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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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11. Heft
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Wulff, E. E.: Gerhart Hauptmanns "Atlantis" in den "Kammerlichtspielen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0334
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Serhart Hauptmanns „Atlantis“ in den „Kammerticfitspielen"

p=*fn den letzten Jahren hat das Kino weder Opfer noch Mühen gescheut, die
ihm gesteckten Grenzen zu überschreiten und mit seinen Lichtbildern auch
künstlerische Wirkungen von größerer Tiefe und Nachhaltigkeit zu erstreben.
Da waren gewaltige Schwierigkeiten zu überwinden, nicht allein technische. Vor
allem galt es, die Scheu der Dichter und Darsteller vor dem Kino zu besiegen.
Lange herrschte in diesen Kreisen die
Ansicht, daß die Kunst auf der Kino-
bühne nicht zu ihrem Recht kommen
könne, daß sie profaniert und herab-
gezogen, und daß ihr die Seele geraubt
werde. Aber schließlich durchbrachen
einige namhafte Schauspieler den Bann,
sie stellten versuchsweise ihre Kunst
in den Dienst der vielgeschmähten
Flimmerkiste — es sei hier nur an
Bassermann und Friedrich Kayssler er-
innert — und, der Versuch gelang.
Bald folgten andere bedeutende Schau-
spieler und Schauspielerinnen des In-
und Auslandes diesem Beispiele. F.benso
hielten hervorragende zeitgenössische
Dichter mit ihren Werken ihren Ein-
zug in das Kinotheater. Ihnen hat
sich neuerdings auch Gerhart Haupt-
mann angeschlossen. Sein Roman „At-
lantis“ erlebte kürzlich die Premiere
in den Berliner Kammerlichtspielen.
Es konnte sich natürlich nur darum
handeln, die packendsten Szenen des
Werkes zu verfilmen und die Höhe-
punkte des Romans im Bilde wider-
zuspiegeln. Das, was die Lichtbildkunst im Verein mit berufenen Schauspielern
hier vollbracht hat, darf mit Recht als vollwertige Leistung bezeichnet werden,
die der Anerkennung würdig ist. Die Darsteller haben sich mit selbstloser Hin-
gabe und Opferfreudigkeit ihrer schwierigen Aufgabe unterzogen. Diesem Um-
stande ist es in erster Linie zu danken, daß der kühne Wurf gelungen ist. Da-
neben muß hervorgehoben werden, daß die Aufnahmen fast sämtlich mit gutem
Geschmack und sicherem Blick für die Filmwirkung gewählt sind. Welche
Fülle von Arbeit, welch technische Vollendung fordert solch ein Riesenfilm!
Gilt es doch, allen, denen Hauptmanns Roman unbekannt ist, den Inhalt seines
Werkes durch die kinematographische Darstellung zu vermitteln. Es sei hier nur
der großen Momente gedacht, die in ihrer greifbaren Wirklichkeit den Zuschauer
zum Miterleben drän-

gen und ganz in den
Bann des Stückes hin-
einziehen — z. B. der
Vision des Dr. v. Kam-
macher, der Haupt-
figur des Romans.
Er durchwandelt im
Traum an der Seite
seines Freundes die
versunkene Stadt At-
lantis, die in märchen-
haftem Zauber dem
Grunde des Meeres
entsteigt.
Den Glanzpunkt
jedoch bildet der
Untergang des Riesen-
dampfers „Roland“,
der bei dichtem Nebel
infolge Zusammen-
stoßes mit einem
Wrack ein Raub der
Meereswogen wird.
Hier hat die Phan-
tasie ihre höchsten
Triumphe gefeiert.
Die schauerliche Tra-
gödie, die in ihren
einzelnen Phasen leb-
haft an den grauen-
vollen Untergang der
„Titanic“ erinnert, ist

Vom Atlantisfilm: Kammacher rettet die Tänzerin ingigerd Hahlström

mit einer geradezu verblüffenden Lebenswahrheit zur Darstellung gebracht:
Mit realistischer Deutlichkeit sieht man die Woogen in den Leib des Riesen-
schiffes eindringen, man erlebt die fürchterliche Panik, welche die mit dem Tode
ringenden Passagiere ergreift, man sieht, wie das stolze Fahrzeug von Minute
zu Minute tiefer und tiefer sinkt, während sich an Bord die ergreifendsten
Szenen abspielen und jeder rücksichts-
los um das nackte Leben kämpft, bis
schließlich der Koloß in den gurgelnden
Fluten verschwindet, um in der Tiefe
des Ozeans sein Grab zu finden. Einige
wenige Rettungsboote treiben auf der
endlosen Wasserfläche, bis ihnen nach
langer Irrfahrt Hilfe naht. Von einem
Frachtdampfer werden die Schiffbrüchi-
gen gastlich aufgenommen und nach
New York gebracht. Unter ihnen be-
findet sich Friedrich von Kammacher,
der dann im Hause seiner Freunde das
furchtbare Schicksal zu vergessen sucht.
Im Atelier des Bildhauers Ritter lernt er
später dessen Schülerin Miß Eva Bruns
kennen, zu der er sich in aufrichtiger
Liebe hingezogen fühlt. An ihrer Seite
geht ihm nach vielen schweren Prü-
fungen und Schicksalsschlägen ein
neues, schöneres Leben auf.
Stimmungen von starker künstle-
rischer Wirkung, atemraubender Span-
nung wechseln mit allerlei fesselnden
und unterhaltenden Szenen und schaffen
ein klares Bild der Handlung und der
mannigfaltigen Ereignisse. Zu den heiteren Episoden gehören die Darbietungen
des bekannten, armlosen Fußkünstlers Arthur Stoß (Ch. Unkan), dessen Geschick-
lichkeit staunenerregend wirkt.
Die Inszenierung des Atlantisfilms hat nach vielen zeitraubenden Vor-
bereitungen allein über vier Monate angestrengtester Arbeit erfordert und ins-
gesamt etwa eine halbe Million Kosten verursacht. Die Hauptrollen lagen in
den Händen bedeutender Schauspieler und Schauspielerinnen vom Neuen Theater
zu Kopenhagen. Daneben waren über hundert Darsteller in kleineren Rollen tätig,
und in den überaus wirkungsvollen Schiffsszenen wurden mehr als fünfhundert
Mitwirkende beschäftigt. Bei all den großen Vorzügen, welche diese Filmdarstel-
lung aufweist, bleibt naturgemäß ein Rest des Theatralischen, den der Kino nie-
mals ganz wird ab-
streifen können, weil
er alle Vorgänge sicht-
bar machen muß und
der Phantasie nur we-
nig überlassen darf.
Diese wechselvollen
Bilder sind im Roman
mit den Augen des
Künstlers gesehen,
sie wurzeln in tiefer,
dichterischer Empfin-
dung, die sie erst
zum Leben erweckt.
Hier liegtoffenbardie
Klippe der kinema-
tographischen Dar-
stellung, die das le-
bendige Wort in
seiner ganzen unbe-
grenzten Wirkung
letzten Endes doch
nicht zu ersetzen ver-
mag. Jedenfalls hat
man im Rahmen des
Erreichbaren allesfür
eine würdige und ein-
drucksvolle Darstel-
lung getan und der
Fortschritt in der Ent-
wicklung des Kine-
in atographen wesens
ist unverkennbar.

Vom Atlantisfilm: Untergang des Passagierdampfers „Roland“.

E. E. Wulff.

XXVIII. 1t. Z.-Z.
 
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