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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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15. Heft
DOI Artikel:
Anwand, Oskar: Unzüchtige Kunstwerke?
DOI Artikel:
Dubitzky, Franz: Premieren-Intriguen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0442
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MODERNE KUNST.

191

das Ärgernis
irgend eines
Muckers er-
regt. Nun sagt
der Entwurf
klar, „daß es
nicht etwa
darauf an-
kommt, ob die
Jugend an der
Zurschaustel-
lung Ärgernis
nimmt, son-
dern lediglich
darauf, ob Er-
wachsene an
ihr Ärgernis
nehmen, weil
sie dadurch
eine sittliche
Gefährdung
der Jugend
befürchten
müssen.“ Man
beachte wohl:
wieder ist von
Sachverstän-
digen, deren
Urteil wir un-
bedingt for-
dern müssen,
keine Rede;
wieder taucht
als entschei-
dende Instanz
der Schutzmann, oder irgend ein Lebensverärgerter, Verknöcherter, Bigotter oder
Überängstlicher auf. Dagegen müssen sich nicht nur alle Künstler, und wer
irgend ein Herz für die Kunst hat, sondern auch alle diejenigen wehren, die
unserer Volksseele freie Luft, Freude und Frische gönnen.
Gerade nach den Erfahrungen der letzten Jahre hat man allen Grund, gegen
den neuen Entwurf mißtrauisch zu sein. Und es sieht bedenklich danach aus,
als schlüge man auf den Sack, aber meinte den Esel. Dieses Eselein, das den
Zorn der Tugendrichter so stark hervorgerufen hat, ist die Kunst selbst; ihr
will man die Kehle zuschnüren. Zwar klingt es sehr lieblich aus dem Entwürfe
heraus, daß die Freiheit der Kunst und Wissenschaft z. B. beim Aushang von
Gemälden in Sammlungen, bei der öffentlichen Ausstellung von Standbildern usw.
durch den Gesetzentwurf nicht angetastet wird; aber davon allein können Kunst
und Künstler nicht leben Die Reproduktion ist heute ein wichtiger Faktor.
Also werden sich die Künstler von jetzt ab besinnen müssen, irgend eine
Plastik auszuführen oder ein Bild zu malen, das einen nicht völlig bekleideten
oder gar unbekleideten Menschen darstellt, Warum auch: sie können ja Pfäfflein
in langem Gewände oder Gouvernanten mit hochgeschlossenem Kleide bilden
und malen. Nur daß die Kunst ohne den nackten Körper, der für sie gleichsam
die Stimmgabel aller Schönheit ist, nicht auf die Dauer bestehen kann! Wie
schwer sie geschädigt wird, und daß die Treibjagd auf die Reproduktion auch
der Kunst selbst ans Leben ,geht, stelle man sich aus folgendem Beispiele vor,
wie es der neue Entwurf nahe legt. Falls eine Reproduktion in einem Schau-
fenster Ärgernis erregt hat, wird dies Kunstblatt doch sicherlich konfisziert und
dem Verleger die Platten vernichtet, selbst wenn er dem Kunsthändler den Auftrag
gegeben hätte, sie nicht ins Schaufenster zu stellen, sondern nur im Laden zu
halten. Ja, schließlich wandern Verleger und Kunsthändler wegen dieser Re-
produktion eines untadeligen, alles anderen als unzüchtigen Gemäldes noch ins
Gefängnis: Geheimräte, Kommerzienräte, Doktoren, kurz hochstehende Männer,
wie sie heute unsere großen Verlage leiten. Dann freilich werden sie von der
Kunst genug haben und dem Künstler die Tür weisen, sobald er sich blicken

