thiers gestand, daß
ihm die Inspiration zu vorzüglichen Gedanken sehr häufig durch die rühmlichen
Leistungen seines Kochs gekommen seien. Und Alexander Dumas, der eine
außerordentlich feine Zunge besaß und in der Kunst des Salatmischens mindestens
ebenso stark wie in seinen Romanen war, sah im Koch
die eigentliche Sonne des menschlichen Daseins. So
haben hervorragende Aristokraten des Geistes und der
Geburt die Köche zu schätzen gewußt. Nun ist es anders
geworden .... Die trefflichen Männer, die in sezessio-
nistischen Anwandlungen sogar über alle Kochbuch-
rezepte hinwegsehen und nur Neues, Nochniedagewesenes
darzubieten trachten, müssen zurücktreten gegen den
Tafeldecker, der mit ungemessenem Pomp den Tisch
dekoriert und dafür Lob und Bewunderung erntet, wäh-
rend sie, die doch den Wert des Diners bedingen, des
Ruhmes verlustig gehen.
Von den gedeckten Tischen der Milliardäre Amerikas
werden Wunderdinge erzählt. Ist vom Erzählten auch
nur die Hälfte wahr, so will dagegen der im Altertum
viel bestaunte Aufwand römischer Feinschmecker, eines
Crassus, Lucullus, Apicius und Melius Atedius, nicht viel
besagen. Auch diesseits des großen Teiches ist der
gedeckte Tisch mehr zum kostbaren Stilleben als zum
Spender behaglichen Genusses geworden — eine Wand-
lung, die bei einsichtigen Leuten wenig Freude erweckt.
Es zögert der Schritt, sich solchem überreich geschmückten
Tische zu nähern, und es kostet eine gewisse Über-
windung, sich an ihm niederzulassen und seine Harmonie
zu stören. Der Luxus im Übermaß bedrückt und ängstigt.
Gewiß, Luxus ist ein notwendiges Korrelat jeder höheren

Kultur, denn im Drange nach ihm regt sich der Fortschritt, stählt sich die Spann-
kraft und ersteht fruchtbare Arbeit. Aber es gibt eine Grenze, jenseits welcher
der Luxus in das Gebiet des Ungehörigen und Überflüssigen fällt, weil er mit
seinen reichen Mitteln den vernünftigen Zweck überwuchert und erstickt. Luxus,
in vornehmer Weise geübt, ist Kunst. Die Kunst soll ins Leben hineinspielen,
soll sich verbinden mit Haus, Gerät und Tracht, aber in einer Weise, die nicht
lästig fällt, sondern Wohlgefallen und warmes Behagen hervorruft, Der gute
Geschmack weiß solches Ergebnis mit bescheidenen Mitteln zu erreichen. Es

Verneuertfe Kleider-Ordnung
und Verboth der Hofifarth:
„Seidene Strümpfe gehören
nicht vor seinen Stand."
 
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