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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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MODERNE KUNST.





Stempel die Kunst des Siegelschnitts, aus deren Meisterleistungen die Typare
der Kaiser Albreclit II., Friedrich III. und Maximilian I. hervorzuheben sind, stark
beeinträchtigt.
Prunksch 1 itteil König Ludwig II. von Bayern. Der Romantiker auf
dem bayerischen Königsthrone, der unglückliche Ludwig II., hat seine Vorliebe
für Pracht und Kunst auch in den Gerät-
schaften des täglichen Gebrauchs überall
zum Ausdruck gebracht. Wer einmal die
bayerischen Königsschlösser besucht hat.
staunt über diesen unerhörten Reichtum
wundervollster, erlesener, kunstgewerblicher
Schöpfungen, die hier aufgestapelt sind. Der
Schlitten, den wir hier im Bilde zeigen, legt
Zeugnis für die Geschmacksrichtung Lud-
wigs ab. Mit reichstem Rokokoschnitzwerk
über und über verziert, wirkt er wie eine
Kopie jenerPrunkschlitten, die namentlich im
Frankreich Ludwig XIV. in Gebrauch waren.
Das Holz ist schwer vergoldet, und dieser
mattfunkelnde Glanz im Verein mit der roten
Seide der Schlittendecken und dem schneeigen Weiß des' Sechsgespannes von
Schimmeln, die diesen reichen Schlitten zogen, muß in der Tat einen märchen-
haften Eindruck gemacht haben. In
solchem Schlitten pflegte der König
seine nächtlichen Winterfahrten in
die Berge zu unternehmen, wobei ihn
Reiter mit Fackeln begleiteten. H.
* *
*
August Hinrichs. Nicht allein
Hans Sachs war nach dem bekannten
Reime „ein Schuh-macher und Poet
dazu“; auch heute gibt es noch Hand-
werker, die sich als Ausübende mit
der Dichtung nicht nur beschäftigen
— das kommt weit häufiger vor als
man denkt — sondern mit ihren Ar-
beiten auch an die Öffentlichkeit
dringen und Erfolg ernten. Freilich
gehören sie in der gegenwärtigen
Zeit, wo jeder Beruf starke Ansprüche
an die Kräfte der Menschen stellt, zu
den seltensten Ausnahmen, und man
muß sie schon wegen ihrer' Energie
hochachten. So hat ein jugendlicher
Handwerksmeister Oldenburgs die
Fritjof-Sage zu einem fünfaktigen Büh-
nenwerk umgearbeitet. Das Schau-
spiel, das in fünffüßigen Jamben gedichtet ist, trifft die nordische Eigenart recht
gut und schließt sich dicht an die berühmte Sage an. Hinrichs trat bisher nur
mit plattdeutschen Gedichten vor die Öffentlichkeit und war daher einzig in der
engeren Heimat bekannt. Aber sein erstes Bühnenwerk hat sich glücklich durch-
gesetzt und erlebte im Bergtheater zu Thale seine erfolgreiche Premiere. Dieser
Erfolg wird den talentvollen Handwerksmeister
voraussichtlich zu weiterem Schaffen anregen.

Die „Wäscherin“ im Park der Buttes-
Chaumont. Unter den Gärten und Parks der
Seinestadt, die wie keine andere reich ist an
lieblichen Ruhepunkten mitten im brandenden
Weltstadtverkehr, ist der Park der Buttes-
Chaumont einer der eigenartigsten und charak-
teristischsten. Draußen im Nordosten von Paris,
im Herzen des Arbeiterviertels, dehnt er sich
auf einem 25 Hektar großen Flächengebiet aus
und ist schon seiner Lage wegen, ähnlich wie
der Parc Montsouris im äußersten Süden der
Stadt, ein richtiger Volksgarten geworden. Was
für die Bewohner des vornehmen Westens der
Bois de Boulogne und der Parc Monceau bedeutet,
sind die Buttes-Chaumont für die niederen Klassen
des Volkes. Hier haben sich Natur und Kunst
in glücklichster Harmonie vereinigt, um ein
kleines Meisterwerk der Gartenkunst zu schaffen.
Der Park, eine Schöpfung des Seinepräfekten
Haussmann und des Ingenieurs C. Alphand,
ist im Jahre 1866 auf einem von Steinbrüchen
chaotisch zerwühltem Terrain, das früher der

Prunkschlitten König Ludwigs II. von Bayern.
Phot. Alex Kraje.wsky, Hofphotograph, Berlin.

