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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Buss, Georg: Eines Hochedlen und Hochweisen Raths Verneuerte Kleider-Ordnung und Verboth der Hoffarth
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0216

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MODERN]-: KUNST.


wurde bis ins genaueste die Kleidung vorgeschrieben — die Qualität, Farbe, Art und
Preishöhe des Tuches, des Stoffes, der Leinwand und der Bänder, die Länge und
Weite der Mäntel, Hosen und Röcke, die Art der Schuhe, Hüte und Hauben, die
Menge der Bänder, der Wert des Schmuckes, der Schnitt der Haare und des Bartes.
Sogar die intimsten weiblichen Kleidungsstücke, als da sind Unterröcke, Strümpfe,
Strumpfbänder, „Gefängnusse" oder „Brustharnische", blieben von den Vorschriften
nicht verschont. Als dann die hohe Obrigkeit endete: „Und es werden alle diejenigen
Manns- und Weibsleute, so sich erfrechen sollten, gegen solches Verboth der Hoffarth
dawider zu handeln, für den ersten Fall mit zehn Reichsthaler, für den zweiten Fall
mit dem gedoppelten Betrag, für den dritten Fall wegen bewiesener Böswilligkeit und
Hartnäckigkeit mit Thurm oder an Laib gestraffet und in allen Fällen ihnen die
verbothenen Kleidungsstücke, Unterröcke und Hemden ohne Gnade coram publico,
was da heisst öffentlich, ausgezogen", erhob sich ein so wüster Tumult, daß Jeremias
es trotz seines krummen Schwertes für ratsam hielt, sich schleunigst zu drücken und
über die Station „Roter Löwe“ zum Rathaus zurückzukehren. Den hochedeln Herren
vom Rat, die trotz der „geltklemmenden Zeiten“ gerade im Stadtkeller einen neuen
Qualitätswein zum allgemeinen Besten probierten, erstattete er den „underthänigsten"
Bericht, daß gehorsamste Bürgerschaft von der neuen Verordnung im höchsten Grade
begeistert sei und ihren Beifall in stürmischster Weise kundgegeben habe. Dann
stieg Jeremias Muffel, fidel über das heimlich erwischte Glas Rotspon, wieder zum
Tageslicht empor, um auf hübsche Bürgerinnen zu fahnden.
Ach, die gute alte Zeit! Ihr Heiligenschein schwindet, je tiefer man in sie
hineindringt. Die Kleiderordnungen gehören zu den naivsten, verderblichsten, sozial
und gewerblich schädlichsten und verfehltesten Maßnahmen, die sich denken lassen.
Sie förderten den Kastengeist nach unten zur Unterwürfigkeit und nach oben zum
grenzenlosen Hochmut, schädigten Handel und Wandel und konnten den Luxus nicht
zurückdämmen, denn wer ihn treiben wollte und Geld hatte, trug auch die Strafe.
Entstanden im Mittelalter, haben manche noch im 18. Jahrhundert ihr Wesen getrieben.