läßt, anstatt ihn mit Aufträgen zu bedenken. Das aber ist ottenbar der tiefste
und geheimste Zweck der neuen Lex Heintze,' die sich sicherlich mit dem segens-
vollen Schutz der Jugend gegen Schund und Schmutz nicht begnügen wird.
Man fürchtet die Sinnlichkeit, anstatt sie zu kultivieren. Gewiß hat die Kunst
mit Sinnlichkeit zu tun, d. h. mit dem, was wir mit den Sinnen wahrnehmen.
Diese Eindrücke zu erhöhen, zu vergeistigen und zu verfeinern, war stets ihre Auf-
gabe; nur ist ihr nichts mit Obszönität gemein, die das sinnliche Element erniedrigt
und beschmutzt. Aber wir sind Geist-Körper und wollen es bleiben! Über die
schädlichen Folgen der Unterdrückung der Natur ließen sich ganze Kapitel
schreiben; hier sei nur auf das dichterische Bild hingewiesen, das Goethe diesem
Mo.tiv in seiner „Braut von Corinth“ verlieh. „Naturam expellas furca, tarnen
usque recurret.“ Wem sich auch im Kunstwerk edelste Nacktheit niemals ent-
schleiert hat, der wird andere dumpfe Wege zu ihr finden, oder ihn wird ein
Busen oder ein Stück Bein, das er zufällig sieht, völlig aus dem Gleichgewicht, ja
wohl gar zu Fall bringen. Vielleicht ist jedoch vielen, die sich als Erzieher
des Volkes fühlen, das nachfolgende Reuegefühl des Sünders lieber, als das freie
Menschentum, das unsere Klassiker lehrten. Denn sie und ihre Kultur der Frei-
heit sehen viele Kreise ja nur mit Zähneknirschen und würden sie, wenn ihre
Macht dazu ausreichte, je früher je lieber vernichten.
Gewiß gibt es im Leben der Gegenwart schwere Schäden auch moralischer
Art; keiner, der mit offenen Augen um sich blickt, wird sie leugnen. Vielleicht
wollte man gerade ihnen zu Leibe gehen, schlug dabei aber einen völlig ver-
kehrten Weg ein und vergriff sich an der Kunst. Hiergegen muß aufs schärfste
Protest erhoben werden. Sollte dem Wirken dieser Gewalten, die unsere Kultur
zu beschatten drohen, nicht bald ein Ende bereitet werden, so müßte der Wille
aller Freien sie wie ein Sturm hinwegfegen, damit der Gruß wieder aus freier
Seele erschalle: „Gott schütze die edle Kunst.“


Unzüchtige Kunstwerke? Sändor Järay: Junge Liebe.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G. Steglitz.


Unzüchtige Kunstwerke? Ferdinand Lepcke: Hero.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G. Steglitz.

- Premieren - jn (riquen. -4^
Von Franz Dubitzky.

ährend der an das lesende Publikum sich wendende Dichter in der
Regel nur mit dem Nichtverstehen, Nichtbeachten seines Werkes zu
kämpfen hat, muß sich der Dramatiker, der Opernkomponist gegen
tausend Streiche wappnen, die unbeschadet des Wertes oder Unwertes seiner
Arbeit aus persönlichen Rachegelüsten, aus unbefriedigter Eitelkeit, Mißstimmung
und Zufälligkeiten erstehen. Vor, während und nach der Premiere ist der
Dramatiker solchen, seine besten Werke leicht zu Fall bringenden Schlingen,
menschlichen Schwächen und Bosheiten ausgesetzt. Mit der Rollenverteilung setzt

[Nachdruck verboten.]
das lauernde Geschick ein; stets gibt es hierbei Unzufriedene, die durch Verleihung
der ersten Partien an andere Darsteller tief gekränkt sind und auf Rachesinnen, bei
welchem schwarzen Werk einflußreiche Freunde der Beleidigten natürlich gern
mitwirken. „Was soll man von einer Musik denken, wo z. B. Fräulein Arnould nicht
mehr die erste Darstellerin ist?“ so entschied ohne Scheu ein mit der Verstimmten
zugleich verstimmter Kritiker bei der Uraufführung von Glucks Oper „Orpheus“.
In demselben Bericht wurde Glucks Meisterwerk auch abgelehnt, weil
„Herr Le Gros seine schöne Stimme nicht zur Geltung bringen kann, weil er
 
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