Galgen von Montfaucon krönte, entstanden.
Aus einem lieblichen See ragt ein schroffer,
etwa fünfzig Meter hoher Felsen auf,
auf dem sich ein schmuckes Tempelchen,
eine getreue Nachbildung des Sibyllen-
tempels in Tivoli bei Rom, erhebt. Viele
Schluchten und Felsen, Grotten und Ketten-
brücken, die über rauschende Wasserfälle
führen, schaffen ein reizvolles, abwechs-
lungsreiches Bild. Von einer Balustrade
oberhalb einer Tropfsteingrotte bietet sich
dem Auge eine herrliche Aussicht auf die
gewaltige Stadt mit der hochragenden, weiß-
schimmernden Sacre-Coeur Kirche. In die-
sem Volkspark, der einzig in seiner Art
dasteht, hat auch die Plastik eine Stätte
gefunden. Die landschaftlichen Reize werden
durch eine Anzahl von Statuen echt volks-
tümlichen Charakters unterbrochen. Neben
Oges „Seeräuber“, Hiolles „Wolfsjagd“
und Descas „Adlerjäger“ erhebt sich das
Blanchisseuse“, das den Wäscherinnen der

August Hinrichs.
Phot. Carl Wöltje. Oldenburg.

liebenswürdige Monument der
Millionenstadt, die im französischen Volksleben eine bedeutende Rolle spielen,
gewidmet ist. ;i. —«.
*
Die Tänzerin Rejane. Die Tanzkunst hat in unsern Tagen wieder eine
ungeahnte Bedeutung erlangt. Abgesehen davon, daß heut wie im 17. und 18. Jahr-
hundert die Kultur der „Gesellschaft“ einen besonderen Tanz zu schaffen be-
strebt ist, der ja nun, wie es fast scheint, in dem ebenso bizarren wie graziösen

Denkmal der Wäscherin im Park der Buttes-Chaumont zu Paris.
Phot. Charles Delius, Paris.
Tango gefunden zu sein scheint, haben wir auch für die individuellen Tanz-
schöpfungen einzelner Persönlichkeiten wieder ein besonderesinteresse gewonnen.
Gewiß, das alte „Ballett“ ist für uns ein totes
Schema geworden; selbst der beispiellose Erfolg
des russischen Balletts kann an dieser Tatsache
nichts ändern: er ist ein Einzelfall nichts als eine
rara avis. Was wir heute vom Schautanze for-
dern, ist neben der „Poesie der Körperbewegung“
Seele, der Ausdruck einer modernen künstleri-
schen Persönlichkeit, nicht mehr starre Form
und Regel. Auch die Exzentrizitäten des Variete-
Kunsttanzes, wie sie die Saharet am ausgespro-
chensten verkörperte, haben wir wohl endgültig
hinter uns. Die neue Reform der Tanzkunst
setzte mit den Versuchen der Isidora Duncan
ein, die ganz Neues boten, tastend zunächst, bald
aber immer bestimmter rein Persönliches heraus-
kristallisierend. Sie gehören heute schon der
Vergangenheit an. Sie waren ein Programm,
aber gleichsam nur die erste Piece eines solchen.
Es kamen andere, die Erfüllung brachten: Ruth
St. Denis, die Wiesenthals, um nur ein paar der
Nachfolgerinnen zu nennen. Zu diesen Nach-
folgerinnen, die ganz selbständig weiterentwickel-
ten, was die Duncan begann, gehört auch Alice
Rejane, deren entzückenden Kunsttänzen die aner-
erbte französische Grazie und Kultur den be-
sonderen Stempel aufdrückt. U.

Alice Rejane.
Camera-Poiträt by Hoppe, London.
 
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