Nach dem Dreißigjährigen Kriege blühten sie in den deutschen Städten noch kräftiger
als im Mittelalter auf. Fast überall wurden die älteren Ordnungen revidiert und in
Beziehung zur französischen Mode gebracht, meist in der Absicht, die heimische
deutsche Tracht dagegen zu schützen. Aber viel geholfen haben die Vorschriften nicht.
Bezeichnend ist die „revidierte und erfrischte" Straßburger Kleiderordnung vom
2. April 1660. Sie hat zur Voraussetzung die Einteilung der ortsangesessenen Be-
völkerung in sechs Grade, von denen der vierte und der fünfte Grad wieder in
mehrere Staffeln geteilt war. Zum ersten Grad gehören: Mägd, Wartherin, Näderin
und andere ledige Weibspersonen ihresgleichen, die um einen gewissen Lohn dienen,
ohne Unterschied, obschon ihre Eltern des dritten, vierdten oder auch höheren Grads
seyn möchten; zum zweiten Grad alle Tagelöhner, Holzhauer, Sackträger, Ballenbinder,
Gärtner, welche nicht zwey Pferdt halten, oder zu halten vermögen, Thurmhüter,
Schuhflicker und Roßtäuscher; zum dritten Grad die gemeinen Handwerker und
unteren Stadtdiener und Stadtknechte; zum vierten die „Notarii“ so nicht immatriculirt,
die Guldenschreiber, die Hauptkannen auff den Zunftstuben und die vornehmsten
Gastgeber, die Musici, die nicht zum Tanz spielen, die Rathsbotten, Barbierer, Flach-
und Wappenschneider, Kunstmahler, Schriftengießer, Buchdrucker, geschworenen Heb-
ammen, Praeceptores Clavici, Stadtrichter, Baumeister, Notarii immatriculati und
Münzmeister; zum fünften Grad, die reichen Kauffleute und gewisse Gelehrte, die
Rentiers und alten Geschlechter, deren Vor-Eltern vor ein-
hundert und mehr Jahren in dieser Stadt das Regiment besaßen,
und sich noch solchem Stand gemäß verhalten; zum sechsten
Grad die Herren vom Regiment und vom Adel. Auf diese
Staffelung ist also die Kleiderordnung zugeschnitten, um „un-
artige, üppige, leichtfertige, unehrbare und dem alten Teutschen-
wesen ungemäße Neuerungen in der Kleidung“ zu steuern.
Zu den Unbilligkeiten in der Kleidung wird gezählt: wenn
Männer auf den Gassen ohne Mantel oder mit zu kurzem er-
scheinen, wenn diejenigen, die keine Pferd halten oder auch
frembde sollten besteigen, beständig in Stiffel und Spohrn
klinglen, wenn die Afannspersonen die Haupthaare gleich den
Weibern zieren, den Zöpfen seidene Bänder, Ringlein und son-
stige Zierden anflechten und andere weibliche Phantasien vor-
nemmen, wann Weiber und Jungfrauen gar zu kurze, abge-
stumpfte Kleidung tragen, die schimpflich und ärgerlich ist,
item wann sie Nackmäntlein haben, die entweder durch die
breite durchsichtige Bändel die Brust entblössen oder sonsten so
kleyn seynd, daß sie das leichtfertige Gemtith nicht verdecken
können, wenn sie mit gar weit ausgeschnittenen durchstochenen
hohen Schuhen, Strümpffen von ungewöhnlichen üppigen Farben,
umbfliegenden langen, breiten oder auch gefärbten Schuh- und
abhangenden Strumpffbanden hereintretten, item wann Weibs-
personen zu Sommerszeiten nur leichte und kurtze Schürtz über
die Hembder tragen und mit solcher ärgerlichen Kleidung auff
die Gassen gehen, item wann die verheirathete Weibspersonen
mit abhangenden, auch wohl falschen Zöpffen vor Uns der
Obrigkeit, in den Kirchen oder auch bei öffentlichen Zusammen-
künften, als bei Hochzeiten, Kindertaufen und Tänzen zu er-
scheinen sich unterstehen dörffen.
Besonders erbost ist der Straßburger Rat über die Brust-
harnische und Gefängnusse, heutigen Tages Korsetts genannt.
Er verbietet sie kurzweg — „da sie zu allerhand leichtfertigem, üppigem Wesen und
Ärgernis große Ursach geben." Und dann heißt es weiter:
„Wegen der Brüst aber werden die Schneider sich ebenmäßig nach dem Muster,
welches Ihnen zu solchem Ende soll übergeben werden, zu richten haben, dergestalt,
daß dessen Maß sie in der Größe hinfort nicht überschreiten, sondern aber nach der
Proportion der Personen sich in Verfertigung der Brüste richten, auch die bis anhero
aller Ordnung und Wohlanstand zuwider gemachten darnach reguliren und ändern,
wie nicht weniger die Nackmäntel, so Wir hiermit wieder durchgehends eingeführt
haben wollen, nach einem gewissen, bereits entworfenem Modell zubereiten und ver-
fertigen sollen.“ Bis auf die größten Kleinigkeiten geht die Straßburger Ordnung auf
alle übrigen Einzelheiten der Kleidung ein — selbst der Spitzenbesatz der Hauben und
die Leinwand der Krösen ist nach Ständen geregelt.
Ähnlich wie in Straßburg verhielten sich die anderen Städte. Nürnberg, Augs-
burg, Regensburg, Ulm, Köln, sie und viele andere haben in Kleiderordnungen ihr
möglichstes geleistet. In Berlin hatte noch 1696 Kurfürst Friedrich III , nachmals
König Friedrich I., eine geharnischte Ordnung erlassen. Ihr ließ König Friedrich
Wilhelm II. am 6. November 1731 ein Edikt folgen, daß nach Verlauf von sechs
Monaten „die" Dienst-Mägde und gantz gemeinen Weiber-Leute, sowohl Christen als
Juden, keine seidene Röcke, Camisöler und Lätze ferner tragen sollen", da solcher
Luxus nicht allein dem Debit der dem ganzen Lande so sehr ersprießlichen Woll-
manufaktur hinderlich sei, sondern auch die Mägde und ganz-gemeinen Weibespersonen
zu unredlichen Handlungen verführen könne.
Auch in früheren Zeiten hat es in Berlin an Ordnungen und Erlassen gegen
übertriebene Kleiderpracht und Auswüchse der Afode nicht gefehlt. So führte Kurfürst
(oachirn II. einen erbitterten Krieg gegen die Pluderhosen. „Neunundneunzig Ellen
gehören zu einer Hose", sagten die Landsknechte, weil das besser als hundert Ellen
klang. Etliche reiche Bürgersöhne, die mit solchen Hosen um das Berliner Schloß
herumflanierten, ließ der Kurfürst in einen großen Käfig sperren und unter Musik-
 
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